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5.

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Sie kehrten zum Lagerplatz zurück.

Der Hunger wühlte mindestens ebenso stark in ihren Mägen wie das bei den Panzerechsen der Fall gewesen war. Und es bestand keine Aussicht, den Hunger irgendwie zu stillen.

Ihre Augen, denen auf See nichts entging, waren nicht geschult. Sie konnten in dem grünen Allerlei der Millionen von Blättern kaum Einzelheiten erkennen, geschweige denn Früchte entdecken. Und wenn, unerreichbar hoch, doch welche waren, wußten sie nicht einmal, ob man sie genießen konnte.

Allein der Gedanke, im Brackwasser des Flusses wenigstens den Durst löschen zu können, trieb sie vorwärts.

Langsam meldete sich Erschöpfung.

Allen war klar, daß die Tagesleistung nicht berauschend ausfallen würde. Ihnen bangte vor dem nächsten und dem übernächsten Tag. Sie erinnerten sich schauriger Geschichten über Schiffbrüchige auf treibenden Wracks oder unbewohnten Inseln, die schließlich übereinander hergefallen waren. Kannibalismus hieß das unaussprechliche Wort, Reizschwelle für jeden, der erst am Anfang einer unabsehbaren Fastenperiode stand. Noch ging der Hunger nicht an die Substanz. Noch wies jeder den Gedanken weit von sich, auch wenn er mit offenen Augen von saftigen Fleischstücken träumte.

Smokys Zustand verschlechterte sich zusehends. Aus seinem Bartgestrüpp ragte eine spitze Nase. Die Augen waren eingesunken und glühten im Fieber. Er phantasierte. Sein wildes schreckliches Leben unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews zog an ihm vorüber. Alle Schrecken der vergangenen Jahre standen wieder auf. Er wälzte sich hin und her und schrie, wenn er die verletzte Schulter stieß. Sein Gesicht glühte.

Die ihn trugen, hatten es nicht leicht.

Sie wurden ständig abgelöst, aber die eigene Kraft schmolz auch dahin. Manche konnten sich gerade noch aus eigener Anstrengung in Bewegung halten und mechanisch ein Bein vor das andere setzen.

Die Zahl derjenigen, die an der Spitze marschieren konnten, wurde zusehends kleiner. Denn dort galt es, den anderen erst einmal einen Weg zu bahnen und die schlimmsten Hindernisse zu beseitigen. Schon ein Baumstamm, ein sterbender faulender Holzklotz, bedeutete einen Umweg. Niemand mochte hinüberklettern. Er zog ein paar Yards Umweg durch das Unterholz vor.

Hasard, der Profos, Big Old Shane, Ferris Tucker und Batuti, der riesige Gambia-Neger, lösten sich schließlich gegenseitig ab. Und jeder hoffte, den Fluß zu erreichen, ehe er wieder an der Reihe war.

Schon der einfache Fußmarsch durch den Dschungel schlauchte jeden. Noch dazu die Axt zu schwingen bedeutete, daß man dampfte und keuchte, als befände man sich in einem riesigen Treibhaus unter der Dunstglocke geschlossener Baumkronen.

Als sie den nicht sehr breiten und flachen Fluß erreicht hatten, kam noch einmal Leben in die taumelnden Gestalten. Die Männer liefen um die Wette, warfen sich kopfüber ins Wasser, tranken im Liegen wie die Tiere und schütteten sich das Wasser mit vollen Händen über den Kopf.

Smoky wurde von Hasard versorgt.

Zunächst mußte ihm die Flüssigkeit tropfenweise auf die Lippen geträufelt werden, ehe er begriff und gierig zu schlucken begann. Denn ansprechbar war er kaum noch. Er bewegte krampfhaft und gierig die Lippen. Seine Zunge suchte nach jedem einzelnen Tropfen. Dann erst wurde er klarer im Kopf.

„Laßt mich liegen“, stöhnte er. „Ich schaff‘s doch nicht.“

„Wie wär‘s, wenn du erst einmal ein Bad nimmst?“ antwortete Hasard und nahm den Decksältesten auf die Arme. Er trug ihn behutsam zum Fluß und setzte ihn vorsichtig an das seichte Wasser.

Smoky erfrischte sich.

Aber bald wurde das Bad zur Qual. Denn hier knallte die Sonne ungehindert aus wolkenlosem Himmel herunter. Die Männer mußten sich gegen die sengende Glut schützen. Sie flochten sich Hüte aus Palmblättern.

