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Achaz von Bismarck

Unter Haudegen und Heroen

Söldner, nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und dem Wiener Kongress 1815 quasi arbeitslos, waren umso eher bereit, wieder ihrer vermeintlichen Kompetenz und ihrem geliebten Wettspiel nachzugehen: dem Feldzug zu Fuß, zu Pferde oder per Schiff. Durch die dynastische Verbindung einiger Fürsten- und Königshäuser lag es sogar nahe, dem Begehren bedeutender Streitmächte zu folgen. Die englischen Könige, damals aus dem Haus Hannover stammend, Georg III., IV. und Wilhelm IV. und dann ab 1837 Queen Victoria, hatten ein elementares Interesse daran, dem spanischen Widersacher wieder einmal die Leviten zu lesen. Bolívars Leute konnten also die Gunst der Stunde nutzen und auf eine beachtliche Zahl widerstandsfähiger und geschulter Solidarkräfte für sein militärisches Vorhaben zurückgreifen.

In die Stille nach den kriegerischen Stürmen der spätnapoleonischen Ära drangen besonders laute Hilferufe aus Übersee an die Ohren derer, die das Schlachtfeld zur Stätte ihres alltäglichen Wirkens auserkoren und nun nach neuen Abenteuern Ausschau hielten. Zu ihnen gesellten sich all jene, die aus irgendwelchen Gründen Deutschland bei nächstbester Gelegenheit zu verlassen gedachten, um andernorts ihr Glück zu suchen. So fügte es sich, dass viele jener Verdrossenen oder Unverdrossenen, die aus mancherlei Gründen das Weite suchen wollten oder mussten, die nach allen Teilen der Welt offene Freie Hansestadt Hamburg ansteuerten. Dort gaben sich rund um den Alsterpavillon unternehmungslustige, meist junge Leute ein Stelldichein21, wo die besten Aussichten bestanden, den Grundstein für ein neues Leben in anderen Teilen der Welt zu legen, und Interessenten, die bereit und bevollmächtigt waren, dieses neue Glück zu organisieren.

Einer dieser Abenteurer war besagter Achaz von Bismarck (1786-1856). In seinen Memoiren schreibt er, dass sein Vetter – der „Präsident“ Graf von der Schulenburg – ihn am 1. Mai 1819 von seiner Strafe in der Zitadelle von Magdeburg auslöste und mit etwas Geld versorgte.22 Waren seine Motive Geldmangel? Oder wollte er diesen Peinlichkeiten entfliehen?

Ein anderer Abenteurer war unser Ben Siegert (1796-1870), der sich in dem Dilemma des Streites mit seinem Bruder Johann für eine Reise entschied, die man boshaft als Flucht interpretieren könnte. Er suchte förmlich nach einem Abenteuer, das ihn auf andere Gedanken bringen sollte. In Konsequenz dessen nahm er eine der nächsten Möglichkeiten wahr, in die Hansestadt Hamburg, die er zu Recht für liberal und weltoffen hielt, zu fahren. Dort sollten sich ihre Wege kreuzen.

Die Transatlantik-Tour in der Retrospektive. Oder: Bismarcks temporärer Aufbruch in die Neue Welt

In seiner Autobiographie schreibt Achaz von Bismarck, er habe sich Anfang September 1819 wieder einmal fest entschlossen, sein Leben in neue Bahnen zu lenken: „Da nun meine Geldhilfsquellen anfingen immer mehr zu versiegen, so dachte ich ernstlich daran, mir für die Zukunft ein festes Sort2 zu machen. Ich glaubte dies am besten und leichtesten in Amerika zu finden, wo damals Krieg zwischen den Spaniern und den sich freimachenden Republikanern, unter Bolívar, bestand, bei letzterem entschloß ich mich, in Dienst zu treten.“ Am „Weihnachtsheiligabend“ reiste er von Gardelegen nach Hamburg ab, „um meine amerikanische Reise“ anzutreten.23

