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3.

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„Gei auf Fock und Großsegel! Fier weg Besan!“

Die Stimme der Roten Korsarin schnitt scharf durch die Stille und hallte über das dunkle Wasser. Querab hob sich die Küste Guayanas als unregelmäßige schwarze Linie vom glutroten Widerschein der versunkenen Sonne ab. Cayenne war nicht mehr weit, aber es hatte keinen Sinn, bei Nacht weiterzusuchen. Die Mondnächte waren hell in den Tropen, doch unter Land lagen die Schatten wie schwarze Nebelbänke. Siri-Tong wollte nicht riskieren, in der Dunkelheit an der „Isabella“ vorbeizusegeln.

Das große Schiff verlangsamte seine Fahrt, die letzten Segel wurden festgelascht.

„Fallen Anker!“ ertönte das Kommando. Die Ankertrosse rauschte aus, wenig später lag der schwarze Segler sicher auf Reede.

Siri-Tong sog tief die Luft ein. Ihre Nasenflügel bebten, in den dunklen, leicht schräggestellten Augen glänzte das letzte Licht. Sie starrte zur Küste hinüber, die allmählich mit Wasser und Himmel verschwamm. Bald würde der rote Widerschein verlöschen, der Himmel sich in eine tiefschwarze Kuppel voller glitzernder Brillanten verwandeln und das Mondlicht die Umgebung mit fahlen Schleiern verhüllen. Siri-Tong grub die kleinen, scharfen Zähne in die Unterlippe. Ungeduld ließ ihre Nerven vibrieren. Ungeduld – und das Bewußtsein, daß dieses ganze Unternehmen ohnehin nur eine hauchdünne Erfolgschance bot.

Daß die Seewölfe mit der „Isabella“ in Schwierigkeiten steckten, stand fest.

Schwierigkeiten aber lauerten hauptsächlich an der Küste: stark befestigte spanische Siedlungen, Galeonen und Karavellen, die diese Siedlungen schützten, schwer bewaffnete Geleitzüge, die die Schiffe mit Gold-, Silber- oder Gewürzladungen zu Verbänden zusammenfaßten und nach Spanien oder dem Sammelpunkt Havanna brachten.

Siro-Tong und der Wikinger nahmen an, daß die „Isabella“ in eine spanische Falle geraten sei. Wie sollten sie die Galeone finden? Allzu dicht an die Küste durften sie sich nicht heranwagen, denn der schwarze Segler war ein zu auffälliges Schiff, das bei den Spaniern sofort Verdacht erregt hätte. Zu weit draußen zu segeln, war erst recht sinnlos.

Die Stimmung an Bord war auf den Nullpunkt gesunken. Immer wieder begannen die Männer zu murren. Vielleicht hätten sie ihrem Ärger längst offen Luft gemacht, wenn da nicht die unerschütterliche, stets wachsame Anwesenheit von Eike, Olig, Arne und dem Stör gewesen wäre, die genau wie der Boston-Mann in der allgemeinen Unruhe wie Felsen in der Brandung wirkten.

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihr Blick glitt über die Gesichter, die im Halbdunkel nur noch verschwommenen Ovalen glichen.

„Arne, du übernimmst das Kommando über die erste Wache! Thorfin, Boston-Mann – ihr kommt in meine Kammer!“

Die Rote Korsarin wandte sich so heftig ab, daß das lange Haar flog. Thorfin Njal grinste leicht. Er wußte, was in der jungen Frau vorging. Und auch ihm riß ja allmählich der Geduldsfaden. Sein kräftiger Kiefer mahlte, als er wenig später neben dem schweigsamen Boston-Mann auf die Kapitänskammer zuschritt.

Siri-Tong wartete bereits. Sie hatte sämtliche Karten, über die sie verfügten, im Licht der blakenden Lampe auf dem Tisch ausgebreitet. Nachdenklich betrachtete sie ein Blatt Papier, auf dem sie etwas aufgezeichnet hatte.

„Der Küstenabschnitt, den wir in den vergangenen drei Stunden passiert haben“, sagte sie. „Es muß uns gelingen, die Stelle auf einer der Karten zu finden. Wenn wir sie haben, wissen wir wenigstens, was zwischen hier und Cayenne noch kommt.“

„Und dann können wir uns einen Platz suchen, um erst mal das Schiff zu verstecken.“ Der Wikinger nickte verstehend. „Nur bringt uns das der ‚Isabella‘ nicht näher.“

Die Rote Korsarin schüttelte ihre Mähne zurecht.