Es war Hasard, der zum Aufbruch drängte.

Zum erstenmal, seit er das Kommando führte, wurde Widerspruch laut. Die meisten weigerten sich einfach, weiter durch den Urwald zu stolpern, durch eine regennasse Hölle ohne die Möglichkeit, sauberes, klares Wasser zu trinken. Sie wollten in der Nähe des Flusses bleiben. Nie mehr weg. Nie mehr diesen schrecklichen Wassermangel.

„Wo sind wir eigentlich?“ fragte der Kutscher. „Niemand weiß, wo das endet. Wir hätten ebensogut auf der Teufelsinsel bleiben können. Ob dort krepiert oder hier. Was ist da schon für ein Unterschied, oder?“

Die Männer stritten sich. Hasard mußte eingreifen.

Er hatte unterwegs bereits mit Sorge beobachtet, daß sich alte Freunde beschimpften und sich gegenseitige Vorwürfe erhoben – ein Zeichen, daß die Nerven überreizt waren. Jeden Augenblick konnte es zur Explosion kommen.

„Wir folgen dem Fluß“, entschied Hasard. „Er führt zum Meer. Danach können wir uns neu orientieren und den nächsten Schritt beraten. Auf keinen Fall dürfen wir hierbleiben. Das hat keine Zukunft, wie jeder wohl einsieht.“

„Und wenn wir den Spaniern in die Arme laufen?“ fragte Ferris Tucker. „Sie werden niemals aufgeben, uns zu suchen, bis sie wirklich sicher sind, daß es uns wirklich erwischt hat. Also müssen wir überall und jederzeit damit rechnen, daß uns die Dons einen Hinterhalt legen.“

„Natürlich“, erwiderte Hasard. „Deshalb sind wir ja auch in einem Riesenbogen marschiert. Sie sollen erst einmal unsere Fährte verlieren und annehmen, daß wir immer tiefer in den Dschungel eindringen und uns entweder verirren oder von Indianern erledigt werden. Dann tauchen wir wieder auf, wie aus dem Nichts, und erobern unsere ‚Isabella‘ zurück.“

„Schön wär‘s“, seufzte der Kutscher. „Seit wir von der Teufelsinsel weg sind, träume ich nichts anderes. Nur noch einmal die Planken eines Schiffes unter den Füßen, den Wind in den Segeln und bis zur Kimm nichts als Wasser.“

„Das hört sich an, als glaubst du selbst nicht, daß wir es schaffen“, sagte Hasard. „Warum so kleinmütig?“

Der Kutscher antwortete mit einer hilflosen Geste, die seinen Abscheu gegenüber der tückischen Landschaft mit ihrer üppigen Vegetation andeutete, diesem engen Nebeneinander von Werden und Vergehen.

Einige dachten genauso. Aber die meisten waren zu diszipliniert, um in den Jammerchor mit einzustimmen. Sie vertrauten aus gutem Grund auf Hasard. Dabei hätte keiner einen Vorwurf erheben können, wenn er selbst aufgegeben und erklärt hätte, daß er auch nicht genau wisse, wo sie sich jetzt befanden.

„Einerlei“, entschied Hasard. „Wir haben keine Wahl. Wir folgen dem Fluß bis zum Meer.“

Er stand auf. Entschlossen nahm er die Axt und begann, einen Pfad zu schlagen. Im Nu war er im Grün des Waldes verschwunden. Nur seine wütenden Axthiebe schallten noch herüber.

Da rafften sich alle noch einmal auf.

Selbst Smoky wurde nicht vergessen.

Der Decksälteste war wieder im Fieberdelirium versunken. Er hörte, ganz fern, hektisch wie das Pochen seines fiebrigen Blutes, diese unheimlichen Trommeln. Und sie ertönten aus der Richtung, in die sie marschierten.

„Indios“, flüsterte Smoky mit heiserer Stimme.

Niemand antwortete ihm. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun. Selbst die beiden Träger, die den Verwundeten aufgenommen hatten und schleppten, beachteten Smokys Worte nicht.

Dabei spürte er, daß Gefahr drohte.

