Читать книгу Seewölfe Paket 15 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 40

5.

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Die wabernden Nebelschleier hatten sich im ersten Sonnenlicht aufgelöst. In den gleißenden Strahlen, die durch das dichte Nadel- und Blätterdach des Waldes zuckten, tanzten Myriaden von Staubpartikelchen und Insekten.

Der Wald begann zu dampfen von der nächtlichen Feuchtigkeit, und die Männer, die bisher gefroren hatten, begannen langsam zu schwitzen.

Der Seewolf hatte seit geraumer Zeit nichts mehr von Terry und seinen Leuten gehört. Er war sich nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war, an Land zu gehen und zu versuchen, in diesem riesigen Waldgebiet nach versprengten schiffbrüchigen Piraten zu suchen.

Er sah den Männern an, die nach der Schlacht nur wenig Schlaf gefunden hatten, daß sie dringend Ruhe haben mußten. Er hob den Arm und bedeutete den Männern hinter sich, daß ihr Weg hier zu Ende sei. Einen Moment dachte er an Easton Terry, der eventuell auf seine Hilfe zählte, wenn er mit einer Gruppe Piraten aneinandergeriet. Doch wie sollten sie in diesem weitläufigen Wald zueinanderfinden?

„Es hat keinen Zweck, weiter vorzudringen“, sagte er und wies auf das dichte Unterholz, das ihnen schon nach wenigen Schritten die Sicht versperrte. „Wir könnten an hundert Piraten vorbeilaufen und würden sie nicht einmal bemerken.“

„Und was ist mit Mister Terry?“ fragte Stoker, der Decksälteste der „Fidelity“. „Wollen Sie ihn im Stich lassen?“

„Mister Terry wird inzwischen ebenfalls bemerkt haben, daß wir in diesem Wald nicht operieren können“, erwiderte Hasard. „Oder wissen Sie, wo sich Ihr Kapitän gerade aufhält, Stoker?“

Der affenähnliche Mann schüttelte den Kopf und schwieg.

Hasard wollte sich an Dan O’Flynn wenden, als er sah, daß dieser angestrengt auf eine bestimmte Stelle starrte. Er hatte die Hand gehoben und die anderen damit zum Schweigen aufgefordert.

Alle blickten in dieselbe Richtung, und als der grauhaarige Kerl aus den Büschen auftauchte und erstarrte, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt, stieß Halibut, der plattnasige Kerl aus Terrys Crew, einen wilden Schrei aus, riß sein Messer aus der Scheide und sprang auf den hochgewachsenen Grauhaarigen zu.

Der Mann tauchte blitzschnell unter.

Der Seewolf konnte seine Männer nicht zurückhalten. Er wollte es auch nicht. Stundenlang waren sie durch den Wald gestreift, und er war froh, daß sie endlich jemanden gefunden hatten, an den sie sich halten konnten.

Der Bursche war verdammt schnell und behende. Halibut, der inzwischen keuchend die Führung an Hasard und Dan O’Flynn abgegeben hatte, fiel immer weiter zurück.

Er hielt sich schließlich mit Stoker und Bingham am Ende der Gruppe. Hasard sah es aus den Augenwinkeln, als er sich einmal umdrehte, und es gab ihm zu denken.

Wieder tauchte der Grauhaarige vor ihnen auf, nicht mehr als fünfzig Schritte entfernt.

Dan bahnte sich einen Weg durchs dichte Unterholz und fluchte während des Laufes. Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß sie den Burschen nicht packen konnte.

Sie erreichten eine größere Lichtung, die grasbewachsen war und von mehreren Eichen beschattet wurde. Von dem Grauhaarigen war nichts zu sehen. Er mußte die Lichtung umgangen und sich im Unterholz weiterbewegt haben.

„Halt!“ rief Hasard.

Irgend etwas an der ganzen Geschichte stank ihm. Er dachte daran, daß es für einen Verfolgten hinter diesen hohen Büschen und Sträuchern, zwischen umgestürzten Bäumen mit ihren in die Luft ragenden Wurzelballen leicht sein mußte, vor den Augen anderer verborgen zu bleiben.