„Doch“, sagte sie. „Weil ich nämlich nach Cayenne gehe.“

Für einen Moment blieb es still.

Der Boston-Mann vollführte eine Bewegung, bei der sein großer goldener Ohrring klimperte. Thorfin Njal kratzte sich mit allen fünf Fingern an seinem Kupferhelm. Er versuchte erst gar nicht, Widerspruch anzumelden. Erstens, weil er Siri-Tongs Talent kannte, ihren Kopf durchzusetzen, und zweitens, weil auch er wußte, daß sie die Sache anders anpacken mußten, als sie es bisher versucht hatten.

„Hm“, brummte er. „Sicher, wenn der ‚Isabella‘ irgendwo in dieser Gegend etwas zugestoßen ist, wird man in Cayenne natürlich davon wissen. Also werden wir uns dort erkundigen.“

„Ich komme mit“, sagte der Boston-Mann.

„Ha!“ knurrte der Wikinger. „Glaubst du vielleicht, ich lege mich an Bord auf die faule Haut, während ihr …“

„Du kannst nicht mitkommen, Thorfin“, sagte Siri-Tong sanft. „Ein Wikinger in einer spanischen Siedlung – die Leute würden zusammenlaufen. Der Boston-Mann geht notfalls als Spanier durch. Und Frauen laufen in Städten wie Cayenne in allen Schattierungen herum. Da müßte schon eine Meerjungfrau mit Schuppenschwanz erscheinen, um aufzufallen.“

Thorfin Njal grinste und kratzte gleichzeitig heftiger an dem Kupferhelm herum, was den Widerstreit seiner Gefühle spiegelte. Auch in diesem Punkt, wußte er, hatte die Rote Korsarin recht. Wikinger in Cayenne waren ein Ding der Unmöglichkeit. Und die anderen rauhen Kerle? Gut, es gab viele darunter, die sich für die Rote Korsarin hätten in Stücke hacken lassen. Aber ob man sich voll und ganz auf sie verlassen konnte, wenn Rum, Musik und willige Mädchen lockten, war entschieden zu bezweifeln.

„Gut“, brummte der Wikinger. „Das ist ja soweit ganz schön. Aber wir können mit unserem Drachen nicht in den Hafen von Cayenne segeln und …“

„Wir versuchen es auf dem Landweg. Irgendeine Tarnung werden wir ohnehin brauchen. Vielleicht können wir uns einen Frachtwagen schnappen, irgendeine kleinere Handelskarawane überfallen.“

„Genau das“, sagte der Wikinger. „Als Händler werdet ihr bestimmt keinen Verdacht erregen. Und auf diese Weise können wir auch gleich die Frauenkleider herschaffen, die du brauchst.“

Der Boston-Mann nickte beifällig. Thorfin Njal grinste breit. Erst mit leichter Verspätung fiel ihm auf, daß Siri-Tong ihn anstarrte, als habe er von ihr verlangt, nackt auf einem Kamel in Cayenne einzureiten.

„Frauenkleider?“ wiederholte die Rote Korsarin. „Sagtest du Frauenkleider, Thorfin?“

„Sicher, wir …“

„Ich soll Weiberröcke anziehen? Ich?“

Der Wikinger seufzte. „Nun hör mal zu! Wir …“

„Nein!“ fauchte Siri-Tong. Ihre Augen sprühten Funken, und als sie den Kopf schüttelte, schien die schwarze Mähne zu knistern. „Nein, nein, nein! Ich denke nicht daran! Nicht in hundert Jahren kriegst du mich dazu, in einem dreimal verdammten, albernen Weiberrock zu steigen! Ich gehe nach Cayenne, wie ich bin!“

„Aber du kannst nicht in Hosen nach Cayenne gehen“, sagte Thorfin geduldig. „Das mußt du doch einsehen! Zehn nackte Wikinger würden weniger Aufsehen erregen als eine einzige Frau in einer Verkleidung, die …“

