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9.

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Der Hufschlag war noch nicht verklungen, da verließen die Piraten das Haus bereits durch die andere Tür, die sich zur See hin öffnete. Grammont trieb seine Männer zur Eile an. Arzot hatte das Feuer im Kamin löschen müssen, Ferret hatte rasch die Waffen zusammengesammelt, die in einer Ecke des Raumes gelehnt hatten, Musketen und Tromblons, die er jetzt im Dahinschreiten verteilte.

Diese „Hornet“ und die zweite Galeone, die in der Bucht von Sillon de Talbert ankerten und fast auf sie zu warten schienen, waren für Yves Grammont und seine Kerle ein gefundenes Fressen. Für jedes Schiff, das er versenkte, kassierte der bärtige Anführer eine erkleckliche Summe Geld, egal, ob dieses Schiff nun Reichtümer an Bord hatte oder nicht.

Die Waffen, die er seinen Prisen außerdem zu entnehmen pflegte, ließen sich hervorragend verkaufen. Er hatte seine festen Abnehmer dafür: Sie gingen durch die Hände der Spanier und wurden von diesen nach Rennes verkauft, an die Bourbonen. Somit unterstützte man nach Kräften Heinrich von Bourbon, der demnächst der neue König werden sollte, wenn alles nach Plan verlief.

Nur etwa fünfhundert Yards weit brauchten die Piraten zu laufen, dann hatten sie die Bucht erreicht, in der ihre Schiffe vor Anker lagen. Sie hatten Glück, es regnete im Augenblick nicht mehr, ihre Waffen wurden nicht naß. Trocken brachten sie sie an Bord der Schiffe und verstauten sie hier sofort in den Lasten, so daß sie jederzeit einsatzfähig waren.

Grammont hatte als erster eins der bereitliegenden Beiboote geentert. Jetzt ließ er sich von seinen Männern zu seinem Flaggschiff, der Dreimast-Galeone „Louise“ bringen.

Auch die anderen Kerle machten ihre Boote flott, stiegen hinein und pullten zu den anderen Schiffen – zur „Petite Fleur“, der zweiten Galeone des Verbandes, und zu den beiden Karavellen „Antoine“ und „Coquille“. Sie wurden von den Ankerwachen erwartet und begrüßt, die Jakobsleitern waren bereits ausgebracht. Sie brauchten nur erstiegen und eingeholt zu werden.

Grammont suchte unverzüglich das Achterdeck der „Louise“ auf, gab die erforderlichen Befehle und sah dann seinen Leuten zu – Arzot, Ferret und den anderen –, die sich hastig auf ihre Posten begaben, das Gangspill zu drehen begannen und die Segel aus dem Gei lösten.

Auf den drei anderen Schiffen wurden die gleichen Vorkehrungen getroffen, und bald darauf lagen alle vier Schiffe zum Auslaufen bereit. Knatternd bauschte sich ihr Zeug vor dem rauhen, vom öden Küstenland herüberpfeifenden Südwind.

Die „Louise“ setzte sich an die Spitze und geleitete ihr Gefolge aus der Einfahrt auf die offene See hinaus, wo sie die schwarzen, schäumenden Wogen empfingen. Der Tanz begann, die Schiffe stiegen die Wellen hoch und tauchten in Täler hinunter, als wollten sie darin untergehen, und oft holten sie so weit nach Backbord über, daß sie querzuschlagen drohten.

Doch sie hielten sich in der schweren See und gingen mit schneller, rauschender Fahrt auf Ostkurs, in Richtung Sillon de Talbert.

Die „Louise“ war etwas mehr als zweihundertfünfzig Tonnen groß und mit vierzehn Kanonen des 17-Pfünder-Kalibers bestückt. Die „Petite Fleur“, ebenfalls ein Dreimaster, war um ungefähr fünfzig Tonnen kleiner als Grammonts Schiff und verfügte nur über zwölf Geschütze.

Die „Antoine“ und die „Coquille“ waren lateinergetakelte Zweimaster mit je acht Kanonen.

Pierre Servan hatte wie üblich das Kommando über die „Antoine“ übernommen, Jean Bauduc führte die „Petite Fleur“. Der Kapitän der „Coquille“ war ein Mann namens Saint-Jacques. Dieser Saint-Jacques war einer der härtesten und unberechenbarsten Kerle aus Grammonts Meute. Seine Physiognomie war geprägt durch eine große, leicht gekrümmte Nase, tiefliegende Augen und einen verkniffenen Mund. Er hatte lichtes brünettes Haar und einen Bartansatz, der Vergleiche mit einem Stoppelacker zuließ.

Jedes Schiff war mit über einem Dutzend Piraten bemannt, so daß sich eine Übermacht von fünfzig und mehr Kerlen der Ankerbucht der „Hornet“ und der „Fidelity“ näherte. Zwar hatten sie mit insgesamt zweiundvierzig Kanonen keine bessere Armierung als Hasard und Easton Terry, doch sie hatten die doppelte Anzahl an Schiffen und damit die besseren Angriffsmöglichkeiten und die größere Beweglichkeit.

