Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 43

8.

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Sie hatte es als einzige geschafft, den Ring der Piraten zu durchbrechen. Ihr Atem ging keuchend, aber sie verringerte ihre Laufgeschwindigkeit nicht. Sie wußte, daß sie schnell sein mußte, wenn sie ihrem Dorf helfen wollte.

Sie hatte sich in einer kleinen Hütte außerhalb des Dorfes aufgehalten und gerade ihre Ziege gemolken, als die wüst aussehenden Kerle an ihrer Hütte vorbei ins Dorf eingedrungen waren. Sie hatte den lauten Stimmen gelauscht, und als sie vernommen hatte, daß die Piraten es auf die Boote des Dorfes abgesehen hatten, war ihr klar geworden, daß sie Hilfe brauchten. Sie war aus ihrer Hütte geschlichen, als ob der Teufel hinter ihr her sei.

Sie wußte, daß sie mindestens zwei Stunden brauchte, bis sie das nächste Dorf erreichte, aber darüber dachte sie nicht nach. Tränen liefen ihr aus den Augen. Immer wieder mußte sie an die beiden Schüsse denken, die gefallen waren. Sicher waren sie von den Piraten abgegeben worden und hatten einen aus ihrem Dorf getroffen.

Ihr Atem wurde immer keuchender, als sie die Männer sah, die in einer langen Reihe auf sie zumarschierten. Sie hätte schreien können vor Freude, aber sie brachte keinen Ton hervor.

Taumelnd lief sie auf die Männer zu, und als sie sie fast erreicht hatte, brach sie schluchzend in die Knie. Sie sah ein von Wind und Wetter gebräuntes, freundliches Gesicht vor sich und stieß hervor: „Monsieur, Sie müssen meinem Dorf helfen!“

Der Seewolf, der das Mädchen schon von weitem gesehen hatte, zog es an den Schultern auf die Beine.

„Piraten?“ fragte er nur.

Es dauerte eine Weile, bis sie nickte. Sie hatte an seinem Akzent gehört, daß er kein Franzose war, und nun musterte sie die Männer, die sie um Hilfe gebeten hatte, genauer.

Ihre Freude war aus ihrem Gesicht verschwunden, aber sie wußte, daß nur diese Männer ihrem Dorf noch helfen konnten.

„Sie haben unser Dorf überfallen und wollten unsere Boote stehlen“, sagte sie leise. „Ich bin davongelaufen, um Hilfe zu holen, denn gegen die Waffen der Piraten können unsere Männer nicht kämpfen.“

„Wie weit ist Ihr Dorf entfernt?“ fragte Hasard.

„Ich bin fast eine Stunde gelaufen“, erwiderte sie keuchend. Sie rang immer noch nach Atem. „Als ich davonlief, hörte ich zwei Schüsse. Mein Gott, wenn sie nur niemanden getötet haben!“

Sie hielten sich nicht lange auf. Hasard versprach dem Mädchen, ihr Dorf gegen die Piraten zu verteidigen, wenn sie es noch rechtzeitig erreichten. Er wußte, welche Bedeutung die Boote für die Fischer hatten. Einen anderen Broterwerb als den Fischfang gab es für sie nicht.

Das Mädchen hatte ihm der Himmel geschickt. Seit der alten Fischerhütte hatten sie nichts mehr von den Spuren der Piraten entdecken können. Jetzt aber wußten sie, wo die Kerle steckten, die Ferris Tucker in ihrer Gewalt hatten.

Das Mädchen hatte nichts von einem Gefangenen gesehen, aber das brauchte nichts zu bedeuten. Ein bißchen stutzig wurde Hasard, als das Mädchen während ihres Schnellmarsches zum Dorf zurück berichtete, wie schwer die einzelnen Piraten bewaffnet waren. Sie hatten sogar einen Esel bei sich gehabt, dessen Rücken mit Musketen vollgeladen gewesen war.

