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b) Schritt 2: Wurde dieser Gewahrsam aufgehoben und neuer Gewahrsam beim Täter oder einem Dritten begründet?

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Nachdem Sie festgestellt haben, wer zunächst welchen Gewahrsam hat, müssen Sie nun überprüfen, ob

Schritt 2a Schritt 2b
der bisherige Gewahrsamsinhaber diesen Gewahrsam durch die Handlung des Täters verloren hat und der Täter zugleich mit dieser Handlung neuen Gewahrsam bei sich oder einem Dritten begründet hat.

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Die Gewahrsamsaufhebung geht mithin mit der Gewahrsamsneubegründung beim Täter oder einem Dritten einher. Anhand der oben aufgezeigten Grundsätze müssen Sie also prüfen, ob nach der Handlung des Täters nun dieser oder ein Dritter Gewahrsam hat. Erst dann ist der Diebstahl vollendet! Wird Gewahrsam gebrochen, ohne dass neuer Gewahrsam begründet wird, liegt keine Wegnahme vor.

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Wie der Täter den Gewahrsamswechsel herbeiführt, richtet sich wiederum nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich muss der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt haben, dass ihrer Ausübung keine wesentlichen Hindernisse entgegenstehen und der bisherige Gewahrsamsinhaber auf die Sache nicht mehr einwirken kann, ohne zuvor die Verfügungsgewalt des Täters oder eines Dritten zu beseitigen.[39]

Hinweis

Als Kontrollfrage können Sie sich merken: Muss der bisherige Gewahrsamsinhaber nach der Wegnahmehandlung des Täters eine sozial auffällige und damit rechtfertigungsbedürftige Handlung vornehmen, um auf die Sache wieder zugreifen zu können? Ist dies der Fall, so liegt ein Gewahrsamsverlust vor.

Beispiel

A nimmt in einem Süßwarenladen ein Bonbon aus dem Regal, packt es aus und steckt es in den Mund. Hier müsste der Eigentümer des Ladens als bisheriger Gewahrsamsinhaber dem A in den Mund greifen, um wieder an das Bonbon zu gelangen. Dies wäre eine extrem befremdliche und damit rechtfertigungsbedürftige Handlung.


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Ein Gewahrsamswechsel kann bei kleineren Gegenständen schon innerhalb der Gewahrsamssphäre des Opfers erfolgen, wenn der Täter die Gegenstände in seine Gewahrsamsenklave überführt hat. Dies kann etwa durch Einstecken in die Kleidung oder einen Rucksack geschehen. Bei extrem kleinen Gegenständen kann eine solche Gewahrsamsenklave bereits durch Ergreifen und Festhalten begründet werden.[40] Wie sehr hier jedoch die Meinungen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung auseinandergehen, zeigen folgende beiden Entscheidungen des BGH:

Beispiel

In beiden Fällen hatte der Täter sich unter dem Vorwand, telefonieren zu müssen bzw. sich das Handy ansehen zu wollen, dieses Handy von der später Geschädigten übergeben lassen. Später rannte er dann mit dem Handy weg. Es stellte sich nun die Frage, ob mit dem Ergreifen des Handys bereits der bisherige Gewahrsam aufgehoben und neuer Gewahrsam begründet wurde.

Der 3. Senat des BGH[41] hat dies bejaht, indem er ausführt, dass „bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen …ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann (genügt), wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte.“

Der 1. Senat[42] wiederum hat gegenteilig entschieden. Er hat dem Täter lediglich Mitgewahrsam zugesprochen, nicht aber alleinigen Gewahrsam, so dass die Wegnahme erst mit dem Weglaufen vollendet war. Begründet wurde dies damit, dass „…der Geschädigte nach der Übergabe, aber vor dem Weglaufen des Angekl. bei ‚freiwilliger‚ oder erzwungener Mitwirkung des Empfängers oder mit körperlicher Gewalt wieder auf die Sache zugreifen (konnte).“

Wie immer ist also mit entsprechender Argumentation vieles vertretbar.

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Bei größeren Gegenständen ist in der Regel eine Entfernung aus dem Herrschaftsbereich oder ein Verstecken innerhalb des Herrschaftsbereichs erforderlich.[43]

Beispiel

Allerdings begründet die Entfernung aus dem Herrschaftsbereich nicht immer zwingend den Gewahrsamsbruch. So hatten Täter bei einem nächtlichen Einbruch in ein Geschäft einige Textil- und Tabakwaren bereits auf die Straße geschafft. Als sie gerade dabei waren, einen 500 kg schweren Tresor nach draußen zu schaffen, wurden sie von der Polizei 5 Meter vor der Türe gestellt. Der BGH[44] hat insgesamt nur einen versuchten Diebstahl angenommen: An dem Tresor, weil er sich noch in dem Herrschaftsbereich des Ladeninhabers befand, aber auch an den draußen auf der Straße stehenden Gegenständen, da sie aufgrund der Nähe zum Tatort und den übrigen Umständen ohne weiteres als Diebesgut zu identifizieren gewesen seien.

