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aa) Alleingewahrsam

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Der Gewahrsam verlangt objektiv ein Sachherrschaftsverhältnis und subjektiv einen Sachherrschaftswillen des Gewahrsamsinhabers. Für die Beurteilung sind wie bereits ausgeführt die konkreten Umstände des Einzelfalls und die Anschauungen des täglichen Lebens maßgeblich.[31] Die Möglichkeiten, Gewahrsam zu erlangen und zu behalten, sind dabei so vielfältig wie eben jenes tägliche Leben, weswegen es unmöglich ist, sämtliche Erscheinungsformen darzustellen. Nachfolgend sollen einige „klassische“ Konstellationen besprochen werden, die mit schöner Regelmäßigkeit in Klausuren auftauchen.

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Es gibt typische Gewahrsamssphären, in denen üblicherweise Gewahrsam an den sich dort befindenden Gegenständen besteht:

Das Haus, die Wohnung, das Büro, das Geschäft, das Auto oder sonstige räumlich umgrenzte Herrschaftsbereiche.
Der Körper, die Kleidung sowie mitgeführte Taschen, Rucksäcke u.Ä. als sog. Gewahrsamsenklave.

Beispiel

Dieb D verschafft sich unter einem Vorwand Zutritt zu der Wohnung von Oma O. Während diese Kaffee kocht, nutzt D den unbeobachteten Moment, indem er aus dem Schreibtisch das Sparbuch der O nimmt und es in seine Jackentasche steckt.

Hier stand das Sparbuch zunächst im Gewahrsam der O, da es sich in ihrer Wohnung befand. Nach dem Einstecken des Sparbuchs in die Jackentasche befand sich das Sparbuch im Gewahrsam des D. O hingegen hat zu diesem Zeitpunkt den Gewahrsam verloren, auch wenn D – und somit auch das Sparbuch – sich noch in ihrer Gewahrsamssphäre aufhielten, da O keinen ungehinderten Zugriff mehr auf das Sparbuch hatte.

Mit der Bestimmung der jeweiligen Gewahrsamsverhältnisse wird automatisch, wie soeben gesehen, der Gewahrsamswechsel festgestellt.

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Für die Begründung neuen Gewahrsams an einem Gegenstand bedarf es zwangsläufig der erstmaligen Herstellung einer räumlichen Nähebeziehung. Für die Aufrechterhaltung ist dies jedoch nicht erforderlich. Einmal begründeter Gewahrsam wird durch die vorübergehende Verhinderung der Ausübung der tatsächlichen Gewalt nicht aufgehoben. Man spricht in diesen Fällen von gelockertem Gewahrsam.[32]

Beispiel

E und B machen Urlaub auf Ischia, als Dieb D in ihre Wohnung in Köln einbricht und das Tafelsilber entwendet.

Hier haben E und B, obgleich sie sich mehrere hundert Kilometer entfernt auf einer Insel befinden, noch immer (gelockerten) Gewahrsam an sämtlichen Gegenständen, die sich in ihrer Wohnung befinden. Wenn sie wollten, so könnten sie sich jederzeit ins Flugzeug setzen und auf die Sachen zugreifen. Aus diesem Grund weist auch die Verkehrsauffassung E und B den Gewahrsam zu.

Gleiches gilt für abgestellte Autos, zur Aufbewahrung gegebene Gepäckstücke, frei herumlaufende Haustiere etc.

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Voraussetzung für den Gewahrsam ist allerdings nicht nur das Sachherrschaftsverhältnis, sondern auch der Sachherrschaftswille (auch Gewahrsamswille genannt). Dieser Wille stellt sich als natürlicher Beherrschungswille dar und ist unabhängig von der Geschäftsfähigkeit, so dass auch Kinder und Geisteskranke ihn haben können.

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Hohe Anforderungen sind an den Gewahrsamswillen nicht zu stellen. Es reicht auch ein sog. genereller Gewahrsamswille. So wird dem Inhaber einer Gewahrsamssphäre nach der Verkehrsauffassung grundsätzlich der Wille zugeschrieben, die tatsächliche Gewalt an allen Gegenständen auszuüben, die sich in seinem Herrschaftsbereich befinden. Ein spezialisiertes Wissen ist ebenso wenig erforderlich wie ein ständig aktualisiertes Sachherrschaftsbewusstsein.[33] Allerdings erstreckt sich der Wille nicht unbedingt auch auf mutwillig eingebrachte oder untergeschobene bzw. versteckte Gegenstände.