Hasards Gedanken gingen zu der alten Fischerhütte zurück, und ein Licht ging ihm auf. Er wußte nun, daß ihn sein Gefühl wieder einmal nicht getrogen hatte. Wahrscheinlich hätten sie ein Waffenlager der Piraten entdeckt, wenn sie etwas genauer nachgeschaut hätten. Hasard wunderte sich nur, daß die Piraten ihr Versteck so weit von der Küste entfernt angelegt hatten.

Das Mädchen wurde von Carberry und Shane halb getragen, als sie endlich das Dorf erreichten. Schon von weitem hatte das Mädchen leise aufgeschrien, denn sie hatte gesehen, daß die sieben Boote nicht mehr am Strand lagen. Auch die kleine Bucht war leer.

Die Piraten mußten also schon kurz nach der Flucht des Mädchens die Boote an sich gebracht haben und losgefahren sein.

Das Dorf wirkte wie ein Ameisenhaufen, in den man einen Stock gebohrt hat. Alle Menschen waren auf dem kleinen Platz versammelt und diskutierten in Gruppen, was nun geschehen solle.

Als sie die Gruppe Männer sahen, verstummten ihre Gespräche. Ein paar Fischer verschwanden in ihren Häusern und kehrten mit Waffen in den Händen zurück.

„Sie wollen uns gegen die Piraten helfen!“ rief das Mädchen und lief auf die Fischer zu. „Sie haben einen von ihren Männern entführt. Habt ihr gesehen, wohin sie gefahren sind?“

Einer der Männer trat vor. Er hielt eine Pistole in der Hand, und der Seewolf sah, daß der Hahn gespannt war.

„Sie haben draußen in der Bucht Segel gesetzt und sind nach Osten verschwunden“, sagte er grimmig zu dem Mädchen. „Deine Freunde können uns auch nicht mehr helfen. Die Boote sehen wir niemals wieder.“

Hasard sagte nichts. Er wollte den Leuten nicht etwas versprechen, was er nicht halten konnte.

Easton Terry dagegen schien seine Stunde nahen zu sehen.

„Sie scheinen immer ein bißchen spät dranzusein, Mister Killigrew“, sagte er höhnisch. „Sie sollten sich überlegen, was zu tun ist, um die Piraten mal zur Abwechslung in die Falle laufen zu lassen.“

„Haben Sie einen Vorschlag?“ fragte Hasard kalt.

„Bin ich der Verantwortliche dieses Kommandos?“ fragte Terry süffisant zurück. „Wenn ich es wäre, dürften Sie sich jedenfalls darauf verlassen, daß alles wie am Schnürchen klappt.“

„Hau ihm doch was auf sein großes Maul“, knurrte Carberry böse. Diesmal hatte er sich keine Mühe gegeben, leise zu sprechen, und ein kalter Blick aus Terrys grauen Augen durchbohrte ihn.

Carberry berührte das nicht.

„Schon wieder etwas, über das sich Lord Cliveden wundern dürfte“, fuhr Terry fort. „Er sprach so nett von Ihnen, Mister Killigrew, daß ich annehmen mußte, man hätte mir ein Musterbeispiel von einem Helden an die Seite gestellt.“

„Sie täuschen sich, Terry“, erwiderte der Seewolf. „Man hat mich nicht an Ihre Seite gestellt, sondern Sie sind mir als Gehilfe und Untergebener zugeteilt worden.“

Das saß. Easton Terry kriegte zartrosa Wangen, was ihm ausgezeichnet stand, wie Carberry meinte. Er schien noch einiges Gift bereit zu haben, um es zu verspritzen, aber er hielt den Mund, ohne daß Carberry ihn mit der Faust stopfen mußte.

„Es tut uns leid, daß wir zu spät erschienen sind“, sagte Hasard zu dem Fischer. „Wenn wir die Piraten irgendwo erwischen sollten, werde ich eurem Dorf Bescheid geben lassen, wo ihr eure Boote abholen könnt.“

Der Fischer nickte, aber Hasard sah ihm an, daß er ihm nicht glaubte. Wahrscheinlich hielt er sie selbst auch für Piraten, die gegen eine konkurrierende Bande kämpften.

