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bb) Mitgewahrsam
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Denkbar ist, dass mehrere Personen eine tatsächliche Verfügungsgewalt über Sachen und damit Gewahrsam haben und dass sich dementsprechend Rangverhältnisse entwickeln, die für den Gewahrsamsbruch bedeutsam sind. Man unterscheidet zwischen gleichrangigem sowie über- bzw. untergeordnetem Mitgewahrsam. Ein Gewahrsamsbruch kann nur vorliegen, wenn der Täter gleichrangigen oder übergeordneten Mitgewahrsam bricht.[35] Gegenüber einem untergeordneten Gewahrsamsinhaber ist ein Gewahrsamsbruch nicht möglich.
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Es ist also denkbar, dass auch der Täter Gewahrsam an der fremden Sache hat. Verneinen Sie in diesen Fällen den Diebstahl nicht voreilig. Ein Diebstahl scheidet nur dann aus, wenn der Täter alleinigen Gewahrsam oder gegenüber dem anderen Gewahrsamsinhaber übergeordneten Gewahrsam hat.
In den Fällen des Mitgewahrsams müssen Sie bei dem ersten Prüfungsschritt (s.o.) also die verschiedenen Gewahrsamsinhaber sowie deren Verhältnis zueinander benennen, um danach beim zweiten Schritt feststellen zu können, ob ein Bruch des gleich- oder höherrangigen Gewahrsams vorliegt.
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Beim gleichrangigen Mitgewahrsam wird der Gewahrsam zu gleichen Teilen ausgeübt. Die Gewahrsamsinhaber sind gleichberechtigt.
Beispiel
Eheleute haben gleichrangigen Mitgewahrsam an den in der gemeinsamen Wohnung befindlichen Sachen. Ähnlich zu urteilen ist bei Gesellschaftern in Bezug auf die zum Gesellschaftsunternehmen gehörenden Sachen.
Ehefrau E kann also an auch im Eigentum ihres Mannes stehenden Gegenständen einen Diebstahl begehen, wenn sie diese an den gutgläubigen D verkauft.
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Von übergeordnetem bzw. untergeordnetem Gewahrsam spricht man, wenn der Gewahrsam nicht gleichrangig, sondern auf verschiedenen Stufen ausgeübt wird.
So gibt es z.B. bei Arbeitsverhältnissen unterschiedliche Gewahrsamsebenen. In einem kleineren Ladengeschäft, welches unter persönlicher Mitwirkung des Geschäftsinhabers geführt wird, wird dem Inhaber nach einer Auffassung der Alleingewahrsam, nach einer anderen der übergeordnete Gewahrsam gegenüber seinen ebenfalls dort tätigen Angestellten zugeschrieben. Die Angestellten haben entsprechend entweder gar keinen Gewahrsam (sie werden lediglich als Gewahrsamsdiener angesehen) oder aber untergeordneten Gewahrsam. So oder so können jedenfalls die Angestellten gegenüber dem Inhaber des Ladens einen Diebstahl begehen, nicht aber umgekehrt der Inhaber gegenüber den Angestellten.
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In der Klausur müssten Sie sich nicht entscheiden, ob untergeordneter oder gar kein Gewahrsam vorliegt, da für die Wegnahme auch der Bruch übergeordneten Gewahrsams ausreicht. Es wäre also verfehlt, die unterschiedlichen Auffassungen in epischer Breite darzustellen.
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In größeren Kauf- oder Warenhäusern wird dem Abteilungsleiter gegenüber den Verkäuferinnen übergeordneter Gewahrsam zugesprochen. Gegenüber dem Geschäftsführer hat der Abteilungsleiter wiederum untergeordneten Gewahrsam. Man orientiert sich hier also an den Anweisungshierarchien innerhalb der Arbeitsverhältnisse.
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Kassierer haben bis zur Ablieferung des Kasseninhalts Alleingewahrsam am Kasseninhalt, sofern sie die alleinige Verantwortung für die Kasse tragen. Wirken sie also an der Gewahrsamsübertragung mit, dann scheidet Diebstahl aus, selbst wenn anwesende Kollegen nicht einverstanden sind.
Beispiel
A arbeitet in einer Pizzeria und verwaltet dort allein die Kasse. Als sie nun abends nach Geschäftsschluss zusammen mit dem weiteren Angestellten B die Tageseinnahmen zählt, betreten X und Y die Pizzeria, zwingen B unter Einsatz eines Messers auf den Boden und nehmen das Geld mit. A war in diesen Vorgang eingeweiht und hindert X und Y nicht an der Wegnahme.
Das OLG Celle[36] hat die Strafbarkeit gem. § 242 und damit auch gem. § 249 verneint, da die Wegnahme nicht gegen den Willen der Gewahrsamsinhaberin erfolgte. Aufgrund des Alleingewahrsams kam es auf den Willen des B, der am Boden lag nicht an. A wiederum war eingeweiht und stimmte dem Gewahrsamswechsel zu.
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LKW-Fahrer haben gegenüber dem Geschäftsherrn dann alleinigen Gewahrsam am Frachtgut, wenn der Geschäftsherr keine Kontroll- oder Einwirkungsmöglichkeiten während der Fahrt hat. Wird der Transport innerhalb eines räumlich begrenzten Bereiches auf einer festen Route durchgeführt, so hat der Geschäftsherr zumindest gleichgeordneten Mitgewahrsam.[37]
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Bei Gegenständen, die sich in verschlossenen Behältnissen befinden, wird nach h.M. hinsichtlich der Gewahrsamsverhältnisse differenziert: Ist das Behältnis fest mit einem Gebäude verbunden oder aufgrund seiner Beschaffenheit nur schwer fortzubewegen, so hat allein der Schlüsselinhaber Gewahrsam am Inhalt, auch wenn sich das Behältnis nicht in frei zugänglichen Räumen befindet (z.B. im Tresor einer Bank). Ist das Behältnis dagegen frei beweglich, so hat der Behältnisverwahrer den Alleingewahrsam auch am Inhalt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schlüsselinhaber nicht weiß, wo sich das Behältnis befindet.[38]
Beispiel
Rentner R begibt sich auf eine lange Zugreise und hat den verschlossenen Koffer zwei Tage vorher bei der Bahn aufgegeben. Hier haben die jeweiligen Mitarbeiter bei der Bahn Gewahrsam nicht nur am Koffer, sondern auch am Inhalt. R selbst hat keinen Gewahrsam mehr, da er nicht weiß, wo sich der Koffer befindet, mithin also auch nicht mehr darauf zugreifen kann.
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In der Klausur wird es in Anbetracht der offen gehaltenen Definition – „Verkehrsauffassung“ – auch beim Mitgewahrsam entscheidend auf Ihre lebensnahe Argumentation ankommen, wenn es um die Feststellung der fraglichen Gewahrsamsverhältnisse geht. Prinzipiell gilt, dass (übergeordneten) Gewahrsam derjenige ausübt, der mit gewisser Eigenverantwortlichkeit Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten hat. Thematisiert werden müssen die unterschiedlichen Gewahrsamsverhältnisse nur, wenn der Täter aus dem Gewahrsamsbereich stammt. Handelt es sich um einen außenstehenden Täter ohne Gewahrsam, so erübrigt sich eine Diskussion.