Читать книгу Hitlers Überflieger - Ruben Gantis - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1 – Tempelhof - Juli 1934
Frank Foremann streckte seinen Oberkörper und fuhr mit der rechten Hand seinen Seitenscheitel nach. Dann faltete er die Hände und ließ die Finger knacksen. Für einen Augenblick dachte er an seinen Abschied aus Bosten, wo er die letzten sieben Jahre gelebt hatte. Zunächst in Harvard studiert und dann bei den Gavry‘s gearbeitet, wie seine früheren Kollegen ihre verschworene Gemeinschaft liebevoll nannten. Aber er war nie Teil davon geworden. Er war immer nur der blonde Deutsche gewesen. Und dabei hatte er alles getan, um dazuzugehören. Nach der langen Schiffsreise nach London war der kurze Flug nach Berlin ein Kinderspiel. Er schaute aus dem Fenster der Junkers und sah die Umrisse der Hauptstadt des Reiches. Bedächtig faltete er das Blatt zusammen und steckte es in die rechte Innentasche seines Sakkos. Dieses Ritual hatte er von seinem Vater übernommen. Geldbörse in die linke Innentasche, wichtige Schriftstücke rechts. Vater würde seinen Plan ablehnen, so wie er die Nazis ablehnte.
Seine Maschine setzte mit einem heftigen Ruckeln in Tempelhof auf und bremste ab. Foremann wurde in seinen Sitz gepresst. Die Maschine rollte aus. Während das Flugzeug seine Landeposition fand, spähte Foremann aus dem Fenster. Die bereits fertig gestellten Bauten des neuen Flughafens imponierten ihm. Hatte ihm seine Schwester nicht geschrieben, dass jetzt überall in Berlin so eindrucksvoll gebaut würde? Dieses neue Deutschland war wie für ihn geschaffen, hier würde seine Karriere Fahrt aufnehmen. Hier würde er aufsteigen, als Deutscher akzeptiert werden und es zu Ruhm bringen. Er lächelte. Wenige Sitzreihen vor ihm öffnete die Stewardess die Tür. Er sah sie beeindruckt an. Nur vier Jahre war es her, als in den USA die erste Frau zur Flugbegleiterin zugelassen wurde. Eine Krankenschwester. Weil sie beruhigend auf Passagiere mit Flugangst wirken sollte. Seine Mitreisenden formierten sich zu einer Schlange. Foremann blieb noch sitzen. Er wollte diesen neuen Abschnitt seines Lebens nicht mit eingezogenem Kopf zwischen Wartenden zubringen. Noch einmal holte er das Blatt aus dem Sakko. Sein Plan klang simpel: Consulting-Unternehmen aufbauen – Produktionsprozesse der Kunden optimieren - Größen der deutschen Wirtschaft und Politik beraten.
Sein Vater hatte ihn gewarnt. Überall gäbe es jetzt Uniformierte von der SA, die harmlose Bürger drangsalierten. Wo auch immer sie das tun mochten, auf dem Flugfeld konnte Foremann nur weite, sorgsam gepflegte Rasenflächen entdecken und dazwischen teergedeckte Rollbahnen. Die Stewardess stand plötzlich neben ihm. Er zuckte zusammen, als sie sich zu ihm herunterbeugte.
„Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug mit uns, Herr Foremann. Aber jetzt müssen Sie aussteigen, sonst warten ihre Liebsten vergeblich.“
Er senkte die Augenlider und nickte freundlich. Sein Vater würde sicher nicht auf ihn warten. Er hatte Foremanns Sympathien für die Nazis nie gutgeheißen. Er müsse sich nicht mit dem Teufel einlassen, nur weil er nicht in der elterlichen Firma arbeiten wollte, beklagte er sich regelmäßig. Das fahle Gesicht seines Vaters war ihm lebendig vor Augen.
Dieses braune Pack würde Deutschland wieder in einen Krieg führen, hatte er früher gezürnt und dabei auf den Eichentisch im Esszimmer geschlagen, so dass der Tischschmuck vibrierte.
Auch die Beschwichtigungen der Mutter, dass Hitler doch Autobahnen bauen und Arbeitsplätze schaffen wollte, hatten nichts geholfen. Er hasste die Nationalsozialisten.
Mühelos öffnete Foremann das schwere Schloss des Gurtes und streckte die Arme nach oben, als ob er die Gedanken an die Eltern verrücken wollte wie schwere Möbel. Er drückte seine langen Beine durch, erhob seinen trainierten Körper und langte zur Gepäckablage über ihm. Er nahm seine schwarze Aktentasche und seinen Hut und trat als Letzter auf die Flugtreppe. Er stieg die Stufen hinunter und ließ die Augen von rechts nach links wandern, als ob er nach einem Empfangskommando Ausschau hielte. Foremann musste leise über sich selbst lachen. Wer sollte schon wissen, dass er gerade jetzt deutschen Boden betrat?