Sie verließen das Dorf in östlicher Richtung.

Hasard hielt das schnelle Tempo bei. Er ahnte, was die Piraten mit den Booten vorhatten. Und er konnte sich ausrechnen, daß sie mit den Fischerbooten wesentlich schneller waren als sie selbst an Land.

Der Seewolf fluchte unterdrückt. Er hörte die Stimme Carberrys, der ihn fragte, warum er das verrückte Tempo denn beibehielte, aber er antwortete nicht. Er dachte an Ben Brighton und hoffte, daß dieser aufmerksam genug war, sich nicht von den Piraten überrumpeln zu lassen.

Ferris Tucker hatte sich entschlossen, daß er lange genug gepullt hatte. Er blickte zu dem schlaffen Segel hoch, das sie aus der Bucht gebracht hatte, doch jetzt nutzte es ihnen nichts mehr, denn der Wind war fast eingeschlafen.

Sie waren dicht unter der Küste geblieben. Die sechs anderen Boote waren ihnen ein ganzes Stück voraus, was Ferris als durchaus günstig für seine Flucht ansah. Wenn sie ihn mit sämtlichen sieben Booten jagten, hatte er kaum eine Chance, die Küste lebend zu erreichen.

Sein rechter Fuß stand seit einer Stunde auf dem Stiel einer Axt, die einer der Fischer im Boot gelassen hatte. Ferris hatte sofort gewußt, daß er diese Waffe, mit der er sich bestens auskannte, für seine Flucht gut brauchen konnte.

Aus den Augenwinkeln sah er zu Le Testu und dem Korsen hinüber, die am Heck des Bootes saßen und zur Küste hinüberstarrten. Er wußte, daß die beiden Kerle skrupellos genug waren, ihn über den Haufen zu schießen, wenn er zu fliehen versuchte, aber er war entschlossen, ihnen keine Gelegenheit dazu zu geben.

Er leitete sein Unternehmen ein, indem er beim Zurücknehmen der Riemen unterschnitt und das Ruderblatt dabei ins Wasser tauchte. Die vor ihm an der Steuerbordseite sitzenden Rudergasten fingen sofort einen Krebs. Das Boot bremste abrupt ab.

Le Testu, der im ersten Moment nicht wußte, was los war, sprang auf und schrie: „Paßt doch auf, ihr Idioten!“

Der vor ihm sitzende Pirat brüllte: „Das war der Engländer! Das hat er mit Absicht getan!“

Ferris Tuckers schwielige Faust packte zu und kriegte den Kerl im Genick zu fassen. Mit einem Ruck riß er den hageren Piraten von der Ducht hoch, feuerte ihm eine und warf ihn dann dem Korsen entgegen, der seinen Arm mit der Pistole hochgerissen hatte.

Der Pirat brüllte wie ein angestochenes Schwein. Er knallte mit dem Kopf zwischen seine beiden Vorderleute, und eins seiner ungewollt hochgeschleuderten Beine traf den rechten Arm des Korsen, der wütend aufschrie, die Balance verlor und hintenüber ins Wasser stürzte.

Ferris Tucker sah, wie sich der Kerl mit dem dunkelroten Hut nach seinem Kumpan umsah, und er nutzte den günstigen Augenblick. Plötzlich hielt er die Axt in den Fäusten, und mit einem einzigen Hieb durchtrennte er das Fall des Sprietsegels. Das Segel rauschte nach unten, und die Spiere krachte zwei Kerlen auf die Köpfe.

Ferris kriegte es schon nicht mehr mit. Er war übers Dollbord gehechtet, nachdem er vorher noch seine Riemen ins Wasser geschleudert hatte.

Während des Sprunges holte er tief Luft, und als er im Wasser war, begann er, mit heftigen Armbewegungen zu tauchen und zu schwimmen.