Beispiel

Der Gewahrsamswille des Kioskbesitzers K erstreckt sich auf die gesamte, in seinem Kiosk angebotene Ware, auch wenn er den aktuellen Bestand nicht überblicken kann. Der Gewahrsamswille erstreckt sich auch auf die morgens vor seiner Türe abgelegten Zeitungen. Er erstreckt sich jedoch nicht zwingend auf den Abfall, der in seinem Laden weggeworfen wird (Kaugummi auf dem Boden) und auch nicht auf Gegenstände, die in seinem Laden versteckt wurden, so z.B. eine geladene Schusswaffe, die ein Bankräuber auf der Flucht vor der Polizei hinter einigen Konservendosen im Regal versteckt hat.

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Schlafende oder Bewusstlose haben einen „potenziellen Gewahrsamswillen“, der erst mit dem Tod des Gewahrsamsinhabers endet.

Beispiel

Nimmt A dem toten B eine Uhr ab, die dieser noch an seinem Arm trägt, so scheidet ein Diebstahl mangels Gewahrsamsinhaberschaft des B aus. In derartiger Fallgestaltung muss stets § 857 BGB erwähnt werden, wonach ein Erbenbesitz fingiert wird. Diese Fiktion ist allerdings nicht auf das Strafrecht übertragbar, zumal Besitz nicht deckungsgleich mit Gewahrsam ist! In Betracht kommt eine Unterschlagung gem. § 246. Mit dem Tod ist die Uhr in das Eigentum der Erben übergegangen und damit für den Täter fremd.

Hätte A dem B die Uhr im Zustand der Bewusstlosigkeit gestohlen, so läge ein Diebstahl vor, auch wenn das tatsächliche Sachherrschaftsverhältnis problematisch erscheint! Insoweit wird der Gewahrsam eher als sozial-normative Zuordnung denn als faktische Zugriffsmöglichkeit verstanden. Die Bewusstlosigkeit hebt selbst dann den Gewahrsam des Opfers nicht auf, wenn sie bis zum Tode weiter besteht.[34]

Hätte A den B erschossen, um ihm dann die Uhr abzunehmen, wäre die Uhr nach Eintritt des Todes wieder gewahrsamslos. Zur Bejahung des Raubes, der den Diebstahl enthält, wird von daher auf den Zeitpunkt der Abgabe des Schusses abgestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der noch lebende B Gewahrsam an der Uhr. Dieser wurde dann durch Eintritt des Todes aufgehoben und neu begründet, indem A die Uhr an sich nimmt.

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Auch an verloren gegangenen oder vergessenen Gegenständen kann Gewahrsam bestehen.

Hat der Gewahrsamsinhaber die Sache in seinem eigenen Herrschaftsbereich verloren oder vergessen, verliert er den Gewahrsam an diesen Sachen nicht, da sich die Sachen in seiner Gewahrsamssphäre befinden und er einen generellen Gewahrsamswillen an diesen Sachen hat. Werden Sachen in fremden Herrschaftsbereichen vergessen, so bleibt auch hier ein Diebstahl denkbar. Aufgrund des generellen Gewahrsamswillens erwirbt nämlich der Inhaber des fremden Herrschaftsbereichs den Gewahrsam an den verloren gegangenen Sachen.

Beispiel

Wenn also in der Straßenbahn ein Portemonnaie verloren geht, so erwirbt der Betreiber der Straßenbahn Gewahrsam an diesen Sachen, so dass derjenige, der das Portemonnaie einsteckt, einen Diebstahl begeht.

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Gewahrsam kann auch dann bejaht werden, wenn die Sache zwar an einem Ort vergessen wird, der keiner Herrschaftssphäre zugeordnet werden kann, der bisherige Gewahrsamsinhaber aber genau weiß, wo er die Sache vergessen hat und jederzeit dorthin zurückkehren und dort auf die Sache zugreifen kann.

Beispiel

A vergisst sein Portemonnaie im Wald auf einer Bank. Das Portemonnaie verbleibt solange im Gewahrsam des A, wie es auf der Bank liegen bleibt und A weiß, wo es ist. Hat A jedoch keine Ahnung, wo das Portemonnaie liegt, wird es gewahrsamslos. Kommt jetzt ein Dritter hinzu und steckt es ein, kommt eine Strafbarkeit gem. § 242 nicht in Betracht. Denken Sie dann aber immer an § 246.

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