Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 41

6.

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Ferris Tucker fühlte sich, als hätte ihm jemand den Schädel mit einem Belegnagel von allen Seiten bearbeitet. Unter seinem Rotschopf hämmerte und brauste es wie in einer Zimmerei. Er versuchte, die Augen zu öffnen, schloß sie aber schnell wieder, denn was er sah, brachte ihn ganz durcheinander.

Die Welt um ihn herum schaukelte wie der Hintern einer der Damen, die neben der „Bloody Mary“ in Plymouth auf Kundschaft warteten. Die Leute, die auf dieser schaukelnden Erde spazierengingen, hatten nur Beine, keinen Körper.

Ferris bemühte sich, seine Gedanken einigermaßen zu ordnen. Er sagte sich, daß an seinem neuen Weltbild irgend etwas nicht stimmen konnte.

Sein Kopf wurde langsam klarer, das Hämmern ließ ein bißchen nach, aber dafür verlagerte sich der Schwerpunkt seines Unwohlseins in seine Magengegend. Jemand drückte permanent auf seinen Bauch. Versuchte man, seinen Magen leerzupumpen?

Er entschloß sich, die Augen abermals zu öffnen. Diesmal wollte er genau erkunden, was es mit seinem neuen Weltbild auf sich hatte.

Das Schaukeln ließ ihn schwindlig werden, dennoch behielt er die Augen offen und starrte an einer dunklen, haarigen Fläche vorbei auf die Beine, die in dreckige Lumpen und zerschlissene Sandalen gehüllt waren. Die meisten Waden waren nackt und steckten in gestreiften Hosen, die unterhalb des Knies endeten.

Er wollte die Hände heben, um an seinen Kopf zu fassen, aber es ging nicht. Er drehte den Kopf ein wenig, da sah er die Hände. Sie waren mit einem Lederriemen gebunden. Ein Kälberstrick führte von seinen Händen an der haarigen Fläche vorbei ins Nichts.

Er hörte einen klatschenden Laut, jemand brüllte „Iaah“, und dann begann ein Höllenritt, der ihm die ganzen Eingeweide durcheinanderbrachte.

Ferris Tucker brüllte. Er wußte jetzt, daß die Welt immer noch so war, wie er sie verlassen hatte. Die Schweinehunde hatten ihn auf den Rücken eines Esels gebunden und verschleppten ihn!

Der Esel blieb stehen, und Ferris brauchte eine Weile, bis er das Gefühl hatte, daß alles in seinem Körper wieder am richtigen Fleck war.

Eine Hand griff in sein rotes Haar und riß seinen Kopf mit einem Ruck hoch, daß er glaubte, sein Genick müßte brechen.

„Sieh mal an, der verdammte verräterische englische Hurensohn ist wieder lebendig“, sagte eine scharfe Stimme in einem fürchterlichen Französisch.

Ferris hatte nur das Wort Hurensohn verstanden, sonst wäre er wahrscheinlich wütend geworden.

„Bindet mich los, ihr Blödmänner!“ knurrte er. Er war selbst ein wenig verwundert, aber es war tatsächlich seine Stimme gewesen, die da gesprochen hatte. Es wurde Zeit, daß er sie mal wieder mit einer Portion Rum behandelte.

Sie schienen ihn verstanden zu haben, denn ein grauhaariger Mann mit einem dunklen Gesicht und jettschwarzen Augen beugte sich neben ihm nieder und löste den Kälberstrick, der seine gefesselten Hände und seine Füße miteinander verband.

Ferris Tucker geriet ins Schwanken, als der Esel einen Schritt vorwärts tat, und wenn ihn nicht Hände gepackt hätten, wäre er wohl mit dem Kopf voran aus dem Sattel gerutscht.

Er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als sie ihn auf die Füße stellten. Ein scharfes Stechen wie von tausend nadelspitzen Messern zuckte durch seine Beine. Das Hämmern in seinem Kopf nahm wieder zu, für einen Augenblick wurde es ihm schwarz vor den Augen.