Er hatte von diesen halbnackten Wilden gehört, die scheu wie das Wild umherhuschten und mit vergifteten Blasrohrpfeilen schossen. Wie konnte man gegen Schemen kämpfen? Wenn die Burschen sich entschieden, sie hätten es mit feindseligen Eindringlingen zu tun, gab es für die Crew keine Chance. Einer nach dem anderen würde auf der Strecke bleiben, nur etwas angeritzt von den leichten, aber tödlichen Pfeilen, über deren Wirkung sogar die Spanier Fürchterliches berichteten.

Die Spanier selbst hatten mit kriegerischen Vorstößen dafür gesorgt, daß sich die Eingeborenen gegen alle Weißen wehrten, gegen die spanischen Soldaten ebenso wie die Missionare, die fremde Altäre verbrannt und die eigenen an ihre Stelle gesetzt hatten, gegen die Jagdkommandos, die hier im Urwald billige Arbeitskräfte für Minen und Plantagen aufgestöbert und eingefangen hatten.

Jetzt war nicht nur der Urwald abweisend und feindselig, auch seine Bewohner waren es. Sie meldeten sich gegenseitig mit der Trommel, was in ihren Gebieten geschah. Der Klang dieser Trommeln übte einen merkwürdig hypnotischen Zwang aus und beschleunigte den Herzschlag auf eine Art, daß man Angst spürte und zu ersticken drohte.

Smoky richtete sich auf und röchelte. Seine Hand fuhr zum Herzen. Er wälzte sich von der Trage und stürmte wie blind in den Wald.

Die Männer mußten ihn wieder einfangen.

„Bindet ihn fest. Er hat Fieber“, sagte Hasard erschöpft.

Er hielt die Axt in der Hand. Seine Handflächen waren aufgescheuert und von Blasen übersät. Seine Muskeln schmerzten. Die Arme waren schwer wie Blei nach der langen Führungsarbeit. Aber der Zug stand wieder. Die Männer bewegten sich. Sie resignierten nicht einfach und blieben am Fluß hocken wie Klageweiber. Und wenn sie wütend waren auf Hasard, weil er sie nicht in Ruhe sterben ließ, so konnte das ihre Rettung sein. Wer nicht mehr kämpfte, sondern aufgab, war mit Sicherheit erledigt.

Hasard war hart gegen sich selbst. Er ging voran. Das sicherte ihm den Respekt und die Loyalität seiner Männer.

„Ich übernehme jetzt“, sagte der eiserne Carberry.

Er empfing die Axt und setzte sich an die Spitze. Dann ließ er seine Wut an den Schlingpflanzen und den abgestorbenen Bäumen aus, die den Weg versperrten.

Edwin Carberry, der bullige Profos, führte Selbstgespräche. Jedem Hieb mit der Axt folgte ein kerniger Fluch, begleitet von finsteren Drohungen gegen die Dons.

„Laßt mich erst mal aus dieser grünen Erbsensuppe heraus sein“, knurrte der Klotz mit den gewaltigen Kräften. „Dann mache ich euch Feuer unter dem Achterschiff. Da und da und da!“

Jedesmal teilte er einen Streich aus, der einen Ochsen gefällt hätte. Dabei aber verschliß er seine Kräfte. Sehr bald wurde er ruhiger, ein Zeichen, daß es auch mit ihm bergab ging. Sobald sein Schandmaul verstummte, wurde es ernst.

Das wußte jeder, der den Profos kannte.

Mann hinter Mann, im Gänsemarsch, zog der Haufen der Verlorenen durch den Dschungel. Moskitos in hellen Scharen begleiteten die Opfer. Fliegen umsummten schweißgebadete Körper, setzten sich in die Augen, krochen in die Nase oder gerieten einem in den Mund, wenn man nicht aufpaßte.

Sie litten unter den Halseisen, die sie alle noch trugen. Um die zu entfernen, bedurfte es mehr als nur der Axt Tuckers. Jetzt sammelte sich unter dem Eisenring der Schweiß. Er biß in die wunde Haut, und die Schmerzen waren genauso qualvoll wie die ständigen Stiche der Moskitos, die sich wie toll gebärdeten. Sie hatten ihre fette Zeit und stachen überall hin. Die Gesichter der Männer waren entstellt, ihre Lippen und Augen verquollen.

Die Verzweiflung nahm zu, die Hoffnung ab. Die Trommeln, näher und drohender, untermalten das Geschehen und warnten vor dem unausweichlichen Ende.

Edwin Carberry, schweigsam und mürrisch geworden, schnupperte nervös. Er konnte es fast spüren: Wasser war in der Nähe, mehr als dieses armselige Rinnsal von Fluß, aber kein Meerwasser. Er vermißte den Salzgeruch. Das hier war das übliche Gemisch aus verwesenden Pflanzenresten und faulendem Holz.