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In Selbstbedienungsläden wird ein Gewahrsamswechsel noch nicht mit dem Hineinlegen der zu bezahlenden Waren in einen Einkaufskorb oder -wagen herbeigeführt. Hierauf kann der Ladeninhaber jederzeit Zugriff nehmen, so dass die Verkehrsauffassung diese Gegenstände noch dem Inhaber des Ladens zuordnet. Dies gilt auch dann, wenn der Täter die Tatobjekte innerhalb des Einkaufswagens versteckt. Der Gewahrsamswechsel ist allerdings vollzogen, wenn der Täter den Kassenbereich passiert hat, da danach die Gegenstände als dem Täter „gehörend“ angesehen werden, das Hineingreifen des Ladeninhabers mithin sozial auffällig wäre.[45]

Beispiel

Allerdings werden nicht sämtliche, in einem Einkaufswagen abgelegte Gegenstände dem Gewahrsam des Geschäftsinhabers zugeordnet. Nimmt jemand in einem Selbstbedienungsladen in einem unbeobachteten Moment leere Pfandflaschen aus einer am Rand abgestellten Kiste, um an der Kasse dafür das Pfand zu kassieren, so kann schon dadurch ein Gewahrsamsbruch erfolgen, auch wenn der Kassenbereich noch nicht passiert ist, da die Verkehrsauffassung leere Pfandflaschen dem Gewahrsam des Kunden und nicht dem des Supermarktes zuordnet.

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Zu beachten ist, dass die Wegnahme keineswegs heimlich erfolgen muss. Durch die Beobachtung kann die Wegnahme zwar verhindert bzw. die Überführung und Ergreifung des Täters ermöglicht werden. Sie ändert jedoch nichts an der Zuordnung der Sache. Hierfür kommt es lediglich darauf an, dass das Opfer nach der Handlung nicht mehr in der Lage ist, die tatsächliche Sachherrschaft über das Tatobjekt auszuüben, weil die Verkehrsauffassung die Sache dem Täter zuordnet.[46]

Beispiel

Dieb D nimmt in einem Musikgeschäft eine CD aus dem Regal und steckt sie in die Innentasche seines Mantels. Er wird dabei von Detektiv V beobachtet, der ihn noch im Laden stellt und der Polizei übergibt.

Der Gewahrsamswechsel vollzog sich hier in dem Moment des Einsteckens der CD. Bis dahin hatte der Ladeninhaber Gewahrsam an der CD, da sie sich in seiner Gewahrsamssphäre befand. Mit dem Einstecken hat D die CD in seine Gewahrsamsenklave verbracht, so dass V in die Innentasche des Mantels greifen müsste, um die CD wieder in den Gewahrsam des Ladeninhabers zu überführen. Dies wäre nach außen eine rechtfertigungsbedürftige Handlung.

Diese tatsächliche, von der Verkehrsauffassung vorgenommene Zuordnung wird durch das Beobachten nicht verändert.

Hinweis

Unterscheiden Sie die Beobachtung von der Diebesfalle, bei der absichtlich ein Gegenstand platziert wird, damit der Täter ihn mitnimmt. Da der Gewahrsamsinhaber zwecks Überführung des Täters mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden ist, liegt keine Wegnahme „gegen den Willen“ vor. In Betracht kommt lediglich versuchter Diebstahl.

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Der Begründung neuen Gewahrsams steht in der Regel auch nicht entgegen, dass die wegzunehmenden Waren durch elektronische Vorrichtungen gegen Diebstahl gesichert sind. Denn auch derartige Vorkehrungen dienen nicht der Verhinderung der Wegnahme, sondern der Aufdeckung bereits vollendeter oder nur versuchter Diebstähle.[47]

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Der Täter kann den Gewahrsamswechsel schließlich alleine oder durch einen Dritten als Diebstahl in mittelbarer Täterschaft herbeiführen.

Im Einzelfall können sich hier Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem Diebstahl und dem Dreiecks – Betrug ergeben. Diesen „Klausurklassiker“ werden wir beim Betrug – Prüfungspunkt: Vermögensschaden (Rn. 568) – näher erörtern.

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