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ОглавлениеKapitel 2 – Familie - Juli 1934
Jakob Justens Augenlider fühlten sich an wie zwei Sargdeckel. Ein dumpfer Schmerz pochte in seinem kantigen Schädel, als er die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte.
„Jakob!“, drang eine schrille Stimme durch seinen Geist. Er richtete seinen Kopf auf und die Sargdeckel öffneten sich einen Spalt weit. Sein dürrer Körper versagte ihm den Dienst. Annes Gesicht erschien aus dem Dunkel der Küche. Er versuchte, ihrem anklagenden Blick zu entgehen und sah den randvollen Aschenbecher und die umgefallenen Bierflaschen auf dem Tisch. Nur in Schemen erkannte er, wie Anne sich ein Tuch vor den Mund hielt. Er hörte sie würgen. Mit kurzen Zügen atmete er den ätzenden Geruch ein, der in der Luft lag und hörte seine Frau über den Gestank maulen, während sie die Vorhänge zur Seite zog und das Fenster öffnete. Mit weitem Mund sog sie die frische Luft ein, als ob sie ihre Lungen ausspülen wollte. Sie drehte sich wieder Justen zu und stampfte an ihm vorbei zur Spüle. Mit zwei Fingern hob sie die Hosen ihres Sohnes auf und drehte den Wasserhahn auf. Angewidert ließ sie sie in die Zinkschüssel fallen.
„Jakob!“, hörte er sie wieder lauter rufen. Er konnte seinen Kopf mit den eingefallenen Wangen und dem Spatenkinn nicht nach oben bewegen.
„Hast du im Beisein der Buben getrunken oder konntest du sie noch ins Bett bringen, bevor du abgestürzt bist?“, schnauzte sie ihn an. Justen hielt sich die Ohren zu. Er drehte sich weg, noch immer in seinem zu weiten dunklen Anzug vom vorigen Abend in dem alten Schaukelstuhl liegend.
„Jakob, wach endlich auf, was ist denn los mit dir?“, hörte er seine Frau rufen. Doch er drehte sich noch weiter zur Seite und atmete leise, als ob er so unsichtbar werden könnte. Sie trampelte durch die Wohnung und baute sich mit verschränkten Armen neben ihm auf. Dann schüttelte sie ihn kräftig. Erschrocken öffnet er die Augen.
„Du könntest wenigstens ins Bett gehen und dort deinen Rausch ausschlafen!“
Doch trotz seines Zustandes hörte er aus ihrer Stimme die ihm so vertraute Sanftheit. Sie hatte einfach Angst um ihn. Seit die Nationalsozialisten an der Macht waren, war das Leben mühsam geworden. Seit den Boykottaufrufen gegen Juden vom 1. April 1933, vor kaum mehr als eineinhalb Jahren, und der Verbannung von Journalisten und Beamten waren bereits über 20.000 Juden aus Deutschland geflohen. Er wusste, dass Anne über Auswanderung nachdachte, obwohl sie Deutsche war. Sie machte sich wegen ihm und der beiden Buben Sorgen. Sie weckte ihn sanft, während sie seinen Kopf in die Hände nahm und ihn auf die Stirn küsste.
„Was ist denn passiert? Du trinkst doch sonst praktisch nichts. Jakob, was ist los?“
"Machst du mir bitte einen Kaffee, Anne. Ich habe zu viel geraucht, nicht zu viel getrunken."
Mit seinen schlanken Klavierhänden rieb er sich die Augen. Dann massierte er seine Schläfen.
"Es gab wieder mächtig Ärger in der Firma gestern, in der Produktion. Wir kriegen den geforderten Ausstoß nicht hin. Menschenskinder, mir brummt der Schädel", jammerte er.
„Geh ins Bad und mach dich frisch, du musst ins Büro. Du kannst mir mehr später mehr erzählen.“
Justen schob sich aus dem Schaukelstuhl nach oben und sah Anne an.
„Ich liebe dich. Danke.“