Читать книгу Angostura - Rolf Walter - Страница 21

Оглавление

Achaz von Bismarck

Die dänische Insel St. Thomas in der Karibik: Zwischenstation deutscher Freiheitskämpfer.

St. Thomas, eine der schönsten der sogenannten ‚Inseln unter dem Winde‘ im karibischen Meer, befand sich seit 1671 unter dänischer Herrschaft. Es handelt sich um ein sehr belebtes Kleinod, dessen geostrategische Lage seine herausragende Bedeutung wesentlich bedingt. Es war der ideale Ort, viele Meilen vor der Tierra firma, dem Festland, sich zu regenerieren und allerletzte Dispositionen zu treffen. So geschah es auch mit der „Vesta“ nach ihrer Ankunft am Sonntag, dem 23. April 1820. Es war geplant, die Freiheitskämpfer dort zu versammeln und sie mit einem Schiff vom Festland Venezuela auf der Insel St. Thomas abzuholen, um sie ihrer Verwendung im Heer der Bolivarianer in Großkolumbien zuzuführen.

Doch das Schiff aus dem Süden ließ auf sich warten. Die einen trugen es mit Fassung und Geduld; dazu gehörte Ben Siegert. Die anderen plagte schon bald die Ungeduld, und sie versuchten auf verschiedene Weise, der eingekehrten Langeweile zu entfliehen. Zu ihnen gehörten Achaz von Bismarck und sein Gefährte, der Generalmajor Gebhard Karl Ludolf von Alvensleben. Sie zog es auf die französischen Karibikinseln Guadeloupe und Martinique.

Ungeduld und Abschied mit Rast im westindischen Paradies

Heinrich Achaz von Bismarck war nicht nur ein kräftiger, konservativer und vor allem impulsiver Charakter, der weder Mensch noch Tier und schon gar keinen Streitigkeiten sowie der Weiblichkeit aus dem Wege ging. Er suchte diese förmlich. Zu seinem Wesen gehörte eine gewisse Intoleranz, auch und vor allem sich selbst gegenüber. Er erreichte die Unzufriedenheitsgrenze ziemlich schnell und war von einer Unstetigkeit geprägt, die seine Zeitgenossen an ihm kannten oder gegebenenfalls ziemlich rasch kennenlernten. Sein Urteil war harsch und sein Auftreten robust. Er schien die Provokation aktiv und passiv zu lieben, also zu provozieren und provoziert zu werden. Wenn sich damit die gewünschte Chance bot, pflegte er darauf mehr oder weniger massiv einzugehen und angesichts der üblichen Ehrhaftigkeit und des Ehrenrettungseifers des 18. und 19. Jh. „angemessen“ zu reagieren. Eine der populären Reaktionsformen war die Aufforderung zum Duell mit allen Konsequenzen. Eine solche findet sich auch – wenig überraschend – in der ungewöhnlich freimütigen Autobiografie v. Bismarcks.

Spontane und verächtlich zugespitzte Charakterisierungen über seine Zeitgenossen schienen ihm besonders zu liegen. Freche Unverschämtheiten finden sich regelmäßig in Achaz’ autobiografischer „Spätlese“ in Bezug auf jedwede Zeitgenossin oder den nächstbesten Zeitgenossen, die das fragliche „Glück“ hatten, dem streitsüchtigen Adelsherrn zu begegnen. Auf der anderen Seite findet sich jedoch auch ein Anflug von Achtung oder eine Ahnung von Gerechtigkeitssinn. Achaz beschreibt nämlich in kurzen Sequenzen auch den Lebenswandel, die persönliche Wohlfahrt und den recht erfolgreichen Verlauf von Ben Siegerts Dasein. Der sei vermögend geworden und habe bewundernswert fruchtbar gewirkt. Es stimmt zwar nicht, dass der Vermögenszuwachs durch die Ehe mit einer reichen Spanierin zustande kam, wie Achaz von Bismarck schreibt, sondern durch Siegerts Hände Arbeit und mutiges Anpacken. Aber es schwangen doch ein wenig Neid und Anerkennung mit, sodass er sich dann wohl zur Korrektur seiner ursprünglich viel zu überzogenen Äußerungen zum Charakter Siegerts veranlasst sah. Er wusste sicher in der einige Jahrzehnte später verfassten Retrospektive zu gut um die Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfolge von Bolívars Heereschirurg und späteren vielfach erfolgreichen Zeitgenossen und seiner Familie. Gemessen daran mussten ihm seine eigenen „Bubenstücke“ und mageren Erfolge als ziemlich unrühmlich erschienen sein.