Er faßte sich mit den gefesselten Händen an den Kopf und hätte fast wieder gebrüllt. Er spürte eine hühnereigroße Beule, von der das Hämmern stammte, an seiner rechten Schläfe.

Starke Arme stützten ihn. Er hörte Stimmen, verstand aber nicht, was die Leute sagten.

Als das Stechen in den Beinen verschwand, drehte er vorsichtig den Kopf. Er blickte in die grimmigen Gesichter von fast dreißig Kerlen und einem Esel, dessen kleine Augen ihn tückisch musterten.

Instinktiv trat er einen Schritt zurück. Sein Absatz bohrte sich in einen Fuß, und das Gebrüll, das der Mann ausstieß, tat ihm in den Ohren weh.

Er ließ seinen Absatz eine Weile an seinem Platz, bevor er ihn wieder entlastete. Er blickte sich um und sah einen Mann, der einen Veitstanz aufführte, den einen Fuß in den Händen.

Ferris grinste höhnisch, was ihm eine Maulschelle von dem Grauhaarigen einbrachte.

Er schüttelte den Kopf etwas und dachte: Dein Glück, Bursche, daß du meine linke Seite getroffen hast! Sonst wäre ich dir mit beiden Füßen in den Bauch gesprungen und hätte dich zu Mus getrampelt!

Ein schwarzes Loch von der Größe eines Talers war dicht vor seinem Gesicht.

„Noch eine dumme Bewegung von dir, Engländer“, knurrte Montbars, „und ich schieße dir den Kopf von den Schultern!“

Ferris Tucker verstand nicht viel von den Worten, aber dennoch war es eindeutig, was der Kerl meinte. Er verhielt sich ruhig.

Sie palaverten eine Weile, und er fragte sich, warum die Kerle eigentlich alle so sprachen, als hätten sie Schnupfen. Oder sie haben wirklich einen, dachte er. Schließlich hatten sie in der Nacht ja eine ganze Weile in dem kalten Wasser des Kanals schwimmen müssen.

Er wurde wieder von mehreren Männern gepackt und auf den Rükken des Esels gehievt, diesmal im Reitersitz. Das verdammte Biest versuchte, nach seinem rechten Bein zu schnappen, und es erwischte tatsächlich ein Stück von seiner Hose. Ferris trat ihm dafür mit den Hakken in die Seiten, und das Grautier revanchierte sich prompt mit einem Luftsprung, der Ferris garantiert zurück auf den Boden befördert hätte, wenn er nicht immer noch von ein paar Händen gehalten worden wäre.

Einer schnappte die Zügel des Esels und gab ihm keine Gelegenheit mehr, nach den Beinen seines Reiters zu schnappen. Die harten Stöße des Eselsrittes brachten zuerst wieder alles in Ferris’ Innerem durcheinander, doch nach einer Weile hatte er sich an den stakkatohaften Rhythmus gewöhnt und konnte die kantigen Bewegungen etwas ausgleichen.

Ferris Tucker begann langsam wieder klar zu denken. Sie hatten ihn nicht getötet, sondern entführt. Das hieß, sie wollten etwas von ihm wissen oder brauchten ihn als Geisel, um etwas zu erreichen.

Er knurrte innerlich. Die Kerle würden sich noch wundern, wenn er erst einigermaßen wieder in Ordnung war. Er spürte den leichten Druck in der Tasche an seiner linken Seite am Oberschenkel. Die Bastarde haben mich nicht mal untersucht! dachte er. Wenn ich die Hände frei habe, werde ich ihnen die Flaschenbombe unter den Ärschen anzünden, daß sie ihre Höllenfahrt mit Donner und Blitz antreten können!

Er begann damit, die Hände unauffällig zu bewegen, um die Lederriemen zu lockern, aber sie saßen sehr fest und schnürten ihm das Blut immer mehr ab, je stärker er die Hände bewegte.

Nach einer Weile gab er auf.

Sie bewegten sich immer noch durch den dampfenden Wald. Ferris Tucker mochte die Luft nicht, die hier herrschte. Sie beklemmte ihn. Er war die reine, salzhaltige Luft des Meeres gewöhnt und atmete schwer unter der drückenden, feuchten Witterung, die hier herrschte.