Wie zur Bestätigung tauchte der erste Kaiman auf. Carberry bemerkte ihn fast zu spät.

Plötzlich schoß die Echse aus dem Versteck. Ein stinkender Rachen öffnete sich, zwei Reihen schrecklicher Zähne drohten.

Der riesige Rachen schnappte nach Carberry.

In letzter Sekunde warf sich der Profos zurück und holte mit der Axt aus, aber er stolperte.

Ein mörderischer Kampf entbrannte.

Es gab kein Zurück mehr für den Profos. Er mußte sich stellen. Den Pfad verstopften die nachdrängenden Gefährten. Rechts und links war der Dschungel undurchdringlich, er bestand aus einer Mauer himmelhoher Baumriesen, die mit Lianen und Schlinggewächsen verbunden waren. An der Erde, dort, wo der verdammte Kaiman auf der Lauer gelegen hatte, wucherten Farnkräuter.

Die Echse setzte energisch nach und entwickelte auch hier an Land eine beängstigende Geschwindigkeit.

Carberry hatte nicht gewußt, daß die Bestien so flink sein konnten. Er hatte auf den Schädel gezielt, ihn aber verfehlt. Die Schneide der Axt, nicht mehr die schärfste, seit damit die Ketten durchtrennt worden waren, fuhr der Echse in den Rücken und schlug eine mörderische Wunde.

Der Kaiman geriet außer Rand und Band. Der Schwanz peitschte durch die Luft und zerfetzte das armdicke Geflecht der Lianen, als sei es Spinnengewebe.

Der Profos kämpfte ums nackte Leben.

Der Kaiman erneuerte seinen Angriff.

Wieder konnte Carberry nur knapp ausweichen. Das zähnestarrende Maul verfehlte ihn um Haaresbreite.

Mit einem krachenden Geräusch klappten die riesigen Kiefer zusammen. Sie waren es gewohnt, einmal gepackte Beute nie wieder loszulassen. Der Profos wußte genau, was ihm blühte, wenn das Biest ihn erwischte, wobei die Gefahr nicht nur allein von dem fürchterlichen Rachen ausging. Wenn die Echse Schwanzschläge austeilte und ihn traf, dann würde sie ihm die Knochen zerschmettern.

So hielt er sich wohlweislich außerhalb der Reichweite des Kaimans, der sich hartnäckig weigerte, den Rückzug anzutreten. Er grunzte und fauchte.

Vom hinteren Ende der Kolonne wurden ungeduldige Fragen laut. Jemand wollte wissen, warum es nicht weiterginge.

„Ihr habt gut reden!“ brüllte der Profos.

Langsam setzte er sich in Bewegung.

Sofort sperrte der Kaiman wieder: Er hatte nach dem fehlgeschlagenen Angriff nur verschnaufen wollen. Jetzt fühlte er sich wieder bedroht und reagierte sofort.

Unter höckerigen Wülsten saßen geschlitzte tückische Augen, die den Angreifer fixierten.

Tier und Mensch wurden zur selben Sekunde aktiv.

Carberry hatte die Axt hoch über den Kopf geschwungen. Jetzt sprang er mit zwei schnellen Schritten vor, um mit aller Kraft zuzuschlagen. Die Bestie glitt ihm entgegen.

Carberry legte seine ganze Kraft in einen einzigen vernichtenden Schlag. Diesmal zielte er genau. Einen zweiten Patzer konnte er sich nicht leisten, nicht auf diese Entfernung.

Tatsächlich grub sich die Axt in den Schädel des Kaimans.

„Das ist selbst für dich zu harte Medizin, wie?“ stieß Carberry hervor, löste mit Mühe die Schneide aus dem Körper des blutenden Reptils und ließ den zweiten Hieb sofort folgen.

Mehr als ein Dutzend vernichtender Schläge ließ der Profos auf den Schädel der Echse niedergehen, die sich zuckend am Boden wand. Dann war der Weg frei.

Der Profos war reif für die Ablösung. Er konnte nicht mehr.

Ausgepumpt lehnte er an einem Baum und keuchte. Das Haar lag ihm klatschnaß am Kopf. Seine mächtige Brust pumpte wie verrückt.

Wortlos übernahm Batuti die Führung.

Seewölfe Paket 5

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