Bigarre hieß der Korsaren-Kapitän eines französischen Schiffs, das v. Bismarck und v. Alvensleben 1820 von St. Thomas auf die französische Insel Martinique mitnahm. Des Schiffsführers Frau betrieb dort eine Putzhandlung.5 Er war unter den Chasseurs de Cheval der Garde Napoleons Maréchal de Logis gewesen und hatte circa 60 Leute an Bord.


Kleine Antillen (Südlich: Westindische Inseln Frankreichs)

Bigarre und viele seiner Schiffsgefährten wurden v. Bismarck zufolge acht Tage später auf der Insel Barthélemy „gehangen, indem er sich nicht als Kaper irgendeiner Macht hatte legitimieren können.“37 Welch dramatische Entwicklung, der die beiden dt Adligen da glücklich entronnen waren. Stattdessen hatten sie in Basse Terre angelegt und ließen es sich fürwahr gut gehen.

Jedenfalls erfährt man durch die Autobiografie Achaz von Bismarcks einiges außergewöhnlich Reizvolle über die französischen Karibikinseln und das dort stationierte Offizierskorps. Spannend und ungemein aufschlussreich ist auch die Schilderung des Verhältnisses und der geradezu kameradschaftlichen Behandlung der beiden deutschen Offiziere durch die französische Generalität bzw. Inseladministration. Es herrschte respektvoller Umgang mit „Ihresgleichen“ in offensichtlicher gegenseitig angemessener sehr respektvoller Contenance. Man sprach gemeinsam dem ersprießlichen Leben zu bei köstlichen Speisen und karibischen Likören, Rumgetränken und feinsten landestypischen Spirituosen. Die beiden blaublütigen Hasardeure nahmen gepflegte Bäder und ließen sich von dem ausgeprägten französischen Dolce vita verwöhnen. Dolce far niente: So hatten sich die beiden deutschen adligen Zeitgenossen das süße Inselleben Westindiens wohl vorgestellt und genossen es in vollen Zügen. Was für ein Unterschied zu der ursprünglich geplanten Alternative: auf den Schlachtfeldern Venezuelas zu kämpfen und im Sattel eines Pferdes die Unabhängigkeit von Spanien mitzuerobern.

„Nobel geht die Welt zugrunde“, schienen sich die beiden Nobilitierten gedacht zu haben und verließen Martinique 1820 mit der Fregatte „Duchesse de Berry“, dem Admiralsschiff eines französischen Schiffsgeschwaders, das sie via Atlantik in den Hafen von Brest brachte. Es handelte sich um ein prächtiges Schiff mit 32 Segeln, das unter dem Kommando von Marineoffizier Grégoire fuhr und 28 Tage unterwegs war. Während also das treulose Adelsgespann längst wieder über West- ins vertraute Mitteleuropa gelangt war, nahm Dr. Ben Siegerts abenteuerliches Leben wahrlich eine fulminante Wende.

