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7.

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Hasard hörte sich den Bericht Stenmarks schweigend an. Dann beriet er sich mit seinen Gefährten.

Die Mehrheit stimmte dafür, die Indios zu suchen, um sich erst einmal wieder satt essen zu können.

Einige hatten Bedenken.

„Wenn sie uns gar nicht empfangen, sondern sich verfolgt fühlen und dann doch zu den Waffen greifen?“

„Oder wenn sie sich zurückziehen und wir immer weiter in den Dschungel geraten, bis wir uns endgültig verlaufen haben und nie mehr zur Küste zurückfinden?“

Hasard hielt dagegen, wie wichtig es sei, endlich etwas zwischen die Zähne zu kriegen.

„Wir müssen essen, um unsere Schwäche überwinden und dann den Spaniern die ‚Isabella‘ wieder entreißen zu können. In unserem jetzigen Zustand schaffen wir das nicht“, sagte er.

Man gelangte zu einem Kompromiß.

Der Kutscher, drei Männer und der verwundete Smoky sollten zurückbleiben. Der Verwundete war eine zu große Belastung.

Der Rest der Mannschaft unter Hasards Führung sollte versuchen, von den Ureinwohnern Nahrungsmittel zu holen, sollte dafür aber nicht mehr als einen Tag opfern und im Falle von Schwierigkeiten unverzüglich zum Lager zurückkehren.

„Werdet ihr denn zurückfinden?“ fragte der Kutscher.

„Ferris wird mit seiner Axt Zeichen in die Baumstämme schlagen. So können wir uns bei der Rückkehr orientieren und ohne Zeitverlust das Lager wieder erreichen“, sagte Hasard nach einigem Nachdenken.

„Auf was warten wir dann noch?“ brummte Big Old Shane. „Unser Hunger wird nicht kleiner, wenn wir warten.“

Sie brachen auf.

Hoffnung verlieh ihnen neue Kraft. Die Aussicht, Proviant zu beschaffen, ermunterte sie noch einmal, sich wieder in Marsch zu setzen, auch wenn es ein merkwürdiges Gefühl war, in die Fieberhölle zurückzukehren, statt sie auf dem schnellsten Wege zu verlassen.

Sie fanden die Stelle am Fluß, an der Stenmark sein lebensgefährliches Abenteuer bestanden hatte, suchten nach Spuren und entdeckten genügend.

Die Indios waren nicht kopflos geflohen, als sie merkten, daß Stenmark es schaffen würde, sondern sie waren im Gänsemarsch abgezogen.

Einmal fanden sie bunte Federn, wohl von einem Kopfputz der Indios. Sie legten ein ziemliches Tempo vor, so daß die Kolonne wieder einmal auseinanderriß. Das konnte sich böse auswirken, wenn sie Ärger kriegten.

Aber sie dachten nicht an Kampf, sondern nur noch an volle Fleischtöpfe.

„Diese Kerle sollen ja teuflisch geschickt sein“, sagte Matt Davies. „Die fangen die größten Tiere in Fallen und schmoren sie über dem offenen Feuer.“

„Sie sind Jäger und Sammler“, bestätigte Brighton, „und außerdem darauf ausgerichtet, in dieser Hölle zu überleben. Wenn wir sie finden, hat die Not ein Ende.“

Es war schwer, das Alter der Spuren festzustellen oder zu bestimmen, wie schnell die Wilden marschiert waren. Die Burschen verletzten nicht einmal eine Pflanze, wenn sie sich geschmeidig wie die Tiere des Waldes vorwärtsbewegten. Die Seewölfe dagegen brachen wie die Büffel durch das Unterholz.

Monoton erklang das Hacken der Axt, mit der Ferris Tucker die Bäume kerbte, um ihnen später den Rückweg zu erleichtern.

Sie mochten eine Stunde unterwegs gewesen sein, da stießen sie auf eine riesige Lichtung. Sie war keineswegs natürlich entstanden, sondern durch Feuer gerodet worden. Natürlich versuchte der Urwald, unermeßlich fruchtbar, das verlorene Terrain zurückzugewinnen. Lianen kreuzten den Weg, Farne wucherten üppiger als anderswo.