Er hatte sich die Richtung zur Küste eingeprägt und hoffte, einigermaßen die Richtung einzuhalten. Er schwamm und schwamm. Die Axt, die er sich in den Gürtel gesteckt hatte, schien ihn nach unten zu ziehen, aber um keinen Preis der Welt hätte er sich in diesem Augenblick von ihr getrennt. Er brauchte unbedingt eine Waffe, wenn er erst einmal die Küste erreicht hatte.

Er spürte, wie ihm die Sinne zu schwinden drohten. Mit letzter Kraft stieß er sich im Wasser ab, um an die Oberfläche zu gelangen. Es wurde hell über ihm, und dann hatte er auf einmal wieder Luft in den Lungen.

In seinen Ohren dröhnte es wie in einer Schmiede. Drei-, viermal holte er tief Luft, dann zischte etwas neben ihm durchs Wasser und hinterließ eine quirlende Bahn. Sekundenbruchteile später hörte er das Krachen einer Muskete.

Blitzschnell tauchte er wieder unter. Er hatte keine Zeit gefunden, sich umzudrehen und nach dem Boot Ausschau zu halten.

Er hatte die Küste gesehen und festgestellt, daß er sich ihr schon ein ganzes Stück genähert hatte.

Mit neuer Energie schwamm er unter Wasser weiter und betete, daß dieser Le Testu und seine Piraten ihn nicht fanden.

Fluchend war inzwischen Montbars wieder ins Boot geklettert. Seine grauen Haare hingen ihm in langen Strähnen ins Gesicht, das vor Zorn gerötet war.

Er sprang vor und riß eine Muskete hoch, die zwischen den Duchten lag. Einem der Piraten nahm er wortlos die Pulverflasche ab, schüttete etwas daraus auf die Pfanne, spannte den Hahn und zielte auf eine Stelle auf dem Wasser, wo nach seiner Meinung gleich der Rotschopf des Engländers auftauchen mußte.

Er wartete fast zwei Minuten, dann ließ ihn ein Schrei eines der Piraten herumfahren.

„Da!“ brüllte der Mann und wies in eine ganz andere Richtung, als Montbars gezielt hatte.

Der Rotschopf war für einen kurzen Moment zu sehen. Montbars riß die Muskete herum und drückte ab. Im selben Moment wußte er, daß er verfehlt hatte. Er sah, wie neben dem Kopf des Engländers eine Wasserfontäne hochstieg, dann war von dem Kerl nichts mehr zu sehen.

Le Testu schrie die Piraten an, sie sollten gefälligst das Boot in Bewegung bringen und hinter dem flüchtigen Gefangenen herpullen.

Sein Ton paßte den Piraten offensichtlich nicht. Sie bewegten sich ziemlich träge, und als einer von ihnen sah, daß die anderen Boote, vom Schuß alarmiert, gewendet hatten und auf sie zufuhren, stellten sie ihre Bemühungen, hinter dem Gefangenen herzupullen, ganz ein. Das Geschrei des Straßenräubers beeindruckte sie nicht im mindesten. Sie gehorchten nur einem, und das war ihr Kapitän Pierre Servan.

Mit vor ohnmächtiger Wut zusammengepreßten Lippen wartete Le Testu, bis die anderen Boote heran waren. Montbars hatte die Muskete neu geladen und zielte wieder aufs Wasser. Er wußte, mehr als zwei Minuten konnte es kein Mensch unter Wasser aushalten. Gleich mußte der Engländer wieder nach Luft schnappen, und dann würde er ihm ein Ding verpassen, daß er ohne Kopf an Land schwimmen mußte.

Sein Pech war nur, daß er sich zum zweiten Male verschätzte. Wieder sah er den Rotschopf des Engländers für Sekunden zu spät. Er mußte den Lauf der Muskete ein ganzes Stück schwenken, und in dieser Zeit hatte der Kerl nach Luft geschnappt.

