Читать книгу Hitlers Überflieger - Ruben Gantis - Страница 14
ОглавлениеKapitel 10 – Consulting-Unternehmen – Juli 1934
Nach dem Studium kämpfte er wieder mit der gleichen Frage: zurück in den väterlichen Betrieb oder in den USA bleiben? Die Jobs in Amerika waren rar nach der Wirtschaftskrise 1929. Und selbst für Absolventen von Harvard war die Luft dünn. Allerdings tauchten in den letzten Wochen vor den Prüfungen immer wieder Unternehmensberatungen an den Bewerbungstagen der Uni auf und winkten mit sicheren Arbeitsplätzen für die Besten der Besten. Foremann bewarb sich bei Gavry & Partner und nach mehreren Bewerbungsgesprächen hatte er den Job. Er war gut bezahlt und bot eine abwechslungsreiche Aufgabe. Foremann informierte seine Eltern per Telegramm, dass er nicht gleich nach Deutschland zurückkommen und ins väterliche Unternehmen einsteigen würde. Er bekam nie eine Antwort zurück. Der Kontakt zu seinen Eltern war beendet.
‚Wir verbessern die Produktivität unserer Kunden.‘ Die Geschäftsphilosophie seines neuen Arbeitgebers konnte nicht präziser ausgedrückt werden. Gavry half seinen Kunden, jeden Mitarbeiter entsprechend dessen Fähigkeiten einzusetzen und die Erfahrungen und das Wissen der Mitarbeiter für die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse nutzbar zu machen, erklärte der Dozent. Der war kaum älter als Foremann und stellte sich als John Curler, Projektleiter, vor. John kam damals die Aufgabe zu, die Neuen mit der Strategie der Firma vertraut zu machen. Foremann war fasziniert an seinem ersten Trainingstag. Sein Arbeitgeber sah in der Kreativität der Männer und Frauen in den Werkshallen und der Verwaltung das Potential für Verbesserungen. Foremann fand es revolutionär.
Bereits nach wenigen Wochen bekam er ein Projekt bei Hughes Aircrafts in Philadelphia. Montags morgens fuhr er um fünf samt dreier Kollegen mit der Pennsylvania Railroad zum Bahnhof Philadelphia, 30th Street, dem wichtigen Netzknoten an der Ostküste. In dem neu eröffneten Bahnhof wuselte es vor Menschen, die in alle Richtungen strömten. Foremann schmunzelte beim Gedanken, wie er seinen Kollegen zur Straßenbahn, die sie zu den Hughes Werken brachte, hinterher trabte. Obwohl er das ganze Wochenende geschuftet hatte, um sich richtig vorzubereiten auf seinen ersten Tag beim Kunden, waren seine Hände feucht. Sie betraten einen düsteren Raum ohne Fenster. Die Luft stand angesichts der ungefähr zwanzig Teilnehmer, die einer Schulklasse gleich in Reihen saßen. John, sein Projektleiter, begrüßte die Anwesenden mit einem saloppen „Morgen die Herren“. Dann mokierte er sich darüber, dass die Teilnehmer brav Reihe für Reihe saßen, obwohl sie diskutieren wollte. Er forderte sie energisch auf, die Tische zu einem U zusammenzustellen.
Foremann stellte sich in die zweite Reihe, um den eingeübten Diskussionsablauf nicht zu stören, aber sein Projektleiter holte ihn nach vorne und stellte ihn vor als Frank, ‚the German‘. Alle lachten. Foremann war diese Einführung peinlich, er bekam einen roten Kopf und Schweißperlen auf der Stirn.
Die nächsten Sätze von John hatte er auch nach all den Jahren noch deutlich im Ohr: „Frank wird protokollieren, also sprecht deutlich und klar, damit unser deutscher Kollege auch kapiert, was ihr meint.“
Foremann fummelte nervös an seinem Krawattenknoten herum, während John Kreide zur Hand nahm und an die Tafel schritt. Er malte acht Pfeile hintereinander: Bedarfsermittlung, Bestandskontrolle, Budgetgenehmigung, Lieferantenauswahl, Bestellung, Bestellüberwachung, Wareneingang, Zahlungsabwicklung. Der Beschaffungsprozess. Alle Teilnehmer vertraten unterschiedliche Abteilungen von Vertrieb bis Produktion. Und Charly aus der Beschaffungsabteilung musste erklären, warum. Wieder erinnerte sich Foremann an den genauen Wortlaut der Diskussion:
„Ach John, wir haben es ja kapiert. Hören Sie auf, uns immer wieder die Grundzüge der Gavry Methode zu erklären.“
„Nur, wenn Sie mir sagen, was die Grundzüge sind“, grinste John den Vertreter der Beschaffungsabteilung an.
„Durch das Zusammenarbeiten von abteilungsübergreifenden Teams können wir einen Prozess ganzheitlich betrachten und Optimierungsmöglichkeiten zeigen, die man aus Sicht der betroffenen Abteilung allein nicht erkennen würde“, betete Charly den Sinn dieser Art von Teamzusammensetzung herunter.
„Sie wissen es ja tatsächlich“, frotzelte John.
„Ihr Gavry’s, ihr Consultants. Ihr fragt uns nach der Uhrzeit, um uns dann zu sagen, wie viel Uhr es ist“, konterte Charly.
Foremann musste grinsen bei diesem Dialog. Sein Chef drehte sich dem Produktionsleiter zu und fragte ihn, was in der Beschaffung besser laufen könnte. Foremann stand an der Tafel. Seine Krawatte saß nun locker, die Hemdenärmel hockgekrempelt. Er nahm jeden Gedanken der Kollegen auf und sortierte sie den Pfeilen zu, den Teilprozessen der Beschaffung. Er wurde mutiger.
Auf den Einwand des Produktionsvertreters: „Hey German, mein Punkt gehört zum Teilprozess Bestandskontrolle“, konterte Foremann:
„So, so, das klingt aber eher nach Bedarfsermittlung“.
Das Lob, dass der German schneller kapieren würde und analytisch war, gefiel ihm. Nach zwei Stunden Diskussion hatten sie die wesentlichen Punkte gesammelt. Foremann war erstaunt, wie viel Kreativität diese zusammengewürfelte Truppe entfaltet hatte. Stolz hakte er nach der Schlussrunde der Debatte jeden wichtigen Punkt ab und strich die belanglosen Argumente.
So war Amerika, dachte Foremann, frei, innovativ und unternehmerisch. In dem Team bei Hughes hatten sie die Durchlaufzeiten in der Produktion um dreißig Prozent reduzieren können. Das war es, was er in deutschen Unternehmen mit seinem Beratungsunternehmen erreichen wollte. Mehr Produktivität durch die Nutzung von Kreativität der Mitarbeiter. Aber konnte das wirklich klappen im neuen Deutschland? Freiheitliches Denken statt autoritäre Vorgaben, Kreativität statt Disziplin, selbstbestimmte Teams statt Befehle und Gehorsam?