Aber alles wurde überragt von der schiefergrauen Ruine einer Tempelanlage. Zwischen bröckelnden Mauern wuchs Gestrüpp. Aasblumen, von überirdischer Schönheit, aber gräßlich riechend, überwucherten eigenartige Götzenbilder.

Staunend und mit der gebotenen Vorsicht näherten sich die Seewölfe der Tempelanlage. Einigen schoß wohl der Gedanke an Tempelschätze und die phantastischen Geschichten von Eldorado durch die Köpfe, wie sie in den Hafenstädten der Alten Welt kursierten.

Die meisten aber dachten wohl eher daran, daß irgendwo in der Nähe Menschen sein mußten. Denn die Anlage sah auf den zweiten Blick keineswegs so verlassen und verloren aus. Da gab es Reste von Feuerstellen und gewundene Blumengirlanden.

In der Mitte des Tempelbezirkes, der weitläufiger war, als es zunächst ausgesehen hatte, erhob sich ein sogenanntes Regenhaus.

Dort stand eine mehr als drei Yards hohe Statue, auf deren Kopf eine riesige Schüssel stand. Der Regengott hielt sie mit beiden Händen. Eine bequeme Treppe führte zum Heiligtum hinauf.

Als Hasard sie benutzte, um einen Blick in den Behälter zu werfen, alarmierte er seine Gefährten mit dem Schrei: „Wasser. Erstklassiges Wasser!“

Dort wurde das Regenwasser aufgefangen, an dem in diesem Gebiet niemals Mangel herrschte, das aber für gewöhnlich nur nutzlos irgendwo im Boden versickerte, die Baumwurzeln speiste und dort, wo es sich in schlammigen Pfützen sammelte, sehr schnell durch Insekten, Schlamm und Unrat ungenießbar wurde.

Das Becken hier war randvoll mit klarem Wasser, das unvergleichlich besser aussah als die trübe, mit Fäulnisstoffen durchsetzte Brühe am Fluß.

Wie die Wilden stürzten sich die Männer auf das Reservoir. Sie tranken erst und badeten dann im Überfluß. Dabei achtete niemand auf die Umgebung.

Erst als Pete Ballie prustend auftauchte, sich auf den Rand zog und lässig die Beine baumeln ließ, bemerkte er die stummen Gestalten, die ihnen zuschauten.

Sein Alarmschrei brachte alle auf die Beine.

Rings um die Lichtung standen Indio-Krieger, braunhäutige Eingeborene, bewaffnet mit langen Speeren aus Eisenholz und federgeschmückten Blasrohren, die oft länger waren als die Träger.

Eigentlich sahen die Burschen eher sanft und unverdorben aus – wenn nicht diese weißgefärbten Hände gewesen wären. Eine barbarische Sitte.

Breitflächige Gesichter wandten sich den Weißen zu. Die Ureinwohner hatten kurze lackschwarze Haare, sorgfältig gestutzt, vermutlich mit Hilfe scharfer Steine. Eisen kannten die Wilden nicht.

Bis auf spärliche Lendenschurze waren die Indios nackt. Sie zeigten Schmucknarben auf Brust, Schulter und Gesicht. Stumm starrten sie auf die Seewölfe.

Die rauhen Gesellen kriegten einen gehörigen Schreck. Hatten sie etwa unbedacht ein Tabu gebrochen? Hatten sie durch ihre Badeorgie ein Heiligtum entweiht?

Die Antwort der Wilden konnte nur eins heißen: Krieg.

Wieder einmal wurden sich die Männer um Hasard der schmerzlichen Tatsache bewußt, daß sie mit leeren Händen dastanden. Einer Wolke von Pfeilen, einem Hagel dieser mit Widerhaken versehenen Speere hatten sie nichts entgegenzusetzen.

„Laßt mich machen“, befahl Hasard unerschrocken.

„Was hast du vor?“ fragte Big Old Shane. „Bleib stehen. Sobald du auf sie zugehst, fühlen sie sich bedroht!“

„Dann spicken sie dich mit ihren verdammten Wurfspeeren, und du siehst ja wohl die sorgfältig geschnitzten Widerhaken“, warnte auch Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“.

Hasard trat langsam vor.

Unverwandt musterten ihn die Wilden.

Die Seewölfe hielten den Atem an.