Wieder peitschte die Kugel etwa eine Unterarmlänge vom Kopf des Engländers entfernt ins Wasser und stieß eine kleine Fontäne hoch. Die Entfernung war schon ziemlich groß, und bei dem kleinen Ziel war es eigentlich ein sehr guter Schuß gewesen.

Doch Montbars wurde von seiner Wut fast aufgefressen. Er warf mit einer heftigen Bewegung die Muskete einfach über Bord und starrte den anderen Booten entgegen. Aus seinen Haaren lief ihm immer noch das Wasser ins Gesicht.

„Der Gefangene ist geflohen!“ brüllte Le Testu den anderen Booten entgegen. In dem ersten entdeckte er Servan. „Ihre verdammten Leute haben es nicht für nötig befunden, ihn zu verfolgen!“

Pierre Servan, der seinen ganzen Plan zusammenfallen sah wie ein Kartenhaus, begann zu toben. Er donnerte seine Leute, die sich an Bord von Le Testus Boot befanden, zusammen, daß ihnen Hören und Sehen verging, aber das änderte nichts mehr an der Tatsache, daß der Gefangene endgültig entwischt war.

Als Servans Boot neben dem Le Testus lag, hatte sich der Kapitän der untergegangenen „Antoine“ einigermaßen wieder beruhigt.

„Wir werden unseren Plan nicht aufgeben“, sagte er gepreßt. „Wir brauchen den Gefangenen nicht. Wer weiß, ob sie nicht trotzdem auf uns geschossen hätten. Wir werden die Dunkelheit abwarten und dann versuchen, eine der beiden Galeonen zu kapern. Wir werden so lautlos vorgehen, daß die Deckswachen erst merken, was los ist, wenn sie schon unsere Messer an ihren Kehlen spüren.“

Das war eine Rede nach Le Testus Sinn. Allerdings fragte er sich, wie Servan die beiden Galeonen in der Bucht von Sillon de Talbert bis zum Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte. Er fragte ihn danach.

Servan winkte wütend ab.

„Wenn wir nicht in der Abenddämmerung da sind, werden wir eben mitten in der Nacht oder im Morgengrauen angreifen“, sagte er. Mit einer abrupten Handbewegung befahl er seinen Bootsgasten, die Riemen aufzunehmen und loszupullen. Er warf noch einen kurzen Blick zur Küste hinüber. Sie war ziemlich weit entfernt, und er glaubte nicht, daß es der Engländer schaffen würde, sie zu erreichen. Durch das lange Tauchen mußte er sich völlig verausgabt haben.

Le Testu dachte das gleiche. Er sah, wie Montbars immer noch die Wasseroberfläche zur Küste hin beobachtete, aber auf diese Entfernung konnte es schon sein, daß die leichte Dünung des Wassers ein erneutes Auftauchen des Gefangenen ihren Blicken entzogen hatte.

Le Testu war überzeugt davon, daß der Engländer besser daran getan hätte, bei ihnen an Bord zu bleiben. So würde er wahrscheinlich jämmerlich ersaufen. Aber er hatte sich das schließlich selbst ausgesucht.

Ferris Tucker dachte nicht daran, Le Testu den Gefallen zu tun und abzubuddeln.

Nachdem er das drittemal aufgetaucht war und diesmal keine Kugel an sich vorbeizischen sah, wußte er, daß die Piraten ihn nicht mehr schnappen würden. Er hatte sich auf den Rücken gelegt, so daß nur noch sein Gesicht aus dem Wasser ragte, und schaute zu den Booten zurück, die jetzt alle dicht beisammen lagen.

Dann wollte Ferris jubeln, als die Boote abdrehten und in der bisherigen Richtung weiterfuhren, aber er verschluckte sich und mußte ziemlich stark husten, daß er schon dachte, die Piraten würden wieder auf ihn aufmerksam werden.