Dazu führte sein Weg über Zichtau, wo er auf dem Gut von Rittmeister von Alvensleben für ihn dort hinterlegtes Geld abholte und sich acht Tage daselbst aufhielt. Sodann reiste er in Begleitung des Leutnants Rüdiger über Salzwedel nach Hamburg, wo sie bei „sehr strenger Kälte“ Anfang Januar 1820 ankamen. Sie quartierten sich im Gasthof zur Sonne auf dem Neuen Wall ein, dessen Besitzer der Sohn eines früheren Bürgermeisters aus Hadmersleben war. Dort verweilten sie sechs Wochen und besuchten täglich den Alsterpavillon, „wo ein Zusammentreffen von allen Nationen der Welt stattfand.“24 Er machte die ehrenwerte Bekanntschaft des Generals von Eben, der früher in preußischen Diensten gestanden hatte, nämlich im Regiment seines Vaters, des ehemaligen Ziethenschen sog. Leibhusarenregiments. Nachdem Wind und Wetter günstig erschienen, wurden die Gepäckstücke an Bord gebracht und den Reisenden signalisiert, langsam Adieu zu sagen. Der Rittergutsbesitzer auf Schönholz namens Obermann, der unter den Passagieren mehrere Bekannte hatte, begleitete dieselben noch bis an Bord und wünschte ans Ufer zurückgekehrt durch „Schnupftuchwinken“ eine glückliche Reise.

Achaz von Bismarck: „Ein ganz schamloser Lump“ (Otto von Bismarck)

Auf dem Schiff „Vesta“ kam es also 1820, wie angedeutet, zu einer überraschenden Begegnung zwischen dem aufstrebenden jungen Arzt Ben Siegert und dem „Senior“ v. Bismarck. Es waren zwei höchst unterschiedlich motivierte, denkende und handelnde Zeitgenossen.

Damit begegneten sich zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Doch erzählen wir der Reihe nach.

Der „schamlose Lump“ wusste über jene Erlebnisse in seinem autobiographischen Rückspiegel folgendermaßen zu berichten: Baron von Eben „hatte in Portugal eine Kreolin aus einer angesehenen Familie in Südamerika geheiratet, die sich mit in Hamburg befand. Da ich ihm sagte, ich sei im Begriff, nach Südamerika zu gehen, um dort in Kriegsdienste zu treten, erwiderte er mir, er sei im Begriff, für die Dienste der Republik Venezuela ein Korps zu errichten, wozu ihn der Liberator (sic!) Bolívar durch Vermittlung berechtigt habe, und wenn ich eintreten wolle, so wollte er mich gern darin aufnehmen, indem er von dem Gesandten der Republik in London den Auftrag habe, Offiziere anzunehmen; diesen Offizieren sollten die Patente überschickt werden, sowie auch das Bürgerrecht der Republik Venezuela, und ihnen später Grundstücke, bestehend aus Urwald, zugewiesen werden. Ich bat mir einige Tage Bedenkzeit aus, nach welcher Frist ich ihm erklärte, ich sei gewillt, in seinen Vorschlag einzugehen, worauf er mir ein interimistisches Patent von ihm als Major im zu errichtenden 2. Jägerregiment zu Pferde der Republik aushändigte, jedoch mit der Bedingung, daß ich für meine Uniformierung und Überfahrt selbst sorgen müsse und bestimmte mir den Ort, an welchem alle desfallsigen Unkosten von dem sich dort befindenden Agenten der Republik zurückerstattet werden sollten, was ich unter diesem Versprechen annahm. Er sagte, er würde mir mit mehreren Offizieren, sowie nur Wind und Wetter günstig, mit der Hamburger Brigg, unter dem Kommando des Kapitäns van Peint, Reisegelegenheit nach St. Thomas verschaffen, wofür ich aber die Überfahrt bezahlen müsse. Der Kapitän verlangte von mir für die Überfahrt mit Beköstigung 50 Friedrichsdor, jedoch wurden wir nach langem Hin- und Herhandeln über 40 einig.“25

Der lebens- und unternehmungslustige Senior der Bismarck-Familie wusste also sehr gut, mit wem und worauf er sich einließ. Mit dem ehemaligen preußischen Generalleutnant Friedrich Baron von Eben und manch anderen Größen im Hamburger Anwerbe-Komitee wähnte er sich sicher in angemessener Gesellschaft, deren Wort er hatte.

2 Sort: Rang, Stand, evtl. i.S.v. Einkommen.

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