Er fühlte sich erst wieder wohler, als sie den Rand des Waldes erreichten.

Die Piraten blieben stehen. Ein paar von ihnen gingen voraus. Zorn stieg in Ferris auf, als er den Kerl mit dem dunkelroten Hut vor sich sah, der ihn mit dem Kolben der Muskete niedergeschlagen hatte. Am liebsten hätte er sich vom Rücken des Esels auf ihn gestürzt, aber er sah ein, daß er mit gefesselten Händen gegen dreißig Piraten nur wenig Chancen hatte.

Dann kehrte die Vorhut zurück. Es schien alles in Ordnung zu sein. Sie trieben seinen Esel wieder an. Es wurde heller. Das dunkelgrüne Blätterdach trat zurück, und Ferris sah vor sich eine weite freie Fläche, die mit hohem Gras bewachsen war, immer wieder unterbrochen von kleineren und größeren grauen Felsbrocken.

Eine halbe Meile entfernt stieg das Gelände zu einer kleinen Anhöhe auf.

Ferris kniff die Augen etwas zusammen, die vom hellen Sonnenlicht geblendet wurden. Er starrte zu der Anhöhe hinüber, weil der Kerl mit dem dunkelroten Hut und dem schmalen Oberlippenbärtchen mit dem rechten Arm hinüberwies. Er redete auf zwei Männer ein, die besser gekleidet waren als die anderen Piraten, obwohl ihre Klamotten auch so aussahen, als hätte man sie gestern erst aus dem Wasser gezogen.

Der eine von ihnen trug einen schwarzen Hut mit breiter Krempe und ein gestreiftes Hemd, der zweite hatte einen ziemlich fetten Bauch, wie es Ferris schien. Darüber kreuzten sich auf der Brust ein breiter Waffengurt, in dem drei Pistolen steckten, und ein Gurt, der mit Munition vollgestopft zu sein schien.

Sie redeten ziemlich viel miteinander, und Ferris fluchte, daß er nicht besser zugehört hatte, wenn die Männer auf der „Mercure“ französisch gesprochen hatten. Er verstand zwar einiges, wenn langsam gesprochen wurde, aber der Kerl mit dem dunkelroten Hut sprach ein solches Kauderwelsch, daß Ferris dachte, es müsse eine andere Sprache sein.

Auf der kleinen Anhöhe stand eine Art Fischerhütte. Sie war aus Felssteinen gebaut, die hier überall herumlagen. Das Dach war teilweise von Gras überwuchert.

Ferris schaute sich um. Die Gegend schien ziemlich einsam zu sein. Eigentlich luden diese saftigen Weiden ein, Rinder und Schafe zu halten, aber das war wohl wegen der Piraten, die diese Küste verunsicherten, ein wenig lukratives Geschäft. Wer gab schon sein Vieh gein kostenlos her?

Je weiter sie sich der Hütte näherten, desto mehr wurde Ferris an dem zerfallenen Zustand klar, daß sie unbewohnt sein mußte, und zwar schon seit Jahren. Ein Fensterrahmen, dessen Holz mit grünlichem Schimmel bedeckt war, hing schief in einer Angel. Spinnweben zogen sich über das Fensterloch. Nur die Tür schien einigermaßen in Ordnung zu sein. Sie sah stabil aus und hatte ein eisernes Schloß.

Was das sollte, wußte Ferris nicht, denn wenn jemand in die Hütte eindringen wollte, konnte er auch durch die verrotteten Fenster kriechen.

Vor der Hütte gab der Mann mit dem dunkelroten Hut ein paar Befehle. Ferris sah, daß sie nicht sogleich befolgt wurden. Die Piraten blickten zu den beiden besser gekleideten Kerlen hinüber, und erst als diese nickten, bequemten sie sich, das zu tun, was der andere befohlen hatte.

Ferris wurde vom Rücken des Esels gehoben, als sei er ein Baby. Er ließ es mit sich geschehen. Warum sollte er unnötig Kraft verschwenden? Sie stießen ihn durch die inzwischen geöffnete Tür in einen dunklen Raum, in dem es nach Moder roch.