Der Grauhaarige aber hatte sich immer wieder gezeigt, als hätte er Angst, die Verfolger würden ihn aus den Augen verlieren.

„Eine Falle!“ stieß Hasard hervor.

Seine Männer starrten ihn an. Niemand begriff, was er meinte.

„Wir müssen weiter!“ rief Halibut, als er mit Stoker und Bingham heran war.

„Wieso eine Falle?“ fragte Dan.

Der Seewolf brauchte auf seine Frage keine Antwort mehr zu geben. Halibut, Stoker und Bingham, die weitergelaufen waren, blieben plötzlich stehen, als hätte sich vor ihnen ein Abgrund aufgetan.

Dort, wo der Grauhaarige zuletzt untergetaucht war, stand plötzlich ein halbes Dutzend wilder Gestalten. Es waren zweifellos Piraten. Ihre abenteuerliche Kleidung ließ keinen anderen Schluß zu.

Halibut brüllte auf wie ein Stier. Er hob seine Pistole, zielte kurz und drückte ab. Eine der Gestalten kippte um, die anderen waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.

„Schnappt euch die Kerle!“ schrie Halibut. „Sie haben keine Schußwaffen!“

Er sprang aus dem Stand los in die Büsche, und kurz darauf waren heftige Kampfgeräusche zu hören.

Der Seewolf konnte nicht länger tatenlos zusehen. Er winkte seinen Männern, daß sie zusammenbleiben sollten, und eilte zu den drei Terry-Männern hinüber.

Er hörte die Geräusche hinter und neben sich, und er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, was das bedeutete.

Sie waren umzingelt!

Sein Gefühl hatte ihn zu spät gewarnt. Der Grauhaarige war nichts anderes als ein Lockvogel gewesen, der sie in diese Falle geführt hatte.

„Ich hab einen!“ brüllte Halibut, der immer noch nicht begriffen zu haben schien, in was sie geraten waren. „Bingham, hilf mir, den Kerl zu fesseln!“

Ein Schuß krachte, und mit einemmal war die Hölle rund um sie herum los. Überall donnerten jetzt Pistolen und Musketen. Graue Pulverdampfwolken stiegen aus den Büschen, und Hasard spürte ein heißes Brennen am rechten Oberarm.

Er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern.

„Runter von der Lichtung!“ schrie er und zerrte Dan O’Flynn mit sich. Stenmark, Matt Davies, Ferris Tukker und Finnegan waren dicht bei ihnen. Sie wußten, daß sie gegen eine Übermacht nur dann eine Chance hatten, wenn sie zusammenblieben.

Vor ihnen war ein wüstes Handgemenge im Gange. Halibut hatte stark übertrieben, als er gerufen hatte, er hätte jemanden.

Sie hatten ihn.

Sieben, acht Gestalten bedrängten die drei Terry-Männer und schlugen mit Knüppeln und Säbeln auf sie ein. In der Nähe standen ein paar Kerle, die Pistolen in den Händen hielten und versuchten, einen der kämpfenden Männer ins Visier zu kriegen.

Als Hasard und die anderen auftauchten, wirbelten sie herum und schossen, ohne richtig zu zielen. Die Kugeln fauchten vorbei, aber jetzt wurden sie auch von der anderen Seite beschossen.

Der Seewolf stürzte sich auf die Kerle, die versuchten, ihre Pistolen nachzuladen. Er und Dan waren bei ihnen, noch ehe sie das Pulver auf der Pfanne hatten. Dans gekürzte Pike tanzte auf ihre Schädel nieder, und sie gingen schreiend zu Boden. Finnegan, Ferris Tucker und Matt Davies befreiten Halibut, Stoker und Bingham, indem sie die Piraten mit den Fäusen niederschlugen. Halibut brüllte vor Wut, riß seine Pistole hoch und schoß auf einen Mann, der sich zur Flucht gewandt hatte. Er traf ihn in den Rücken. Der Mann stürzte nach vorn aufs Gesicht und rührte sich nicht mehr.

