Читать книгу Strafrecht Besonderer Teil II - Sabine Tofahrn - Страница 38
bb) Das Einverständnis muss auf eine vollständige Gewahrsamsübertragung und nicht nur auf eine Gewahrsamslockerung gerichtet sein
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Es ist denkbar, dass der Täter zur Erleichterung der Wegnahme Täuschungsmittel einsetzt. Man spricht in diesen Fällen vom sog. „Trickdiebstahl“, der ebenfalls gerne in Klausuren geprüft wird. Diese Form des Diebstahls muss sorgfältig abgegrenzt werden vom Sachbetrug.
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Diebstahl und Betrug stehen nach überwiegender Auffassung in einem sog. Alternativverhältnis zueinander. Diebstahl wird als Fremdschädigungsdelikt verstanden, bei welchem das Opfer gegen seinen Willen den Gewahrsam verliert. Betrug hingegen ist ein Selbstschädigungsdelikt, bei welchem das Opfer, wenn auch täuschungsbedingt, mit seinem Willen, der in der Vermögensverfügung zum Ausdruck kommt, den Gewahrsam verliert.
JURIQ-Klausurtipp
Für die Klausur bedeutet das, dass bezüglich ein und derselben Handlung entweder Diebstahl oder Betrug in Frage kommt. Haben Sie bereits eines der beiden Delikte bejaht, verbietet sich eine Prüfung des anderen Delikts.
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Die Abgrenzung zwischen beiden Delikten erfolgt anhand des Willens des Gewahrsamsinhabers:
Richtet sich dieser Wille zum Zeitpunkt der Tathandlung des Täters auf die vollständige Gewahrsamsübertragung, so liegt ein Betrug vor, sofern der Wille durch Täuschung erschlichen wurde. Richtet sich der Wille hingegen nur auf eine Gewahrsamslockerung, so erfolgt der letztendliche Gewahrsamsbruch gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers, so dass ein Diebstahl angenommen werden kann.
Beispiel
A verkleidet sich als Gepäckträger und erklärt Reisenden am Kölner Hauptbahnhof wahrheitswidrig, dass sie ihren Koffer nicht mit in den Warteraum nehmen könnten. Er bietet ihnen aber an, den Koffer für sie in ein Schließfach zu bringen. Tourist T fällt auf A herein und übergibt ihm seinen Koffer, den A in das Schließfach 242 verbringt. Im Anschluss gibt A dem T einen Schlüssel zum leeren Schließfach 263 und behält den Schlüssel zum Schließfach 242. In einem unbeobachteten Moment nimmt er dann den Koffer aus Schließfach 242 und verschwindet.
In diesem Fall war der Wille des T nicht auf einen Gewahrsamsverlust gerichtet, da T davon ausging, den Schlüssel zum Schließfach zu bekommen, in welchem sein Koffer deponiert ist. Er wollte sich also die Möglichkeit, jederzeit auf den Koffer zugreifen zu können, erhalten. Als er den Koffer übergab, war der Wille mithin lediglich auf eine Gewahrsamslockerung gerichtet. Der Gewahrsamsbruch durch Wegschließen des Koffers geschah damit gegen den Willen.
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Haben mehrere Mitgewahrsam an einer Sache, so wird auf den Willen desjenigen Gewahrsamsinhabers abgestellt, der der Sache am nächsten steht, eine unmittelbare räumliche Einwirkungsmöglichkeit hat und unabhängig vom Willen des anderen Gewahrsamsinhabers über die Sache verfügen kann.
Beispiel
X stellt ihr Auto tagsüber in einer Sammelgarage ab, wobei der Pförtner P über einen Zweitschlüssel zu diesem Fahrzeug verfügt, den er auf Wunsch den Berechtigten aushändigt. Diesen Wagen hat A bereits mehrmals in Abstimmung mit X aus der Garage geholt, wobei er sich jedes Mal den Schlüssel von P hat aushändigen lassen. Am Tattag holte A erneut den Wagen ab, wobei er dieses Mal ohne Wissen und Genehmigung der X handelt. P spiegelt er allerdings eine solche Genehmigung vor.
In diesem Fall hat der BGH[51] die Wegnahme und damit auch den Diebstahl verneint. Er hat ausgeführt, dass P als Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam an dem Fahrzeug vollständig auf A übertragen wollte. Er wusste, dass er nach dem Verlassen der Sammelgarage keinen Zugriff mehr auf das Fahrzeug würde nehmen können. Da P eine unmittelbare räumliche Einwirkungsmöglichkeit hatte und der Sache damit am nächsten stand, zudem auch unabhängig vom Willen der Eigentümerin verfügen durfte, war der entgegenstehende Wille der zweiten Gewahrsamsinhaberin X unbeachtlich. Der BGH hat den Täter wegen Betruges verurteilt.
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In der Klausur empfiehlt es sich bei einem Fall ähnlich dem gerade geschilderten mit Betrug zu beginnen. Die Abgrenzung zwischen Betrug und Diebstahl wird – wie wir später sehen werden – bei der Vermögensverfügung und beim Vermögensschaden vorgenommen. Dort kann dann geklärt werden, ob der verfügende Gewahrsamsinhaber im Lager des geschädigten Eigentümers steht mit der Folge, dass dessen Verfügung dem Geschädigten zugerechnet wird. Sofern dies zu bejahen ist, kann es auf den Willen des Geschädigten, der ggfs. ebenfalls Gewahrsam hat, nicht mehr ankommen. Für den Diebstahl bedeutet das, dass bei mehreren Gewahrsamsinhabern zu prüfen ist, ob der Wille des einen bindend für den anderen ist.
Machen Sie sich hier noch einmal deutlich, dass sofern eine Vermögensverfügung vorliegt (die dem Geschädigten zuzurechnen ist), ein Diebstahl ausscheidet, weil dann eine Selbstschädigung vorliegt.