Er wartete noch eine Weile und ruhte sich aus, dann schwamm er mit kräftigen Arm- und Beinbewegungen auf die felsige Küste zu. Im Hochgefühl seiner gelungenen Flucht fühlte er sich prächtig. Das einzige, was ihm Sorgen bereitete, war die Absicht der Piraten, die „Hornet“ und die „Fidelity“ zu kapern. Doch dann schüttelte er diesen Gedanken erst einmal ab. Er mußte an das Näherliegende denken, und das war seine Flucht.

Er war froh, daß er die Axt behalten hatte. Wenn sie ihn auch immer noch beim Schwimmen behinderte, vermittelte sie ihm doch ein Gefühl der Sicherheit. Wenn er weiteren Piraten von den versenkten Schiffen an Land begegnete, konnte er sich wenigstens zur Wehr setzen.

Er landete in einer kleinen felsigen Bucht, und als er einen Blick hoch warf, stellte er fest, daß er sich einen ziemlich ungünstigen Ort ausgesucht hatte.

Die Felsen stiegen steil auf. Nirgendwo entdeckte er einen Pfad oder wenigstens ein schmales Felsband, über das er die Felswand erklettern konnte.

Er fluchte unterdrückt, daß er nicht schon vom Wasser aus darauf geachtet hatte, an einer günstigeren Stelle an Land zu schwimmen.

Er kletterte über die scharfgratigen Felsen, die ins Meer ragten, um vielleicht in der daneben liegenden Bucht eine bessere Möglichkeit zu finden, die Steilwand der Küste zu erklimmen. Er riß sich die Hände an den Felsen auf, aber einen Erfolg konnte er nicht verbuchen. Auch in der nächsten kleinen Bucht war die Felswand steil und glatt.

Es nutzt alles nichts, dachte Ferris. Irgendwo in der Wand werde ich schon Halt finden.

Er ging auf die Steilwand zu und sah, daß er mit seiner Vermutung recht hatte. Er dachte an einen der Franzosen von der „Mercure“, der aus Grenoble stammte und schon oft in den Bergen der Alpen herumgeklettert war. Der Mann hatte ihm erzählt, daß Felswände nur von weitem glatt aussehen. Es gäbe überall Risse und Spalten, an die man sich klammern könne.

Seine Hände schmerzten zwar, aber er biß die Zähne zusammen. Mitten in der Wand verschnaufte er und blickte zurück aufs Meer. Weit im Osten konnte er die kleinen Punkte der Piratenboote erkennen.

Die hole ich nie wieder ein, dachte er wütend und setzte seine Kletterei fort.

Dann hatte er den Rand des Steilhanges erreicht. Als er den Kopf über den Rand schob, kriegte er einen gewaltigen Schrecken.

Zwei große braune Augen starrten ihn aus einem länglichen grauen Gesicht an. Dann blähten sich die Nüstern, und ein lautes „Määäh“ dröhnte ihm in den Ohren.

Hastig zog er sich hoch und sprang auf die Beine. Das Schaf glotzte ihn an. Er hörte das scharfe Gebell und zog seine Axt aus dem Gürtel. Ein Collie hetzte auf ihn zu und kläffte ihn wütend an. Der Hund jagte das Schaf zurück zur Herde, dann kehrte er um und blieb knurrend und lauernd vor Ferris stehen.

Ein schriller Pfiff rief ihn zurück.

Ferris sah hinter der Herde einen Mann. Er hob die Hände zum Gruß. Der Mann erwiderte die Geste, und Ferris ging zu ihm hinüber. Er wurde von dem Schäfer mißtrauisch betrachtet. Immer wieder glitt der Blick des Bretonen zu Ferris’ Axt, die er zurück in den Gürtel gesteckt hatte.

Mit Händen und Füßen versuchte Ferris, dem Mann zu erklären, was ihm geschehen war, aber der verstand nur Brathering. Auf einmal ging jedoch ein Leuchten über sein Gesicht, und zwar, als Ferris auf Englisch zu fluchen begann.

Er wies mit ausgestrecktem Arm nach Osten.