Und noch etwas hatte Grammont: das Überraschungsmoment war, wie er fest annahm, auf seiner Seite. Im Schutze der Felsen, die die Einfahrt der Bucht säumten, würde er sich anpirschen. Die Sicht war denkbar schlecht, es war so dunkel wie am Abend. Die Wetterverhältnisse waren seine Verbündeten – die Engländer würden ihn und seine Leute erst bemerken, wenn sie bereits mitten unter ihnen waren.

Die Engländer saßen in der Falle.

Rasch näherten sich die vier Piratensegler der Bucht, die Distanz betrug nur noch drei Meilen und schrumpfte schnell zusammen. Das Unheil bahnte sich an, der große Überfall würde noch am Vormittag stattfinden. Die Dinge nahmen ihren Lauf und ließen sich nicht mehr aufhalten. Wie würde das Gefecht enden?

Der Regen peitschte wieder ihre Gestalten, doch sie hatten entsprechend vorgesorgt und sich dick vermummt. Dan O’Flynn und Bill kauerten auf der einen Seite der Einfahrt zwischen den Felsen und hielten zur See hin die Augen offen.

Drüben, an der Ostseite, hatten sich Mulligan und Bingham versteckt. Alle vier sollten sie dem Seewolf und Easton Terry sofort melden, wenn sich auch nur ein harmlos wirkender Fischerkahn auf der See zeigte.

„Glaubst du, daß die Hunde heute noch aufkreuzen?“ fragte Bill.

„Darauf läßt sich schwer antworten“, erwiderte Dan. „Bislang haben wir ja keinen Menschen gesehen. Falls die Franzmänner hier irgendwo ihre Posten sitzen haben, sind diese schon sehr auf der Hut. Wir haben das Gebüsch am Ufer der Bucht abgekämmt und niemanden gefunden. Das will aber nichts heißen. Man kann sich dort sehr gut verstecken, und wir kennen uns schließlich hier nicht so aus wie daheim in Cornwall.“

„Ja. Wie wär’s, wenn wir eine Wette abschließen würden?“

„Ob die Bastarde sich zeigen oder nicht?“

„Genau das. Ich setze einen Copper darauf, daß sie auftauchen, ehe die Mittagsstunde vorbei ist“, sagte Bill.

„Das glaubst du wirklich?“ stieß Dan überrascht aus. „Du bist aber ein Optimist!“

„Sag so was nicht. Es ist eher Pech, wenn wir Besuch von den Bretonen kriegen. Schließlich müssen wir uns dann mit ihnen herumschlagen.“

Dan grinste. „Ja, aber sie erleben ihr blaues Wunder. Die denken nämlich, sie haben leichtes Spiel mit uns. Ruhig Blut, Bill, wir heizen denen schon tüchtig ein.“

„So, wie wir es im Mittelmeer Uluch Alis Bande gezeigt haben?“

„Genauso.“

„Also los, ich lasse ein Achterstück springen“, sagte Bill grinsend.

„Und ich halte zwei Piaster dagegen“, entgegnete Dan, der in seinen Taschen herumgekramt hatte. „Vor heute abend läßt sich hier keiner blicken, es sieht jedenfalls nicht danach aus.“

Wenig später aber glaubte er auf See eine Bewegung zu bemerken und ließ sich von Bill das Spektiv geben. Er zog es auseinander, spähte eine Zeitlang hindurch, dann ließ er es wieder sinken, griff wortlos in die Tasche und holte die zwei Piaster heraus.

Er drückte sie dem verdutzten Bill in die Hand und sagte: „Hier! Du hast gewonnen. Wette ist Wette. Sie kommen.“

„Zur Hölle, Dann, ich kann aber nichts sehen!“ rief Bill. Er nahm das, Messingrohr entgegen und blickte selbst hindurch – und erst jetzt erkannte auch er, daß sich da draußen undeutlich etwas regte. „Du hast immer noch die schärfsten Augen von uns allen“, sagte er bewundernd. „Wie viele Schiffe sind es denn? Ich sehe zwei, die Kurs auf die Bucht nehmen.“

„Drei, vielleicht sogar vier“, korrigierte Dan, dann stand er auf und gab Mulligan und Bingham ein Zeichen. Mulligan winkte zurück, er hatte verstanden. Er wechselte ein paar Worte mit Bingham, nahm dann sein Spektiv zur Hand und hielt ebenfalls nach Nordwesten Ausschau. Von dort aus näherte sich der feindliche Verband, zwei Galeonen und zwei Karavellen, und über die Absichten dieses stattlichen Vierer-Konvois schien kein Zweifel zu bestehen.