„Verkleidung? Hast du Verkleidung gesagt?“ Siri-Tongs Augen sprühten nicht mehr, sondern schleuderten Blitze. Sie atmete so heftig, daß die Knöpfe ihrer roten Bluse in ernsthafte Gefahr gerieten. „Sehe ich vielleicht verkleidet aus, du verrücktgewordener nordischer Steinzeitmensch? Verkleidet sind die albernen Weibsbilder, die in Röcken herumlaufen, mit denen sie an jedem verdammten Belegnagel hängenbleiben und keinen ordentlichen Schritt tun können, ohne sich auf die Säume zu treten. Soll ich mir vielleicht den Degen ans Dingsda hängen, ans Strumpfband oder wie das heißt? Oder soll ich mit einer Hutnadel pieken, wenn mir jemand krummkommt?“ Sie schüttelte den Kopf und atmete tief aus. „Und wenn ganz Cayenne sich auf den Kopf stellt – ich ziehe keine Weiberröcke an. Basta!“

„So“, knurrte der Wikinger.

Er hatte schweigend zugehört, weil es ein hoffnungsloses Unterfangen war, die Rote Korsarin unterbrechen zu wollen, wenn sie in Fahrt war. Aber auf seiner breiten Stirn hatten sich tiefe Unmutsfalten gebildet, sein mächtiger Brustkasten hob sich unter einem tiefen Atemzug, und dann war er es, der loslegte.

„So!“ wiederholte er. „So ist das! Madame zieht keine Weiberröcke an! Die ganze verdammte Gegend wimmelt von Spaniern, jeder verdammte Don kennt die Beschreibung der Roten Korsarin, aber Madame zieht keine Weiberröcke an! Der Seewolf und seine Männer stecken in wer weiß welcher Klemme, sind vielleicht in Gefangenschaft geraten, werden vielleicht morgen schon abgemurkst, aber Madame zieht keine Weiberröcke an! Madame geht in Hosen nach Cayenne! Damit sie innerhalb der ersten fünf Minuten von den Spaniern geschnappt wird, was? Damit sie schneller im Jenseits landet, als irgend jemand denken kann! Vielleicht sind die Dons großzügig und spendieren dir einen hübschen Grabstein. Da kannst du es ja dann einmeißeln lassen: Madame starb in Hosen!“

Er holte Atem. Es klang sehr nach dumpfem Donnergrollen. Siri-Tong schluckte erschrocken.

„Aber …“ begann sie, schon merklich kleinlauter.

„Tu, was du willst! Aber du mußt dich schon entscheiden. Wenn du auf deinem großen Auftritt als Rote Korsarin in Cayenne bestehst, wirst du bestimmt nichts über die ‚Isabella‘ erfahren!“

Zur Bekräftigung seiner Worte ließ der Wikinger die Faust auf den Tisch fallen. Die Seekarten gerieten durcheinander, der Krach erinnerte entfernt an einen Kanonenschuß. Siri-Tong preßte die Lippen zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und schleuderte Blicke, die einen Vulkan hätten einfrieren können.

Aber sie wußte, daß Thorfin Njal recht hatte. Ihre nächsten Worte bewiesen es.

„Na schön“, sagte sie gepreßt. „An mir soll es nicht scheitern. Schaff mir den verdammten Weiberrock her, und ich werde ihn anziehen.“

Zwei Stunden später lief der schwarze Segler in eine versteckte Bucht nördlich von Cayenne.

Unter Führung des Boston-Mannes gingen ein paar Männer der Crew an Land. In einem halbstündigen Marsch erreichten sie eine der Handelsstraßen, die ins Landesinnere führten, und diesmal meinte es die Vorsehung gut mit ihnen.

Die kleine Karawane aus Maultieren und einem hochbeladenen Frachtwagen, die Cayenne zustrebte, war leichte Beute. Zwei Frauen verkrochen sich kreischend unter der Wagenplane, als sie sich plötzlich umringt sahen.

Die beiden Männer auf den Maultieren waren vom Anblick der wilden, verwegenen Gestalten wie gelähmt und wehrten sich nicht. Sie wurden bleich, als Hilo und der vierschrötige Juan ihre Säbel zogen, aber der Boston-Mann stoppte die beiden mit einem scharfen Zuruf.

„Fesselt sie! Hier wird niemand niedergemetzelt, der sich ergeben hat. Wir bringen sie an Bord, klar?“

Juan knurrte etwas Unverständliches, aber er wußte, daß es nicht ratsam war, sich mit dem Boston-Mann anzulegen. Die beiden Spanier atmeten erleichtert auf, auch die Frauen wagten sich jetzt unter der Plane hervor. Sie zitterten an allen Gliedern. Die Aussicht, auf ein Piratenschiff gebracht zu werden, erschien ihnen offenbar als der Gipfel aller Schrecken. Daran konnte auch die Versicherung des Boston-Mannes nichts ändern, sie hätten nichts zu befürchten und man werde sie bald wieder freilassen.