Dass v. Bismarck dem venezolanischen Freiheitshelden Bolívar letztendlich den Dienst verweigerte und sich in frühzeitiger Ungeduld von St. Thomas zusammen mit seinem Busenfreund v. Alvensleben via Martinique und Guadeloupe nach Europa aus dem Staub gemacht hatte, scheint für sein unstetes Leben nicht ganz untypisch gewesen zu sein. Er blieb ein schürzenjagender, angriffslustiger Egomane, der sich noch im hohen Alter seiner oftmals boshaften Handlungen rühmte. Otto von Bismarck lag wohl nicht ganz falsch mit der Charakterisierung des Lebens seines Onkels zweiten Grades als das eines draufgängerischen Taugenichts. Dass von diesem vermeintlichen Nichtsnutz relativ wenig bekannt wurde, ja von seiner Bereitschaft zum Dienst in Bolívars Heer selbst unter professionellen Bismarck-Biografen und spezialisierten Historikern keine oder wenig Kenntnis herrscht, spricht für sich. Es versteht sich gewiss, dass vor dem Hintergrund des heldenmütigen Wirkens und der nicht einmal nur deutschen Hervorhebung der Leistungen des späteren Reichskanzlers und gelegentlich als genial apostrophierten Außenpolitikers Otto von Bismarck, die vermeintliche Nebenfigur Achaz wenig bis keine Aufmerksamkeit genießen sollte. Vielleicht ändert sich dies um eine Nuance mit dem Bekanntwerden der ebenso kuriosen wie lebendigen Bismarck-Biografie.


Autobiografie von H. F. W. Achaz von Bismarck

Im Vorgriff: Achaz’ letzte Jahre und Memoiren

Heinrich F. W. Achaz von Bismarck: Ein Hallodri, der es nicht bis nach Venezuela geschafft hatte, da er auf halbem Wege umgekehrt war. Sein Reisegefährte Ben Siegert hingegen war auf dem südamerikanischen Kontinent angekommen, heimisch und vermögend geworden. Wer weiß, ob Achaz von Bismarck dasselbe gute Schicksal beschieden gewesen wäre, hätte er die Sache durchgezogen?

Betrachtet man seine Lebensgeschichte vor und nach der gemeinsamen Schifffahrt, kommt man zu dem Schluss, dass sein Leben in Angostura vermutlich ebenso schlecht verlaufen wäre.

Er verfiel immer wieder in alte Muster: Schon mit sechzehn Jahren war er Leutnant gewesen, hatte jedoch – halb gezwungen, halb freiwillig – wegen Schuldenmacherei den Dienst des vornehmen preußischen Regiments quittieren müssen. Und er erwies sich stets als ein Mensch, der sich durch die Zeitläufte hin und her reißen ließ und es fertigbrachte, in napoleonischen Diensten wie auch bei den Lützowern Gastrollen zu spielen. Dennoch hatte dieser Heinrich Achaz auch gutmütige Züge und ließ sich bisweilen selbst betrügen.

Es gab einen von den Gerichten anerkannten Familienverband derer von Bismarck, wonach der älteste lebende Bismarck als Senior anerkannt wurde. 1849 war dies ausgerechnet das „Schwarze Schaf“ der Familie, der „letzte Erbherr auf Birkholz und Hirschfelde“, eben Heinrich Friedrich Wilhelm Achaz von Bismarck. Ernst Engelberg charakterisiert ihn folgendermaßen: „Da von den zuständigen Gerichten als Senior des Familienverbandes nur der tatsächlich Älteste der jeweils ‚noch lebenden Mitglieder der von Bismarckschen Familie‘ anerkannt wurde, wollte es der tückische Zufall, daß im Juli 1849, also inmitten der antirevolutionären Welle, ein persönlich und sozial Entgleister des Geschlechts ihr Senior wurde, nämlich Heinrich Friedrich Wilhelm Achaz von Bismarck. Das ‚Stammbuch‘ registriert unter Nr. 261 mit der ihm eigenen Nüchternheit: Zuerst Leutnant im Garde du Corps-Regiment, später vielfach in ausländischen Diensten.“