Ferris zog die Nase kraus. Er begann zu schnüffeln, und dann wußte er, daß es hier noch einen anderen Geruch gab, den der Moder nicht überdecken konnte: Pulver!

Plötzlich wußte er, was der Besuch bei dieser alten Fischerhütte bedeutete. Die Piraten hatten hier ein Waffenlager eingerichtet. Wahrscheinlich hatten sie damit gerechnet, daß sie auch einmal eine Niederlage würden einstecken müssen. Und sie hatten vorgesorgt, daß sie dann nicht ohne Waffen waren.

Ein eisiger Schreck durchzuckte Ferris.

Was war, wenn Hasard und die anderen ihrer Fährte folgten, um ihn zu befreien? Sie würden in eine zweite Falle laufen, und hier auf der freien Ebene hatten sie keine Möglichkeit, den tödlichen Kugeln der Piraten zu entgehen.

Ferris wußte, daß es an ihm lag, das zu verhindern. Es mußte einen Weg geben, den Seewolf zu warnen.

Er fluchte, als man ihn in eine dunkle Ecke stieß und er hart mit dem Gesäß auf den steinernen Boden prallte. Seine Augen mußten sich erst wieder an die hier herrschende Dunkelheit gewöhnen. Die Einrichtung der Hütte war genauso verkommen wie das Äußere. Tische und Stühle lagen quer über den Raum verstreut. Auch hier waren überall Spinnweben.

Der Kerl mit dem dunkelroten Hut war in die hintere Ecke des Raumes gegangen, und die beiden Piraten waren ihm gefolgt. Neben der Feuerstelle, über der noch ein verrußter Topf an einem Dreibein hing, bückte er sich, faßte in einen eisernen Ring und hob keuchend eine schwere, steinerne Platte an.

Die Piraten packten mit zu. Mit einem dumpfen Laut fiel die schwere Platte gegen die Wand. Ferris sah, wie die Kerle sich zunickten. Der Mann mit dem dunkelroten Hut nahm eine Fackel aus einer eisernen, in die Steinwand gelassenen Halterung und zündete sie an. Die Flammen warfen gespenstische Schatten an die verschimmelten Wände.

Dann stieg er hinunter. Die beiden anderen folgten ihm. Immer mehr Männer verschwanden im Keller, der ziemlich groß sein mußte, wenn er alle Piraten aufnehmen konnte.

Der Grauhaarige, der sie in die Falle auf der Lichtung gelockt hatte, war bei Ferris geblieben. Er sagte nichts, doch an seinen jettschwarzen Augen erkannte Ferris, daß der Mann bereit war, ihn zu töten, wenn er irgend etwas versuchen würde.

Er hörte Stimmen aus dem Keller, die seltsam hohl zu ihm heraufschallten, und aus einigen Worten entnahm er, daß er mit seiner Vermutung recht behalten hatte.

Pierre Servan und Jean Bauduc gingen die Augen über, als sie im Schein des Fackellichtes die Waffen sahen, die Le Testu und seine Bande in dieser alten Fischerhütte gehortet hatten.

Jean Bauduc preßte die Lippen aufeinander, um keine Flüche auszustoßen, die ihm auf der Zunge lagen. Die meisten dieser Arkebusen, Musketen, Tromblons, Pistolen, Säbel und Messer kannte er nur allzu gut. Jedenfalls war ihm plötzlich klar, wer für die Überfälle auf die Waffentransporte verantwortlich war, die Yves Grammont von Brest aus nach Rennes zu Heinrich von Bourbon auf den Weg gebracht hatte.

Auch Pierre Servan hatte sofort erkannt, daß die meisten Waffen englischen Ursprungs waren, und er hatte die gleichen Schlüsse gezogen wie Bauduc.

Er warf dem Kumpan einen schnellen Blick zu und gab auch seinen Männern, die sich hinter ihm mit staunenden Gesichtern drängten, einen Wink, daß sie sich ruhig verhalten und nichts verraten sollten.

Mit einer großartigen Armbewegung wies Le Testu über sein Waffenarsenal.