Das Dach, ein mächtiges Stahlmonster, überragte das Flugzeug fast vollständig. So gewaltig hatte er sich den Flughafen nicht vorgestellt. Nach wenigen Schritten trat er durch eine massive Stahltür in die Gepäckstation. Erdrückender Granit, wohin er auch schaute. Er drehte sich um die eigene Achse, ohne den Blick vom Mauerwerk zu nehmen, das ihn umgab. Winzig kam er sich vor, eingeschüchtert von der Imposanz, die von diesem Saal ausging.
„Brauchen Sie einen Gepäckträger?“, wurde er von einem Mann mit Schiebermütze und abgetragener Uniform aus seinen Gedanken gerissen.
„Nein danke“, antwortete Foremann verdattert, „ich habe nur einen Koffer“.
Er erntete ein unbeteiligtes Nicken. Pomadig schleppte sich der Träger weg und lehnte sich an einen der Granitpfeiler. Foremann schaute ihm nach und ließ den Blick an dem Pfeiler nach oben gleiten. So hoch wie acht bis zehn Mann, schätzte er. Kräftige Arbeiter hoben die Koffer vom Rollwagen. Seiner war mit einem braunen Gürtel umschnürt. Einer der Männer stellte ihn auf den Boden. Wie benommen von seinen Eindrücken lief er hinüber und griff nach seinem Gepäck, das eher wie eine große Reisetasche wirkte als ein Überseekoffer. Sein Leben verstaut in einem einzigen Gepäckstück. Einige wenige Fotos von den Feiern in der Firma. Keine Liebesbriefe, keine sentimentalen Erinnerungsstücke, keine liebevollen Mitbringsel aus Amerika. Nur seine maßgeschneiderten blauen und grauen Zweireiher und die bequemen Blue-Jeans mit Hosenträgern – der letzte Schrei in den Staaten. Dazu seine Wäsche und seine nagelneuen Sportschuhe. Mehr hatte er nicht mit zurückgenommen.
Müde vom Flug trug er seinen Koffer durch eine schwere Tür zum Zoll in der Empfangshalle. Eine Schweißwolke lag in der Luft. Er reihte sich in die Schlange ein. Noch wenige Meter und er war wieder im Deutschen Reich. Er hatte sich seit Monaten danach gesehnt. Was seine Schwester Frieda in ihrem letzten Brief nur meinte, als sie schrieb, es wäre der richtige Zeitpunkt, ins „neue Deutschland“ zurück zu kommen? Sie war eine eingefleischte Anhängerin der Nationalsozialisten und als Mutter und Apothekerin das Paradebeispiel einer deutschen Frau. In feiner Schrift hatte sie auf ihrem beigen Briefpapier von der NS-Revolution geschrieben, die die Ewiggestrigen weggefegt und mutigen jungen Anführern den Weg bereitet hatte. Friedas Worte hatten ihn begeistert. Nur langsam bewegte sich die Schlange auf das Zollhäuschen zu, das zwischen den in die Wände geschlagenen Skulpturen winzig wirkte. Jemand hinter ihm tippte ihn an.
„Wollen Sie nicht mal weiter gehen?“
Foremann senkte den Kopf. Er hatte vor lauter Staunen nicht gemerkt, wie groß die Lücke zu seinem Vordermann geworden war, der schon vor dem Zöllner stand. Schließlich war er an der Reihe, nahm Haltung an und legte seinen Reisepass auf die kleine Theke. Der blasse Zöllner in seiner blauen Uniform schaute ihn mit Grimm im Blick an. Lautlos griff er nach Foremanns Pass.
"Lange nicht mehr hier gewesen, wie es scheint, junger Mann. Tja, die Zeiten haben sich geändert. Willkommen in Deutschland. Heil Hitler".
Ungläubig schaute Foremann ihn an, unsicher, ob er den rechten Arm heben sollte. Er ließ es. Es würde komisch aussehen.
„Heil Hitler“, erwiderte er leise. Daran würde er sich erst noch gewöhnen müssen. Er trat rechts an dem Zollhäuschen vorbei und ging mit großen Schritten zum Ausgang der Empfangshalle. ‚Hier entsteht der größte Flughafen der Welt‘, las er. „Meine Güte“, sagte er im Flüsterton, „die Nazis wollen hoch hinaus.“ Foremann malte sich aus, wie er bald vor den Bossen der deutschen Wirtschaft sprechen würde. Er spürte, am richtigen Ort zu sein, um seinen Plan umzusetzen und dazu beizutragen, Deutschland wieder stark zu machen.