Maultiere und Wagen wurden so dicht an die Bucht herangebracht, wie es der Pfad zuließ. Die jüngere der beiden Frauen riß die Augen auf, als der Boston-Mann sie bat, ein paar von ihren Kleidungsstücken leihweise zur Verfügung zu stellen. Für eine Frau an Bord, fügte er hinzu. Da wurde die spanische Lady eifrig, weil sie in dieser Frau ein armes verschlepptes Opfer vermutete.

Siri-Tong stand mit funkelnden Augen auf dem Achterdeck, als die Händler an Bord gebracht wurden.

Die beiden Spanier vergaßen einen Teil ihrer Angst und kriegten das gewisse Flimmern im Blick, das der Anblick der Roten Korsarin bei fast allen Männern auslöste. Auf die beiden Frauen wirkte die schlanke, straffe Gestalt mit der flatternden schwarzen Mähne, den knappsitzenden Schifferhosen und der roten Bluse einschüchternd. Sie hielten sich an den Händen und preßten sich aneinander wie aufgescheuchte Hühner. Der Anblick des rotbärtigen, in Felle gekleideten Wikingers brachte sie vollends an den Rand einer Ohnmacht.

Thorfin Njal hatte seine liebe Mühe, ihnen auseinanderzusetzen, was man von ihnen wollte. Siri-Tong hörte schweigend zu. Sie hatte nicht gewußt, daß dieses Gebirge von Kerl soviel Zartgefühl entwickeln konnte, und ihre eisige Miene verriet deutlich, was sie davon hielt, um zwei Weiber in Röcken einen solchen Schmus zu machen.

„Kommst du heute nacht noch zu einem Ende, Thorfin?“ fragte sie schließlich gefährlich leise.

Der Wikinger grinste. „Aber klar doch! Senorita Agnessa wird dich in eine echte, eh, Landratte verwandeln.“

Beinahe hätte er Dame gesagt, aber er bremste sich, weil er sich nicht gern die Augen auskratzen lassen wollte. „Ihre Kleider dürften dir ungefähr passen“, fuhr er fort. „Und dann, eh, solltest du dein Haar ein bißchen in Locken legen. Zur Tarnung …“

„Locken? Bist du verrückt?“

„Zur Tarnung!“ wiederholte der Wikinger beschwörend.

Siri-Tong warf ihm einen wahrhaft vernichtenden Blick zu, aber diesmal verzichtete sie darauf, ihre Meinung deutlicher zum Ausdruck zu bringen.

Es ging um den Seewolf.

Um den Mann, den sie liebte.

Um einen wichtigen Verbündeten, wie sie sich selbst einzureden versuchte – und da durfte auch im allgemeinen Interesse kein Opfer zu groß sein.

Cookie, der schmierige Koch, sperrte Mund und Nase auf, als er wenig später vorsichtig ein Becken mit glühenden Kohlen in Siri-Tongs Kammer schleppte und die Rote Korsarin in Gesellschaft einer kreidebleichen spanischen Senorita vorfand. Siri-Tongs Blick war so mörderisch, daß dem Koch fast das Kohlenbecken aus der Hand fiel und er schleunigst das Weite suchte. Die Rote Korsarin knallte die Tür zu. Mit verschränkten Armen beobachtete sie, wie die arme Agnessa eine lange Lockenschere in die Glut schob – mit einem Gesicht, als treffe sie die Vorbereitungen für ihre eigene Hinrichtung.

Fünf Minuten später war es soweit. Agnessas Finger zitterten, als sie die Brennschere aus der Glut nahm und darauf wartete, daß sich das Metall etwas abkühlte. Siri-Tong runzelte die Stirn. Ihr erschien das Ding wie ein äußerst sinnreich konstruiertes Folterwerkzeug. Und damit bearbeiteten Spanierinnen ihre Haare?

„Wenn du mich mit dem Ding verbrennst, lasse ich dich kielholen“, versprach sie.

Die bedauernswerte Agnessa wurde noch etwas bleicher, obwohl – oder gerade weil – sie nicht die geringste Ahnung hatte, was kielholen bedeutete.