„In der Reaktionszeit der fünfziger Jahre veröffentlichte Heinrich Achaz von Bismarck nun also das Erinnerungsbüchlein voller unkontrollierbarer Anekdoten aus seinem unkonventionell-dubiosen Leben. ‚Ein ganz schamloser Lump‘ notierte der Bundestagsgesandte Otto von Bismarck in einer zornigen Marginalie zu diesem Büchlein […] Achaz’ antigouvernementalen Lästerreden, die er einmal in seiner Jugend gehalten haben soll, waren politisch kaum ernst zu nehmen; aus all den Untersuchungen im Jahre 1821 ‚wegen Verdachts der Teilnahme an demagogischen Umtrieben und sträflichen Verbindungen‘ ergaben sich keine stichhaltigen Anhaltspunkte. Auch war er weder eine katilinarische Existenz noch ein unbändiger Kondottiere, wie ihm Journalisten andichteten; nicht einmal ein richtiger Schurke war er, sondern nur ein gewöhnlicher Liederjan, ein Erwachsener mit schlaumeierischen Kinderlaunen“38.

Heinrich Achaz von Bismarck erhielt wegen Bezahlens in falschen Hamburger Liquidationsscheinen eine fünfzehnmonatige Haftstrafe in Halberstadt. Er wurde vom dortigen Oberlandesgericht freigesprochen. „Ich fand nach meiner Freilassung durch die Güte meiner Kusine, einer Gräfin von der Schulenburg, geborenen von Jagow, mit Bewilligung ihres Mannes, auf ihren Gütern Lenzewisch in der Priegnitz ein Asyl, wo ich mehrere Jahre zubrachte.

Späterhin hielt ich mich größtenteils in Berlin und Potsdam auf. Am letzteren Ort traf ich dort eine Magdeburgerin an, eins der hübschesten Mädchen ihrer Zeit, die mir sechs Jahre früher außer der Ehe einen Sohn geboren hatte, welchen ich späterhin anerkannt habe, und verehelichte mich mit ihr am 14. August 1835. Dies ist meine jetzige, sehr geliebte Frau, durch welche ich einzig und allein in meinen trüben Tagen einige vergnügte und angenehme Augenblicke gehabt, und von der ich zu erwarten habe, daß sie mir die letzten Tage meines Lebens soviel in ihren Kräften steht, zu erheitern suchen wird. Nach unserer Verheiratung lebten wir zu verschiedenen Zeiten in Potsdam, Berlin und mehrere Jahre auf dem Bahnhof bei Biesental, bei dem Bruder meiner Frau, der dort Bahnhofsinspektor war, und blieben daselbst so lange, bis selbiger versetzt und einen andern Bestimmungsort erhielt, worauf wir dann wieder nach Potsdam zogen. Hier kam unser Sohn zu uns, der bis dahin auf der Realschule in Halle erzogen worden war. Da derselbe seiner Militärpflicht in Magdeburg bei den Pionieren zu genügen dachte, meine Frau auch eine Schwester und mehrere Verwandte dort hatte, so übersiedelten wir im Februar 1848 nach Magdeburg, wo ich seit der Zeit von einer kleinen Rente, die ich der Gnade meiner Verwandten verdanke, mit meiner Familie lebe. Jetzt siebzig Jahre alt, kränklich und beinahe erblindet, wird mir hier wohl bald der Trompeter zum Abmarsch der großen Armee blasen.“ 39

Bezeichnend ist die Tatsache, dass er – als 70-Jähriger seine Memoiren verfassend – Ben Siegert sowohl erwähnt als auch Jahre danach offensichtlich Erkundigungen über den erfolgreichen Arzt und Apotheker eingezogen hat, wenngleich er behauptete, seinen Vermögenszuwachs habe Ben durch die Heirat einer reichen spanischen Ehefrau erwirkt.

5 Putz: Schmuck, Zierrat.

Angostura

Подняться наверх