„Hör auf, die Kerle zu reizen“, brummte Ferris Tucker. Er trug inzwischen die Axt wieder auf der Schulter und sah, abgerissen und unrasiert, wie ein Waldschrat aus.

Hasard versuchte, erst auf Englisch und dann auf Spanisch, zu einer Verständigung zu gelangen.

Was er auch sagte, die Indios blieben stumm. Sie rührten sich nicht vom Fleck.

Hasard hob die Hände und zeigte seine leeren Handflächen.

Langsam bewegte er sich vorwärts, jeden Augenblick darauf gefaßt, durch sein Verhalten ein Inferno zu entfesseln. Niemand konnte voraussagen, wie diese Eingeborenen reagierten.

Hasard stieg die Stufen hinunter, langsam und bedächtig.

Seine Männer standen unbeweglich wie die Regengottstatue. Sie warteten das Ende des ungewissen Abenteuers ab. Niemand zweifelte daran, daß es Ärger geben würde.

Eine Verständigung schien ausgeschlossen. Was Hasard auch anfing, die Wilden blieben starr und stumm.

Die Distanz schmolz.

Er hatte die letzte Stufe verlassen und zögerte, den Weg fortzusetzen. Wenn die Herren des Dschungels ungnädig reagierten, gab es für ihn keinen Ausweg mehr. Nirgends würde er vor einem plötzlichen Hagel aus Blasrohren Zuflucht finden.

Hasard durfte nicht umkehren. Das wußte er. Das geringste Zeichen von Schwäche mußte verhängnisvolle Folgen haben.

Vorsichtig ging Hasard weiter.

Er deutete noch einmal mit Gesten an, daß er und seine Gefährten Hunger hätten. Er bewegte die Hand, als stopfe er etwas in den Mund und rieb sich den Magen.

Keine Reaktion seiner stummen Zuschauer.

Hasard hatte sie fast erreicht.

Die Mauer nackter Leiber wankte und wich nicht.

Wer war ihr Häuptling? Das konnte er nicht erkennen. Waren sie etwa alle gleichberechtigt? Brauchten sie keinen Anführer, der ihnen sagte, was zu tun war und was nicht? Der sie nicht nur führte, sondern auch beherrschte?

Wie auf Kommando jedenfalls warfen sich die Indios vor ihm hin. Sie legten ihre Waffen ab. Ihre Stirnen berührten den Boden.

Dann sprangen sie auf und verschwanden im Dschungel.

Ein Aufatmen ging durch die Reihen der Seewölfe. Wenn die Wilden auch Hasards Bitte nach Lebensmitteln nicht befolgt hatten, so war es doch bereits ein Fortschritt, daß sie nicht angegriffen, sondern mit allen Zeichen der Unterwerfung das Feld geräumt hatten.

Sie durchstöberten die Tempel, stießen aber weder auf Schätze noch auf genießbare Opfergaben. Hier gab es nichts weiter als klares Wasser. Und das konnte selbst den inzwischen bescheiden gewordenen Seewölfen nicht genügen.

Sie traten den Rückmarsch an, der Weg war ja nicht zu verfehlen, und hatten die Lichtung fast hinter sich, als Dan, der am Ende des Zuges ging, sein „Halt“ brüllte und die Kolonne stoppte.

„Was gibt es?“ fragte Hasard und lief zurück.

„Da!“ erwiderte Dan und zeigte auf den Tempel.

„Was ist?“ fragte Hasard unwirsch. Denn er konnte nichts entdecken.

„Da waren viele Indios. Sie sind die Stufen zum Becken hinaufgelaufen, haben etwas abgestellt und sind wieder abgehauen“, berichtete Dan atemlos. Er war erregt. Die Aussicht, etwas Nahrung zu ergattern, brachte ihn um die Ruhe. Als er glaubhaft versicherte, er sehe viele geflochtene Körbe, gab es kein Halten mehr.

Der Wettlauf begann. Wie ein Rudel Wölfe stürzten sie los. Selbst Old Donegan bewältigte mir nichts dir nichts die Stufen, die zum Wasserbecken hinaufführten.

Die Nachzügler kamen fast zu spät.

Körbe mit allerlei Früchten hatten sich in Windeseile geleert. Erst auf Hasards Befehl hin wurde an die gedacht, die zurückgeblieben waren, vor allem an Smoky.