Der Seewolf hatte es gesehen und nahm sich vor, diesen Zwischenfall nicht zu vergessen.

An dem wütenden Geschrei der Piraten hörte er, daß auch diese den unnötigen Mord beobachtet hatten. Eine Salve peitschte auf, und Bleistücke heulten wie ein Hornissenschwarm durch das Unterholz.

Es war wie ein Wunder, daß niemand von ihnen getroffen wurde. Dennoch hatte der unselige Schuß Halibuts die Piraten aus ihrer bislang noch geübten Zurückhaltung gerissen.

Sie griffen an, und sie ließen sich auch durch die gezielten Schüsse der Seewölfe nicht mehr zurückhalten. Drei Piraten lagen schon reglos auf der Lichtung, als eine Horde von mindestens zwanzig Mann auf Hasard und die anderen eindrang.

Die dichten Büsche verhinderten eine weitere Schießerei, weil niemand wußte, ob er nicht den eigenen Mann traf.

Hasard und Ferris Tucker standen Rücken an Rücken und kämpften wie die Berserker. Ferris ließ seine großen Fäuste wirbeln und schlug einen nach dem anderen zu Boden, aber die Piraten rappelten sich immer wieder hoch und griffen mit dem Mut der Verzweiflung von neuem an.

Hasard dachte an Easton Terry und seine Leute. Er konnte nur hoffen, daß die Schüsse weithin zu hören gewesen waren und Terry bald auf den Plan rufen würden.

Ein schriller Schrei ließ die anderen für einen Moment innehalten, denn jeder, Freund oder Feind, hatte an der Tonlage, mit dem dieser Schrei ausgestoßen worden war, gehört, daß jemand in höchster Not war.

Hasard drehte den Kopf und sah Bingham aus den Büschen taumeln. Sein Hemd hatte sich auf der Brust von seinem eigenen Blut gefärbt. Er stolperte noch einige Schritte vorwärts, dann brach er in die Knie und fiel aufs Gesicht. Reglos blieb er liegen.

Ferris Tucker hatte keine Zeit gefunden, sich um Binghams Schrei zu kümmern. Er mußte sich einem Pulk von vier Piraten stellen, und hinter denen stand ein Mann mit einem länglichen Gesicht, dunklen Augen und einem dünnen Oberlippenbart. Er hielt eine Muskete am Lauf gepackt und lauerte auf eine Chance, Ferris den Kolben gegen den Schädel zu donnern.

Der Mann sah nicht aus, als gehöre er zu den Piraten. Ferris schossen diese Gedanken durch den Kopf, doch er konnte sie Hasard nicht mitteilen. Er spürte plötzlich, daß der Seewolf nicht mehr an seiner Seite war, und als er sich umdrehte, sah er, wie Hasard ein paar Yards von ihm entfernt mit dem grauhaarigen Burschen rang, der sie in diese Falle gelockt hatte.

Im letzten Augenblick sah Ferris Tucker die wischende Bewegung vor sich. Er warf sich zur Seite, und der Kolben der Muskete streifte nur seinen Arm. Er brüllte auf, donnerte einem Kerl, der sich an ihn hängte, die Faust auf den Kopf, daß er zu Boden sackte, und griff den Mann mit der Muskete an.

Der Kerl war geschmeidig wie eine Wildkatze. Jedesmal, wenn Ferris Tucker zupacken wollte, war er schon nicht mehr da. Aber er erhielt auch keine Gelegenheit mehr, mit seiner Muskete zuzuschlagen.

Ferris wollte sich zu Hasard zurückziehen, um wieder Rücken an Rücken mit ihm zu kämpfen. Er wagte nicht, sich umzudrehen, denn der lange Kerl mit dem dunkelroten Hut schien ihm zu gefährlich, als daß man ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen durfte.

Seitlich von sich sah er Dan O’Flynn mit seiner gekürzten Pike kämpfen. Die Piraten schienen einen Heidenrespekt vor seiner selbstgebastelten Waffe zu haben, denn sie wagten sich nicht näher als bis auf einen Yard an ihn heran. Sie versuchten, ihn mit Säbeln und Degen aufzuspießen, aber er war schneller als sie und prellte ihnen mit der Pike ihre Waffen ein ums andere Mal aus den Händen.