„Wenn – wenn Sie sich vielleicht setzen würden?“ stammelte sie.

Siri-Tong setzte sich. Agnessa stand der Schweiß auf der Stirn. Das Schiff schaukelte in der Dünung. Ihre Finger zitterten. Die rätselhafte Drohung mit dem Kielholen rumorte in ihrem Kopf, und in den nächsten Minuten hatte sie das Gefühl, mit Siri-Tongs schwarzer Mähne einen Kampf auf Leben und Tod auszufechten.

Nach einer Viertelstunde fand sie fast schon Spaß an der Sache.

Schwesterlich teilte sie ihre eigenen Haarnadeln, um der Frisur den letzten Schliff zu geben. Das Haar wurde in der Mitte gescheitelt und an den Seiten zurückgenommen. Eine Flut weicher Wellen fiel in den Nacken, und als die Rote Korsarin einen Blick in einen Handspiegel riskierte, starrte sie in ein sanftes Madonnengesicht.

„Heiliges Kanonenrohr“, murmelte sie erschüttert.

Agnessa strahlte, stolz auf ihr Werk, aber das änderte sich, als Siri-Tong ihr einen wilden Blick zuschleuderte.

„Raus!“ zischte die Korsarin. „In die verdammten Röcke kann ich allein steigen.“

Agnessa suchte das Weite. Siri-Tong stieg aus den Schifferhosen, schleuderte die Bluse in die Ecke und begann, die diversen Röcke und Unterröcke zu sortieren, die idiotischerweise alle gleichzeitig getragen werden mußten.

Eine Hose, stellte sie fest, war auch dabei: ein knielanges Kuriosum mit Rüschen und Bändchen und Schleifchen. Mit Todesverachtung stieg sie hinein, schnappte sich das Mieder und warf es zwei Minuten später der roten Bluse hinterher, weil ihrer Meinung nach zwei kräftige Männer nötig gewesen wären, um es zuzuschnüren.

Als letztes folgte das Kleid: dunkelrote Seide, ebenfalls mit lächerlich vielen Rüschen und Schleifen. In der Taille saß es wie angegossen. Obenherum spannte es bedrohlich. Und es ließ entschieden mehr sehen, als zwei offene Blusenknöpfe es taten.

Jetzt, da sie allein war, warf Siri-Tong einen etwas ausgiebigeren Blick in den Handspiegel.

War sie das wirklich selbst? Eben noch hatte sie ausgesehen wie eine exotische Madonna mit Mord im Blick, jetzt trat auch in ihre Augen ein weicherer Ausdruck. Sie lächelte.

„Du würdest staunen, Seewolf“, flüsterte sie.

Und im nächsten Moment begannen ihre Augen wieder zu funkeln, weil sie sich dabei ertappte, daß sie sich nur zu sehr wünschte, Philip Hasard Killigrew wäre da und könnte sie sehen.

Mit einer wilden Bewegung wandte sie sich ab und stieß die Tür auf.

Mondlicht fiel auf das Deck. Siri-Tongs Pfirsichhaut schimmerte und hob sich hell und sanft vom dunklen Glanz der Seide ab.

Das Haar umspielte ihr rassiges Gesicht in weichen Wellen und untermalte den geheimnisvollen exotischen Zauber ihrer Züge. Die Männer auf der Kuhl hatten das Gefühl, einen Traum zu erleben.

Tiefe, andächtige Stille breitete sich aus. Eine Stille, die Siri-Tong erst bewußt wurde, als sich der Wikinger heftig an seinem Kupferhelm kratzte.

Ihre Augen blitzten auf. Mit einer heftigen Bewegung stemmte sie die Fäuste in die Hüften, warf den Kopf zurück und verstreute Haarnadeln.

„Was steht ihr da und glotzt?“ fauchte sie. „Das ist ein Schiff und kein Schmierentheater. Boston-Mann, wieso, in drei Teufels Namen, ist das Boot noch nicht abgefiert? Bewegt ihr euch jetzt, oder soll ich euch Beine machen?“

Der Boston-Mann flitzte. In die Männer kam schlagartig Bewegung. Thorfin Njal kratzte immer noch ausdauernd an seinem Kupferhelm.

„O verdammt“, flüsterte er.

Und das war im Moment der einzige Kommentar, der ihm einfiel.

Seewölfe Paket 5

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