„Anglais! Anglais!“ rief er immer wieder.

Engländer? dachte Ferris. Hatte der Kerl die beiden Galeonen in der Bucht von Sillon de Talbert gesehen und sie als englische Schiffe erkannt?

„Bateau?“ fragte Ferris.

Der Bretone schüttelte den Kopf.

„Hommes anglais“, sagte er. Seine Aussprache war fürchterlich. Wahrscheinlich sprach er noch weniger Französisch als Ferris, wie die meisten Bretonen.

Englische Männer, dachte Ferris. Mein Gott, meinte er vielleicht Hasard und seine anderen Kameraden? Waren sie der Fährte der Piraten gefolgt, um ihn zu befreien?

„Wo?“ stieß er auf Französisch hervor. „Wie viele Stunden?“ Er hielt dem Schäfer seine rechte Hand entgegen, damit dieser ihm an seinen Fingern die Anzahl der Stunden zeigen konnte, vor denen er die Engländer gesehen hatte.

Der Bretone bog den Zeigefinger von Ferris, und der verstand. Er hätte am liebsten vor Begeisterung laut gebrüllt. Eine halbe Stunde vor ihm!

„Merci!“ rief er und begann schon zu laufen. Die Aussicht, seine Kameraden so bald schon wiederzusehen, verlieh ihm neue Kräfte. Mit weitausholenden Schritten brachte er die beiden ersten Meilen hinter sich, aber als er dann immer noch nichts von Hasard und den anderen sah, begann er unterdrückt zu fluchen.

Dann dachte er daran, daß Hasard vielleicht in dem Fischerdorf erfahren hatte, daß die Piraten mit den Booten ostwärts aus der Bucht gesegelt waren, und er hatte sich denken müssen, was sie im Schilde führten. Also hatte Hasard ein höllisches Tempo vorgelegt, um noch rechtzeitig in der Bucht von Sillon de Talbert aufzutauchen, bevor die Piraten Ben Brighton oder George Baxter überraschen konnten.

Ferris begann zu laufen. Das Seitenstechen brachte ihn fast um, aber dann war es von einem Moment zum anderen verschwunden. Er spürte seine Füße schon nicht mehr, als er endlich weit vor sich ein paar Punkte sah.

Keuchend blieb er stehen und starrte hinüber. Kein Zweifel, das mußte eine Gruppe von Männern sein. Ferris schätzte sie auf ungefähr zwanzig.

Das können sie sein, wenn Terry und seine Leute bei Hasard sind, dachte er.

Er begann wieder zu laufen, bis ihm die Zunge heraushing. Sein breiter Brustkasten hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Er wollte brüllen, aber er hatte sich so sehr verausgabt, daß er nur noch ein heiseres Krächzen hervorbrachte.

Dann erkannte er, daß die Männer stehengeblieben waren. Einer von ihnen fuchtelte mit den Armen, und dann lief ihm jemand entgegen.

Hölle und Haferbrei! dachte Ferris Tucker erleichtert. Endlich haben die verdammten Kerle mich bemerkt!

Er setzte sich wieder in Bewegung. Die ersten Schritte ging er wie auf Eiern, dann taumelte er Dan O’Flynn entgegen, der ihn mit seinen Adleraugen als erster erkannt hatte.

„Ferris, verdammt!“ brüllte Dan ihm entgegen. „Wie bist du den Teufeln entwischt?“

Ferris Tucker wartete, bis Dan bei ihm war und ihm den Arm unter die Achsel schob, um ihn zu stützen.

„Keine langen Reden jetzt“, sagte er keuchend. „Bring mich zu Hasard. Ich hab ihm eine Menge zu erzählen.“

Er sah die Freude in den Augen seiner Kameraden, als sie ihn lebend wiedersahen, und es tat seinem Herzen wohl. Doch dann berichtete er Hasard, was die Piraten planten, und ihre Gesichter wurden wieder ernst.