„Na, was sagt ihr dazu? Habe ich euch zuviel versprochen?“

„Großartig“, stieß Pierre Servan hervor, und ein mißtrauischer Mann hätte den gequälten Unterton in seiner Stimme bestimmt herausgehört.

„Damit schießen wir die englischen Verräter in Stücke, wenn sie uns hierher folgen“, sagte Le Testu. „Und sie werden sich auf unsere Fährte gesetzt haben, um ihren Mann zu befreien.“

„Die paar Kerle?“ sagte Bauduc zweifelnd. „Einer von ihnen ist tot, und einen haben wir gefangengenommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind sie nur noch sieben Mann.“

Le Testu zuckte mit den Schultern. Er starrte Bauduc und Servan einen Augenblick an und dachte, daß die beiden Kerle nicht in seine neue Bande paßten. Sie waren zu eingebildet. Vielleicht versuchten sie eines Tages sogar, ihn, Le Testu, auszuschalten, um selbst die Führung der Bande zu übernehmen. Schließlich waren es ihre Männer, und Le Testu hatte schon bemerkt, daß sie seine Befehle immer erst dann ausgeführt hatten, wenn die Zustimmung eines der beiden erfolgt war.

Le Testu wandte sich an die Piraten, die hinter Servan und Bauduc standen.

„Nehmt euch, was ihr braucht“, sagte er. „Der Kampf gegen die englischen Korsaren und gegen Heinrich von Bourbons Soldaten wird nicht leicht werden. Aber der Sieg gehört uns!“

Er war gewohnt, daß seine Leute nach einer solchen Ansprache in Jubel ausbrachen, aber die Piraten zogen nur grimmige Gesichter, als sie auf die Waffen zugingen und sich damit ausrüsteten.

Ein merkwürdiges Volk, dachte Le Testu, und einen Augenblick lang schien es ihm, er hätte einen Fehler begangen, als er die Piraten zu seinem größten Waffenlager geführt hatte. Doch dann verscheuchte er diese Gedanken. Die Niederlage gegen die Soldaten Heinrich von Bourbons steckte ihm noch tief in den Knochen, und er war froh, so schnell wieder Verbündete gefunden zu haben.

Er übergab einem der Piraten die Fackel und stieg die steinernen Stufen wieder hinauf. Servan und Bauduc folgten ihm.

Le Testu trat auf Montbars zu, der in der rechten Hand lässig eine Pistole hielt, die wie zufällig auf den in der Ecke sitzenden Ferris Tucker wies.

„Hat er schon was gesagt?“ fragte Le Testu den Korsen.

Montbars schüttelte den Kopf. „Kein Wort.“

Der Wegelagerer näherte sich Ferris Tucker und blieb außer Reichweite seiner Fäuste stehen. Er starrte den rothaarigen Riesen an, und ein Grinsen huschte über sein längliches Gesicht, als er daran dachte, wie er den Kerl mit der Muskete an der Schläfe erwischt hatte.

„Warum grinst du so dämlich?“ fragte Ferris Tucker.

Le Testu zog die Stirn in Falten. Er drehte sich zu Servan um und fragte: „Hast du verstanden, was er gesagt hat?“

Pierre Servan schüttelte den Kopf.

Le Testu trat einen Schritt näher zu dem Gefangenen, aber jetzt hielt er eine Pistole in der Hand. Mit dem Daumen spannte er den Hahn. Sein Grinsen ließ Ferris Tucker glauben, daß der Kerl es freundlich mit ihm meinte, aber schon im nächsten Moment wurde er eines Besseren belehrt.

Der Wegelagerer trat zu, und seine Stiefelspitze traf Ferris Tucker hart am Oberschenkel. Es tat höllisch weh, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Hör zu, du verfluchter Verräter!“ stieß Le Testu hervor. „Wir werden dich für deinen Verrat bestrafen. Wir hängen dich Schwein auf und lassen deinen Kadaver für die Bussarde und Ameisen liegen!“

Diesmal hatte Ferris einiges verstanden, und er wunderte sich, daß der Kerl ihn einen Verräter nannte.