Ferris Tucker stieß einen röhrenden Schrei aus, als ihn etwas hart in den Kniekehlen traf. Er wollte auf den Beinen bleiben, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Mit rudernden Armen brach er in die Knie. Seine linke Hand zuckte vor und griff in die Hemdbrust eines Piraten, der sich zu dicht an ihn herangewagt hatte. Wütend stemmte er den Kerl hoch und warf ihn gegen den Mann mit der Muskete, doch der wich mit einer geschickten Körperdrehung aus.

Ferris warf sich zur Seite und überrollte sich am Boden. Zweige von Büschen peitschten sein Gesicht, aber davon verspürte er nichts. Er konzentrierte sich ganz auf den Schmerz in seinen Kniekehlen, und als er soweit war, sich wieder zu erheben, sah er den Schatten des Mannes mit dem dunkelroten Hut über sich.

Instinktiv wollte er die Arme hochreißen, um seinen Kopf zu schützen, doch da traf ihn der Musketenkolben mit voller Wucht an der Schläfe.

Ferris Tucker hörte die Engel im Himmel singen. Wunderschöne bunte Kreise tanzten vor seinen Augen. Er fühlte sich leicht. Schmerzen verspürte er nicht mehr. Irgend jemand hob ihn auf, dann wurde er von einem schwarzen Wirbel gepackt, der die bunten Kreise verblassen ließ. Er hatte das Gefühl, in ein tiefes, schwarzes Loch zu stürzen.

Niemand von den anderen hatte Ferris Tucker ins Gebüsch stürzen sehen. Jeder war mit seinen Gegnern vollauf beschäftigt.

Matt Davies hatte sich zu Dan durchgeschlagen, und zusammen heizten sie den Piraten ein, daß denen heiß wie in der Hölle wurde. Jetzt wagten sie sich auch nicht mehr mit Säbeln und Degen an die beiden heran.

„Los, zu Hasard hinüber!“ brüllte Matt und hieb mit seinem Haken, der seinen Gegnern eine höllische Furcht einjagte, wie wild um sich.

Dan sah, daß Hasard mit dem Grauhaarigen rang. Er hatte gedacht, daß nur alte Leute graue Haare hatten, aber der Kerl mit der dunklen Haut schien die Kraft eines Bären zu haben, da er Hasard immer noch widerstand.

Als sie den Seewolf erreichten, wandte sich der Grauhaarige plötzlich zur Flucht. Finnegan und Stenmark, die sich etwas abseits gegen eine Übermacht von sechs Piraten bravourös geschlagen hatten, liefen heran.

„Sie hauen ab!“ brüllte Halibut, der aus einem Gebüsch auftauchte. Fast schien es, als hätte sich der Kerl versteckt. Neben ihm tauchte Stoker auf, dessen Gesicht blutverschmiert war. Es sah aus, als hätte ihn ein Säbelhieb quer übers Gesicht getroffen, doch als er mit der Hand über seine faltige Stirn fuhr, um sich das Blut wegzuwischen, das ihm in die Augen lief, sahen die anderen, daß nur seine Augenbraue aufgeplatzt war.

Es wurde still. Ab und zu waren die Geräusche von brechenden Zweigen und schlagenden Ästen noch zu vernehmen, doch dann stand nur noch das heftige Atmen der Seewölfe in der schwülen Waldluft.

Hasard blickte sich um. Der Waldboden war zerwühlt, als hätte hier eine Horde Wildschweine gehaust. Dann fiel sein Blick auf den leblosen Bingham, und mit schweren Schritten ging er auf den Mann zu.

Er beugte sich bei ihm nieder und drehte ihn vorsichtig auf den Rükken.

Leere Augen blickten an ihm vorbei zu den Wipfeln der Bäume. Das Blut auf seiner Brust begann schon zu gerinnen.

Hasard drückte ihm die Lider über die Augäpfel und erhob sich mit zusammengekniffenen Lippen. Er fragte sich, ob er den Kampf hätte vermeiden können, wenn er eher bemerkt hätte, daß sie der flüchtende Mann in eine Falle locken wollte.