„Wir müssen die ganze Nacht durchmarschieren“, sagte Hasard schließlich gepreßt. „Dennoch werden wir die Bucht nicht vor dem Morgengrauen erreichen.“

„Können wir Ben und Baxter nicht mit einem Musketenschuß warnen?“ fragte Carberry grollend.

Hasard schüttelte den Kopf.

„Jeder in die Luft abgefeuerte Schuß würde sie nur irritieren“, erwiderte er. „Woher sollen sie wissen, daß wir sie warnen wollen? Vielleicht nehmen sie dann an, daß wir an Land in einen Kampf verwickelt sind, und richten ihre Aufmerksamkeit auf die Küste, statt auf ihr Schiff. Nein, wir können sie nicht warnen. Wir müssen so schnell wie möglich zu unseren Booten zurück, damit wir eventuell noch in den Kampf eingreifen können.“

„Endlich mal ein paar vernünftigen Vorschläge“, ließ sich Easton Terry vernehmen. „Auf diesen Gedanken hätten Sie allerdings schon am Morgen verfallen können, Mister Killigrew. Mir scheint, Sie sollten mehr auf die Cleverness Ihrer Leute vertrauen, statt wie ein Kindermädchen hinter ihnen herzulaufen.“

„Mann!“ stieß Carberry zornig hervor, und diesmal war Hasard zu langsam, um ihn zurückzuhalten. Ehe jemand sich bewegen konnte, hatte Carberry Terry vorn am Hemd gepackt und hob ihn vom Boden hoch.

„Carberry!“

Hasards scharfe Stimme ließ den Profos zusammenzucken. Er starrte in das blasierte Gesicht Terrys und erkannte in den grauen, kalten Augen des Mannes, daß Hasard ihm mit seiner scharfen Zurechtweisung wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Als er Terry losließ und einen Schritt zurücktrat, sah er seine Vermutung bestätigt. Terry hatte seine Pistole gepackt und die Waffe schon halb aus dem Gürtel gezogen.

„Sie werden sich umgehend für Ihr Verhalten entschuldigen, Profos!“ sagte Hasard scharf.

Im ersten Augenblick fühlte sich Carberry gedemütigt, aber als er Hasard anblickte, erkannte er, daß es für ihn keine andere Wahl gab.

„Entschuldigen Sie, Sir!“ sagte Carberry steif. „Die Pferde sind mit mir durchgegangen.“

Bevor Easton Terry etwas erwidern konnte, sagte Hasard: „Ich werde den Mann für sein Vorgehen züchtigen, Mister Terry. Es wird ein Exempel dafür werden, daß man Ihnen mit dem gebührenden Respekt zu begegnen hat.“

Terry setzte sein abfälliges Lächeln auf. Seine grauen Augen behielten ihre Kälte bei. Terry begriff, daß Hasard ihm mit diesen Worten den Wind aus den Segeln genommen hatte, denn wenn er vorher von ihm gefordert hätte, Carberry wegen seiner Handgreiflichkeit gegen einen Offizier an die Rah zu hängen, hätte Hasard mit mächtigen Schwierigkeiten rechnen müssen, hätte er dieser Bitte nicht entsprochen.

„Ich möchte Sie aber bitten, Mister Terry“, fuhr Hasard kalt fort, „Ihre Provokationen mir und meinen Männern gegenüber zu unterlassen. Denken Sie daran, daß wir gemeinsam eine Aufgabe zu bewältigen haben. Sie sollten Ihre persönliche Animosität mir gegenüber zurückstellen, bis wir unseren Auftrag erledigt haben. Dann stehe ich Ihnen sehr gern zur Verfügung.“

Das war eine offene Herausforderung, und Terrys Lächeln verschwand. Er preßte die Lippen aufeinander und schwieg.

Hasard gab den Befehl zum Aufbruch. Sie durften keine Zeit verschwenden, wenn sie Ben Brighton und George Baxter noch rechtzeitig warnen wollten.

Seewölfe Paket 15

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