Er suchte seine Französischkenntnisse zusammen und fragte den Kerl: „Kannst du mir verraten, wovon die Rede ist? Und wer bist du? Deine Visage ist mir noch nie begegnet.“

Das Gesicht Le Testus verzerrte sich vor Wut.

Der hat mich tatsächlich verstanden! dachte Ferris Tucker begeistert und beschloß in diesem Augenblick, sein Französisch zu vervollkommnen, wenn er erst mal wieder mit Jean Ribault zusammentraf.

Er sah, wie Le Testu wieder mit dem Stiefel ausholte, und drehte sich instinktiv etwas zur Seite.

Die Stiefelspitze traf die Flasche, die er in der Tasche stecken hatte. Sie war aus ziemlich dickem Glas und ging nicht so leicht kaputt.

Le Testus Zehen waren da schon empfindlicher. Er heulte auf wie ein Derwisch und hüpfte eine Weile auf einem Bein herum, bis er bemerkte, daß die anderen ihn anstarrten. Er verbiß den Schmerz. Wütend beugte er sich zu Ferris Tucker hinunter und zerrte die Flaschenbombe hervor.

„Was, zum Teufel, ist das?“ brüllte er.

„Zünde mal die Lunte an“, knurrte Ferris, „dann wirst du sehen, was passiert!“

Wieder kam sein Französisch blendend an.

Ferris merkte es an dem dritten Fußtritt, den ihm der Kerl mit dem Oberlippenbart versetzte.

Während des Marsches hatte Hasards Oberarmwunde wieder zu bluten begonnen, und Carberry hatte sie ihm notdürftig verbunden.

Die Spuren waren immer noch deutlich zu erkennen, auch wenn jemand von den Piraten versucht hatte, hier und dort falsche Fährten zu legen, um die Verfolger aufzuhalten oder in die Irre zu führen.

Das Licht unter dem Blätterdach des Waldes war heller geworden. Über ihnen mußte blauer Himmel sein. Vom Sturm, der über der Bucht von Saint Malo getobt hatte, war nichts mehr zu spüren.

Easton Terry baute sich demonstrativ vor Hasard auf, als dieser die deutlichen Spuren weiter verfolgen wollte.

„Wir sollten zu unseren Schiffen zurückgehen“, sagte er.

„Sie meinen, wir sollten unseren Mann im Stich lassen?“ fragte Hasard bissig zurück.

Terry zuckte abfällig mit den Schultern.

„Ich frage mich nur, welchen Sinn diese Verfolgung haben soll“, erwiderte er. „Selbst wenn wir die Piraten einholen, wird uns das nichts nutzen, weil sie uns dann mit ihrer Geisel erpressen.“

„Das ist eine Sache, die wir dann bedenken werden, wenn es soweit ist“, sagte Hasard scharf. „Solange noch eine Möglichkeit zur Rettung besteht, werde ich einen meiner Leute nicht aufgeben.“

Er hatte laut gesprochen, so daß Terrys Männer ihn hören konnten, und er sah an Terrys verkniffenem Gesicht, daß dieser Hasards Absicht erkannte.

„Außerdem, Mister Terry“, fügte Hasard hinzu, „scheinen Sie häufiger zu vergessen, daß ich das Kommando dieses Unternehmens habe, nicht Sie.“

Terry erwiderte nichts mehr. Im Augenblick hatten Hasards Worte das abfällige Lächeln aus seinem Gesicht gewischt. Dafür grinste Carberry jetzt.

Dieser verdammte Mistkerl! dachte der Profos. Den möchte ich noch mal im Dunkeln am Hafen von Plymouth erwischen! Dann wird er Zeit seines Lebens mächtige Schmerzen verspüren, wenn er seine Visage zu einem Grinsen verzieht!

Er malte sich immer mehr Dinge aus, die er mit Terry in einer einsamen, dunklen Gegend anstellen würde, bis sie den Waldrand erreichten und in einer halben Meile Entfernung die kleine Fischerhütte auf der Anhöhe liegen sahen.

Noch war der Pfad zu sehen, den eine Menge Leute durch das feuchte Gras getreten hatten. Er führte genau auf die Hütte zu.