Aber es blieben drei Behältnisse übrig, die durch Deckel verschlossen waren. Niemand mochte sie öffnen.

„Eine Kriegslist“, meinte Pete Ballie. „Mit den Früchten haben sie uns angefüttert, aber da drin stecken ein paar nette appetitliche Giftschlangen. Wer die Körbe öffnet, ist erledigt.“

Seine Worte hinterließen einen nachhaltigen Eindruck. Niemand wagte es, die Sachen zu berühren.

„Unsinn“, sagte Hasard zwar, aber der Gedanke, daß sich Giftzähne in seine Hand graben könnten, sobald er die Verschnürungen löste, ließ ihn keineswegs kalt.

Die schmackhaften Früchte, die er gegessen hatte und die seinen Magen auf das angenehmste füllten, ließen ihn wieder hoffen, daß alles gut enden würde.

Seine Gedanken weilten bereits bei der „Isabella“ und den Wachen, die die Spanier auf dem gestrandeten Schiff sicher zurückgelassen hatten – ein letztes Hindernis zwischen den Seewölfen und der ersehnten Freiheit der Meere.

Matt Davies opferte sich.

„Wenn die Viecher an meinem Haken knabbern, verbiegen sie sich glatt die Zähne“, sagte er, ging aber mit der gebotenen Vorsicht zu Werke.

Es dauerte einige Zeit, bis er die Bastschnüre entwirrt hatte.

Der Deckel klappte zurück. Die Meute brach in Gelächter aus.

Wovor Matt Davies ängstlich zurückgesprungen war, entpuppte sich nicht als Giftschlangen, sondern als eine ungeordnete kribbelnde und krabbelnde Masse weißer fetter Würmer, die auf einem sauberen Palmblatt lagen.

„Wollen die uns verschaukeln?“ schnaufte der Profos. „Wer frißt denn so etwas? Pfui Teufel!“

„Nahrhaft sehen die Tierchen schon aus“, meinte Hasard zögernd.

Mit weitaufgerissenen Augen schauten die Männer zu, wie ihr Kapitän zweimal die Hand zurückzog, bevor er wagte, in die krabbelnde Masse zu fassen. Vorsichtig zog er die Beute heraus.

Er legte die Tierchen auf die Handfläche und stopfte sie sich einzeln in den Mund. Er wagte nicht zu beißen, sondern schluckte einfach.

Nachdem auch der Profos und der Stückmeister dem Beispiel Hasards gefolgt waren, griffen alle nach der ungewöhnlichen Nahrung. Der Hunger trieb’s rein.

Erst Dan wagte es, die Zähne zu gebrauchen, weil er niemals etwas unzerkaut herunterbrachte. Es knackte verdächtig. Hier und da verzogen sich angeekelt ein paar Gesichter.

Nur Dan schnitt eine Grimasse des Entzückens.

„Schmeckt nicht einmal schlecht“, sagte er und griff danach ungeniert zu, ein Zeichen, daß er es ernst meinte und niemanden verkohlen wollte.

Die Palmblätter leerten sich schnell.

„Hätte nicht gedacht, daß ich jemals Würmer fressen würde“, sagte Ferris Tucker. „Ausgenommen jene, die sich im Schiffszwieback tummeln. Aber was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“

„Wenn wir an der Küste sind, versuchen wir es mit Fischfang“, sagte Hasard. „Ganz wohl ist mir bei diesem Zeug auch nicht.“

Nachdem sie alles vertilgt hatten, was die freundlichen Wilden ihnen gebracht hatten, wollten sie sich gebührend bedanken, erhielten aber keine Gelegenheit.

„Wir lassen ihnen zwei Messer hier. Vielleicht wissen sie etwas mit den Dingern anzufangen“, brummte Big Old Shane.

Merkwürdig, so winzig diese weißen krabbelnden Lebewesen gewesen waren, sie hatten ungeheuer gesättigt und eine ganze Mahlzeit ersetzt. Natürlich stellten sie nicht gerade die denkbar beste Speise dar, und mancher schauderte bei dem Gedanken, über längere Zeit von so etwas leben zu müssen.

Sie brachen auf, um zurückzukehren.

Seewölfe Paket 5

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