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ОглавлениеKapitel 4 – Reichswirtschaftsministerium – Juli 1934
Doktor Meyer lehnte sich zurück und wippte in seinem breiten Lehnstuhl, den er als Schreibtischstuhl missbrauchte. Er schaute auf die aktuelle Statistik in der Ausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom Vortag: Industrieproduktion im ersten Halbjahr 1934. Was der deutschen Industrie half, war auch gut für das Land. Er wollte das Vaterland nach der Schmach von Versailles wieder stark sehen. Im Friedensvertrag von Versailles hatte man Deutschland gezwungen, anzuerkennen, der Urheber des Krieges und für alle Schäden und Verluste verantwortlich zu sein. Er wollte für sein Land kämpfen, nicht wie sein Vater, der sich wegduckte, wo immer er konnte. Apathisch und unpolitisch. Als Kriegsverletzter mit einer durchschossenen Lunge dauerte dessen Leben nicht lang. Meyer hatte keinen Grund zu trauern, als der Vater 1925 an einer Lungenentzündung starb.
Seine Karriere war schnell und steil. Vor vier Jahren wurde er zum Abteilungsleiter im Reichswirtschaftsministerium berufen. Als er im September des letzten Jahres zum Staatssekretär ernannt wurde, hatte er den richtigen Platz gefunden, um seinen Traum umzusetzen. Meyer drückte sich von der Tischplatte ab und hob seinen massigen Körper. Er öffnete die schwere Holztüre zu seinem Vorzimmer.
"Fräulein Schneider, holen Sie mir Schwans und Streiter ins Büro.“
„Wird erledigt, Herr Staatssekretär.“
„Jetzt sofort!", brüllte er in gewohnter Schärfe hinterher.
"Ja, Herr Doktor Meyer.“
Mit dem Bleistift in der rechten Hand wählte sie hastig Schwans Nummer. Wenige Minuten später klopfte es zweimal an Fräuleins Schneiders Tür. Schwans öffnete zurückhaltend die Tür. Er schnaufte schwer, als ob er vier Stufen auf einmal genommen hätte. Streiter schob ihn ins Zimmer.
"Ist der Chef drin?“, fragte Streiter etwas laut und Fräulein Schneider führte ihren Zeigefinger zum Mund. Streiter schmunzelte. Er kannte die Zeichen der Sekretärin: Vorsicht, der Chef ist gereizt.
"Kommen Sie rein, meine Herren, wir haben nicht viel Zeit." Schwans ging voraus und hob beim Betreten des langgestreckten Büros von Meyer den rechten Arm.
"Heil Hitler!"
Der lange Streiter folgte ihm mit kurzem Abstand und noch einmal knallte „Heil Hitler!“ durch den Raum.
"Heil Hitler, nehmen Sie Platz, meine Herren.“
Zwei schwarze Ledersofas füllten den halben Raum des Büros. Deren Patina konnte Geschichten über Meyers Vorgänger erzählen. Meyer ließ sich behäbig auf die Mitte des Sofas fallen. Die Couch sank tief ein. Die Abteilungsleiter nahmen auf der gegenüberliegenden Couch Platz wie Schulbuben vor dem Rektor. Fräulein Schneider wartete auf die Bestellung. Die blonden Haare der Sekretärin waren zu Zöpfen gebunden. Meyer ließ seinen Blick über ihre weiße Bluse und ihren überlangen karierten Rock nach unten gleiten.
„Für mich einen Schwarzen, wie immer, und für die Herren auch?“, bellte Meyer.
"Meine Herren, durch die Maßnahmen des Vierjahresplans und die Planung von Reicharbeitsministerium, Reichswirtschaftsministerium und Reichsbank ist es dem Führer gelungen, die Arbeitslosigkeit drastisch zu senken. Wir sind fast wieder auf dem Stand von 1926. Das Konjunkturprogramm zeigt seit der Machtübernahme in der Automobil- und Investitionsgüterindustrie sichtbare Erfolge. Die deutsche Wirtschaft wird Stück für Stück autarker."
Streiter kniff die Augen zusammen und Schwans legte die Stirn in Falten.
„Also für Sie nun zum Mitschreiben: die zunehmenden Probleme für unsere Industrie sind Arbeitskräfte. Aber vor allem Devisen für Vorprodukte, die wir nicht im Reich produzieren. Unser Problem ist die Kompetenzüberschneidung zwischen den Bezirkswirtschaftsämtern und den Arbeitsämtern. Rohstoff- und Arbeitskräftezuteilung werden nicht effizient gehandhabt.“
Meyer wuchtete sich bis an die Kante des Sofas und fixierte Schwans.
„Und verstehen Sie, was das bedeutet? Wir behindern unsere Industrie und damit die Produktion der kriegswichtigen Produkte“, fuhr Meyer fort. „Denn nicht alle Unternehmen brauchen Zuteilungen von Rohstoffen. Diejenigen, die nicht darauf angewiesen sind, bestrafen wir mit unserer Verwaltung.“
Wieder eine Kunstpause.
„Ich bin deshalb zu dem Schluss gekommen, dass wir bezüglich Vorgaben, Gleichbehandlung, Planung und Ergebniskontrolle der Unternehmen die Schrauben überdreht haben."
Just in dem Moment betrat Fräulein Schneider mit einem Tablett das Büro. Sie balancierte wie eine professionelle Serviererin. Während sie den Herren ihren Kaffee reichte, kniete sie sich dabei so weit, wie es ihr enger Rock zuließ.
"Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Staatssekretär, dann suchen Sie Wege, wie wir Branchen je nach Rohstoffbedarf unterschiedlich behandeln können. Also eben gerade nicht gleichschalten, sondern den Unternehmen, die nur heimische Rohstoffe benötigen und damit keine Devisen, freiere Hand lassen bei der Optimierung ihrer Produktion.“
Streiter schaute erwartungsvoll, so als ob er nun großes Lob abernten dürfte. Meyer nickte und fasste mit militärischem Ton zusammen.
"Jawoll, Sie haben es verstanden. Ich muss dem Reichwirtschaftsminister am kommenden Montag einen Vorschlag unterbreiten, wie wir das praktisch machen."