Er schüttelte den Kopf. Sie waren davon ausgegangen, daß die Piraten nur völlig unzureichend bewaffnet sein konnten. Diese Annahme war völlig falsch gewesen. Die Piraten hatten genügend Schuß- und Stichwaffen gehabt, daß es sogar noch wesentlich schlimmer für sie hätte ausgehen können. Es war ein Wunder, daß sich die Kerle so plötzlich zurückgezogen hatten.

Vier von ihnen waren auf der Strecke geblieben. Der eine, den Halibut in den Rücken geschossen hatte, und drei andere, die in die Kugeln der Seewölfe gelaufen waren, als sie versucht hatten, diese in den Büschen zu überrennen.

„Jemand verwundet?“ fragte er mit belegter Stimme.

Dan O’Flynn tauchte neben ihm auf und wies auf Hasards rechten Oberarm.

„Dich hat es erwischt“, sagte er.

Hasard winkte ab. „Nur eine Fleischwunde. Das ist nicht so schlimm.“ Die Wunde schmerzte höllisch, aber das brauchte er niemandem unter die Nase zu binden.

„He, Ferris!“ rief Stenmark. Der Schwede war etwas abseits in die Büsche gegangen, wo er zuletzt den Zimmermann gesehen hatte. Als er nichts fand, drehte er sich zu den anderen um. „Wer hat Ferris zuletzt gesehen?“

Sie schauten sich betroffen an, und Hasard hetzte zu Stenmark hinüber.

„Er hat zuerst Seite an Seite mit mir gekämpft, aber dann hatten wir beide mit unseren Gegnern genug zu tun“, sagte er atemlos.

Stenmark bückte sich und hob ein Messer auf, das im Gebüsch gelegenhatte.

„Das gehört Ferris!“ stieß er hervor. „Verflucht, wenn die Kerle ihn nicht ermordet haben, haben sie ihn entführt!“

Ehe sie alle verdaut hatten, was Stenmark vermutete, drangen wieder Geräusche an ihre Ohren.

„Sie kommen zurück!“ zischte Halibut und wollte wieder in einem Busch verschwinden.

Matt Davies packte ihn, indem er ihm den Haken seiner rechten Handprothese durch den Hemdkragen fädelte, und riß ihn hoch.

„Diesmal wird richtig gekämpft, Bürschchen!“ knurrte er. „Und nicht nur dem fliehenden Gegner in den Rücken geschossen, verstanden?“

Halibut heulte auf und zappelte mit den Beinen, aber Matt gab ihm mit der anderen Hand was aufs Maul, und der Bursche wurde schnell stumm.

Die Leute, die sich ihnen näherten, nahmen keine Rücksicht darauf, daß man sie schon von weitem hören konnte. Die Anspannung wich von Hasard. Das waren nicht die Piraten. Das konnte nur Easton Terry mit seiner Gruppe sein.

Wenig später bestätigte sich Hasards Vermutung.

Terry brach an der Spitze seiner achtköpfigen Mannschaft durch die Büsche und stampfte auf die Lichtung. Als er die drei toten Piraten sah, stockte sein Schritt. Er blieb stehen und warf den Kopf hoch. Dicht hinter ihm hielten Reeves und Mulligan. Ed Carberry, Shane und Blacky bildeten offensichtlich die Nachhut, wie es Terrys Leute in Hasards Gruppe getan hatten.

Terrys und Hasards Blicke kreuzten sich. Das übliche abfällige Lächeln stand in seinem Gesicht.

„He!“ rief er herüber. „Ich dachte, Sie wollten die Piraten lebend haben, Mister Killigrew!“

Er trat auf die Lichtung heraus und beugte sich über die Piraten. Seine Stirn zog sich in Falten, als er sah, daß sie Pistolen bei sich trugen. Dann richtete er sich wieder auf und wartete, bis die Männer von Hasards Gruppe zu ihm auf die Lichtung getreten waren.