Dan und Bill waren aufgestanden. Sie bewegten sich ein Stück weiter auf die Einfahrt zu, blickten wieder zu den fremden Schiffen, verständigten sich noch einmal mit Mulligan und Bingham und nahmen dann ihr Boot, um zur „Hornet“ zu pullen. Dann stieß einen Pfiff aus, der die Männer an Bord der Galeone alarmierte. Auch an Bord der „Fidelity“ wurde man hellhörig.

„Vier Schiffe nehmen Kurs auf die Bucht!“ schrie Dan. „Zwei Dreimaster, zwei Zweimaster. Sie kreuzen, aber es ist offensichtlich, daß sie uns einen Besuch abstatten wollen!“

Hasard, der ans Schanzkleid des Achterdecks der „Hornet“ getreten war, blickte zu der Jolle, die jetzt längsseits ging, dann zu dem zweiten Boot, in dem sich Bingham und Mulligan der „Fidelity“ näherten. So war es vereinbart: Bei Gefahr kehrten die Ausguckposten von der Einfahrt an Bord ihrer Schiffe zurück. Die Gefahr war akut, auch der Seewolf glaubte sofort fest daran, daß das Auftauchen der fremden Schiffe ihnen galt.

Unschwer ließ sich die Absicht des anrückenden Gegners erkennen, zielstrebig kämpften sich die beiden Galeonen und die beiden Karavellen in der schweren, aufgewühlten See auf die Bucht von Sillon de Talbert zu.

Hasard ließ Easton Terry signalisieren und erteilte ihm seine Befehle, und nun ging es los. Längst waren die „Hornet“ und die „Fidelity“, obgleich ihre Geschütze nach wie vor getarnt waren, klar zum Gefecht. Jetzt wurden auch die Anker gelichtet, damit die Schiffe im Falle eines Angriffs sofort beweglich waren – eine zeitraubende Tätigkeit, die bei einer überraschenden Attacke zum Verhängnis werden konnte.

Hasard kletterte auf die Kampanje seines Schiffes und beobachtete den nahenden Verband durch sein Spektiv. Auch Ben Brighton, Big Old Shane und Old O’Flynn hatten sich aufs Achterdeck begeben und hielten durch ihre Rohre Ausschau nach Nordwesten.

„Mein Kieker verrät mir so einiges“, sagte der alte O’Flynn, der von dem bevorstehenden Ereignis gefesselt war. „Wir haben da zwei ordentlich bestückte Galeonen und zwei wendige, flinke Karavellen. Ich weiß wirklich nicht, welche von den Kähnen uns gefährlicher werden könnten.“

„Wenn wir sie reinlassen, sitzen wir in der Falle“, brummte Shane. „Bin mal gespannt, was Hasard jetzt vorhat. Bisher hat er’s uns ja nicht verraten wollen.“

Der Seewolf hatte jedes Wort verstanden. Er ließ das Spektiv sinken, schob es zusammen und grinste.

„Shane“, sagte er laut. „Hast du schon mal was vom verlorenen Lamm gehört, das seine Herde sucht?“

„Ich? Wieso? Steht das in der Bibel? Ich lese doch keine Bücher!“

„Nehmen wir mal an, der ‚Hornet‘ bricht die Ankertrosse“, sagte Hasard und sprang von der Kampanje zum Achterdeck hinunter. „Der Südwind drückt sie auf die offene See hinaus. Die Ankerwache pennt. Der Kapitän tobt, als er merkt, was los ist – und dann hat er seine Mühe, in die Bucht zurückzukehren, weil ihn der Wind und die Strömungen viel zu weit aufs Meer hinaustreiben.“

„Und er ist so mit der Sache beschäftigt, daß er gar nicht bemerkt, wen er im Rücken hat“, fügte Ben grinsend hinzu. „Eine gute Idee.“

„Ja“, sagte nun auch Shane und lachte. „Dann wollen wir mal, was?“

Hasard ließ Easton Terry wieder Zeichen geben, Terry mußte mit der „Fidelity“ in der Bucht bleiben. Hasards Männer hingegen setzten die Segel, und dann glitt die „Hornet“ geisterhaft schnell durch die Ausfahrt aufs offene Meer hinaus.

„Wir lassen die Kerle zappeln, bis sie dicht heran sind“, sagte Hasard. „Dann tun wir so, als hätten wir sie erst jetzt entdeckt, und geben ein Notsignal. Ben, sag Batuti Bescheid, er soll den Vormars entern.“

„Aye, Sir.“ Ben wies mit dem Kopf zu den vier Schiffen, die jetzt mit bloßem Auge zu erkennen waren, wenn man sich ein wenig Mühe gab. „Was meinst du, ob die sich wirklich von uns leimen lassen?“

„Das wird sich ja zeigen“, erwiderte der Seewolf grimmig. „Und dann wissen wir gleich, woran wir sind und können die Hunde richtig einschätzen.“ Er war wieder ganz der Alte, in seinen eisblauen Augen blitzte es verwegen und angriffslustig.

Seewölfe Paket 15

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