Hasard zögerte. Wenn sich die Piraten in der Hütte verschanzt hatten, war es für sie unmöglich, bis zu ihr vorzudringen. Die spärlichen Dekkungen, die sie hinter den verstreut liegenden grauen Felsbrocken finden würden, reichten nicht aus, um lebend bis zur Hütte zu gelangen.

Dan O’Flynn und Stenmark traten an Hasards Seite.

„Ich werde mich mit Stenmark heranschleichen“, sagte Dan. „Zwei Männern sollte es gelingen, ziemlich nah heranzukommen. Ich nehme eine von Ferris’ Flaschenbomben mit, die Carberry bei sich hatte. Vielleicht gelingt es uns, die Kerle damit so sehr zu erschrecken, daß sie Ferris freigeben.“

Hasard nickte. Ihnen blieb keine andere Wahl. Er gab Dan und Stenmark ein Zeichen mit der Hand, und die beiden liefen los. Noch war die Entfernung für einen Schuß zu groß, doch als sie näher heran waren, begannen sie, Haken zu schlagen und von Felsbrocken zu Felsbrocken zu hetzen.

Die Männer am Waldrand beobachteten gespannt die Hütte. Nichts rührte sich dort. Warteten die Kerle, bis Dan und Stenmark so nahe heran waren, daß sie sie nicht mehr verfehlen konnten?

Dann waren die beiden bei der Hütte. Hasard sah, wie sich Dan mit einem Hechtsprung durch die Tür warf, während Stenmark seine Pistole durch das Fenster schob.

Kein Schuß fiel.

Es dauerte einen Augenblick, dann winkte Stenmark den Männern am Waldrand zu und signalisierte ihnen, daß keine Gefahr bestand.

Hasard und die anderen marschierten los. Als sie die Hütte erreichten, hatten Dan und Stenmark schon die nähere Umgebung abgesucht.

Hasard schaute in die verwahrloste Hütte. Es war deutlich zu sehen, daß die Piraten hiergewesen waren, aber sie hatten sich offenbar nicht lange aufgehalten.

Irgend etwas gefiel Hasard nicht. Er hatte ein ungutes Gefühl. Es mußte einen Grund gehabt haben, warum die Piraten zu dieser Hütte gezogen waren. Er sah sich in dem Raum um, schob die umgekippten Tische und Stühle zur Seite, konnte aber nichts entdecken.

Wütend stieß er gegen den schwarzen Topf, der an dem Dreibein im Kamin hing. Mit dem linken Fuß stand er dicht neben der Lehmkappe, die den Eisenring der Steinplatte verbarg, aber er entdeckte ihn nicht.

Er verließ die Hütte. Terry stand draußen. Er hatte die Hütte gar nicht erst betreten. Das überlegene, zynische Lächeln war schon wieder auf seinem Gesicht.

Hasard wandte sich Dan O’Flynn zu und gab Terry nicht die Gelegenheit, seinen Kommentar zu äußern.

„Irgend etwas gefunden, Dan?“ tragte er leise.

Dan schüttelte den Kopf.

„Die Hunde haben von hier aus ihre Spuren verwischt“, erwiderte er gepreßt. „Ein Stück weit sind sie noch im Gras zu sehen, doch dann sind die Kerle nur noch über felsigen Boden gelaufen, der dort hinten beginnt.“ Er wies zur Küste hinüber.

Der Seewolf preßte die Lippen aufeinander. Er wußte nicht, was er jetzt tun sollte. Sie konnten Ferris Tucker doch nicht im Stich lassen!

Er ließ die Schultern hängen und hörte Schritte hinter sich. Er wandte den Kopf. Easton Terry trat auf ihn zu.

Wenn er eine krumme Bemerkung fallen läßt, vergesse ich mich! dachte Hasard wütend.

Aber Easton Terry war klug genug, den Seewolf nicht zu sehr zu reizen. Er warf nur einen kurzen Blick in die Hütte, rümpfte die Nase und wartete lächelnd auf die Befehle von Mister Philip Hasard Killigrew.

Seewölfe Paket 15

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