„Wo sind denn nun die Gefangenen?“ fragte er zynisch. „Nach dem Geballere, das uns angelockt hat, müssen Sie sich ja gegen eine Übermacht von hundert Piraten verteidigt haben.“

„Das ist vielleicht etwas übertrieben“, erwiderte Hasard kalt, „aber mehr als zwei Dutzend waren es auf jeden Fall. Und sie waren nicht wehrlos, wie wir angenommen hatten, sondern führten mehr Schußwaffen mit sich als wir.“

Halibut schob sich an Hasard vorbei und sagte hastig: „Es hat Bingham erwischt, Sir. Und einer von seinen Leuten“, er wies auf Hasard, „hat sich von Piraten entführen lassen.“

Das Lächeln auf Easton Terrys Gesicht war wie weggewischt. Seine grauen Augen schienen Hasard zu durchbohren. Er schob sein kantiges Kinn vor, preßte die Lippen aufeinander und ging an Hasard vorbei auf das Gebüsch zu, hinter dem der tote Bingham lag. Ohne sich zu bücken, starrte er auf den Leichnam hinunter, dann drehte er sich eckig wieder um und stiefelte zur Lichtung zurück, wo Hasard und seine Männer stehengeblieben waren. Carberry, Shane und Blacky hatten sich hinter ihm aufgebaut.

„So sieht also Ihr genialer Plan aus, Mister Killigrew“, sagte er mit hohntriefender Stimme. „Wieso haben Sie sich nicht gesagt, daß die Piraten Waffen an Land hatten, um für den Eventualfall gerüstet zu sein? Wahrscheinlich sind die Franzosen eine Nummer zu groß für Sie, Mister Killigrew!“

Hasard hörte das Schnauben Carberrys hinter sich, und seine Hand zuckte zur Seite, als der Profos an ihm vorbei wollte. Er warf nur einen kurzen, scharfen Blick auf Ed, und der blieb zähneknirschend stehen.

„Sie bringen Ihre Einwände ein bißchen spät hervor, Terry“, erwiderte Hasard ruhig, obwohl es in ihm nicht viel weniger kochte als in Carberry. Das „Mister“ hatte er absichtlich weggelassen, um Terry zu zeigen, was er von ihm hielt. „Wenn das Huhn gackert, weiß jeder, daß es ein Ei gelegt hat.“

„Sie können sicher sein, Killigrew, daß mir dieser Reinfall nicht passiert wäre“, sagte Terry überheblich. „Das Ganze wäre auch nicht weiter tragisch, wenn nicht ausgerechnet einer meiner Leute hätte dran glauben müssen. Ich hoffe, es lag nicht daran, daß Sie das Leben Ihrer Männer höher einschätzen als das Leben meiner Leute.“

Für diese Bemerkung hätte der Seewolf dem verdammten Großmaul am liebsten die Faust zu kosten gegeben, aber er hielt sich zurück. Er wußte, daß es keine andere Wahl gab, als mit Terry auszukommen. Die Königin hatte sie beide für ein gefährliches Unternehmen zusammengeführt, und einer allein konnte es nicht bewältigen.

Hasard schwor sich in diesem Moment, keine von Terrys Bemerkungen zu vergessen. Und wenn sie ihren – Auftrag erledigt hatten und beide noch am Leben waren, dann würde er sich das Großmaul einmal vornehmen.

„Na, Halibut“, sagte die dunkle Stimme von Matt Davies neben Hasard, „willst du deinem großen Kapitän nicht auch berichten, wo du dich während des Kampfes versteckt hast, nachdem du mit deinem hinterhältigen Schuß in den Rücken eines fliehenden Piraten erst die Schärfe in die Auseinandersetzung gebracht hast?“

Halibut wurde erst blaß, dann puterrot.

„Du verdammter Lügner!“ brüllte er. „Ich werde …“

Wieder hing er mit dem bereits zerfetzten Kragen an Matts Haken, der ihn dicht zu sich heranzog und ihm in die Visage grinste.

„Na, was wirst du?“ fragte er grimmig.

„Käptn!“ kreischte Halibut, aber bevor Terry etwas sagen konnte, befahl Hasard Matt mit einer Handbewegung, den Kerl loszulassen.

Matt tat das so elegant, daß Halibut fast einen Purzelbaum schlug. Allerdings nur fast. Eine Vierteldrehung fehlte, so daß er genau mit der Nase im weichen Waldboden landete. Mit einem Satz war er wieder auf den Beinen. In der Rechten hielt er ein Messer, und wenn Terry nicht blitzschnell zugepackt und seinen Arm festgehalten hätte, wäre das Messer wahrscheinlich durch die Luft auf Matt zugesegelt.

„Ich begreife die feindselige Haltung Ihrer Männer nicht, Killigrew“, sagte Terry scharf. „Sie werden verstehen, daß ich mir das nicht bieten lassen kann. Ich werde das Lord Cliveden melden müssen, wenn wir zurück in England sind. Mir scheint, daß man den falschen Mann ausgewählt hat, diese wichtige Mission zu erfüllen.“

„Zum Glück interessiert hier niemanden, was Sie glauben“, sagte Hasard kalt. „Und wenn sich Ihre Männer während des Kampfes alle so verhalten wie der Kerl da“, er wies auf Halibut, „dann wundert es mich, daß Ihr Schiff noch nicht von einer Jolle versenkt wurde.“

Easton Terrys Gesicht war eine Maske des Hasses, aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Wahrscheinlich hatte er sich gesagt, daß es hier im Wald sinnlos war, solche Gespräche zu führen. Das würde er später an geeigneterer Stelle ausführlich nachholen. Er nahm sich vor, Mister Killigrew seine Fehler begehen zu lassen und abzuwarten, was der Hof und Lord Cliveden zu dem Versager Killigrew zu sagen hatten.

Hasard wandte sich an seine Männer.

„Die Piraten waren etwa dreißig Mann“, sagte er. „Wir sind jetzt siebzehn, und das sollte genügen, um Ferris Tucker aus ihrer Gewalt zu befreien, auch wenn sie besser bewaffnet sind als wir. Es dürfte nicht schwer sein, ihren Spuren zu folgen.“ Er wandte sich an Terry. „Meine Männer werden mit mir vorausgehen, damit Sie nicht wieder behaupten können, mir sei das Leben Ihrer Leute weniger wert. Vielleicht hilft es Ihren Leuten auch, wenn sie sehen, wie die meinen kämpfen.“

Easton Terry setzte wieder sein abfälliges Lächeln auf. Ihn berührte es nicht, daß seine Männer sich beleidigt fühlten. Er wußte, daß er im Stolz des schwarzhaarigen Burschen eine Schwäche entdeckt hatte, und er war entschlossen, sie auszunutzen, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergab.

Er hielt sich zurück und flüsterte mit Reeves, seinem Bootsmann, der heftig auf ihn einredete. Der schlanke, sehnige Mann warf seinem Kapitän vor, daß er die Beleidigungen so einfach hingenommen hätte, aber Terry winkte ab und sagte leise: „Das müssen Sie mir schon überlassen, Reeves. Für alles, was ich tue, habe ich meine Gründe. Sie sollten das inzwischen begriffen haben.“

Reeves preßte die Lippen zusammen und nickte. Dann blieb er mit den anderen zurück und wartete, bis die Männer von der „Hornet“ die Spuren der Piraten aufnahmen und sich einen Weg durch das Unterholz bahnten.

Jerry Reeves wechselte einen Blick mit Mulligan, und sie wußten, daß sie beide das gleiche dachten. Auch wenn dem Kapitän der „Hornet“ vielleicht ein Fehler unterlaufen war, so schien es ihnen doch, daß sein Verhältnis zu seinen Männern wesentlich kameradschaftlicher war als das Terrys zu ihnen.

Stumm stampften sie hinter Terry her, der immer wieder anhielt, wenn die erste Gruppe ausschwärmte, um nach Spuren zu suchen. Terry dachte nicht daran, selbst zu helfen oder seinen Männern zu befehlen, die Gruppe um Philip Hasard Killigrew zu unterstützen.

Seewölfe Paket 15

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