Читать книгу Sommer Roman-Paket Unterhaltungsromane und Erzählungen: In Paris und andernorts - Sandy Palmer - Страница 51

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Das prächtige Fahrrad bot jetzt ein jämmerliches Bild. Jutta Sibelius war den Tränen nahe.

»Mein schönes Fahrrad«, stieß sie heiser hervor.

»Ich bin untröstlich«, sagte der Autofahrer, dem sein Missgeschick sichtlich peinlich war.

»Sie Unglücksrabe«, meinte Jutta verbittert.

»Ich habe Ihr Fahrrad nicht gesehen«, sagte der Mann ehrlich.

»Und rufen? Haben Sie mich nicht rufen gehört?«, fragte Jutta, während sie sich den Schaden ansah. Sie glaubte nicht, dass man das Fahrrad reparieren konnte. Die Gabel war gebrochen, der Rahmen gestaucht. Außerdem hätte die junge Frau mit einem reparierten Fahrrad keine Freude mehr gehabt.

»Ich habe nichts gehört«, antwortete der Mann.

»Sie tun mir leid. So jung und schon stocktaub«, entgegnete Jutta.

»Ich kann verstehen, dass Sie wütend sind, aber damit lässt sich die Sache auch nicht mehr ungeschehen machen. Ich bin nicht besonders geschickt beim Einparken, konzentrierte mich auf den Wagen vor mir, um ihn nicht zu beschädigen.«

»Da fuhren Sie einfach mein Fahrrad über den Haufen. Was ist schon ein Fahrrad?«, fragte Jutta angriffslustig.

»Mein Gott, Sie tun ja so, als hätte ich es absichtlich getan.«

»Wieso haben Sie einen Führerschein, und ich nicht?«, fragte die Bankangestellte plötzlich.

»Ich verstehe Ihre Frage nicht«, sagte der Mann.

Die Frau des Apothekers kam heraus und fragte, ob sie irgend etwas tun könne.

»Ja«, sagte der Mann. »Geben Sie dieser jungen Dame ein Beruhigungsmittel, sonst reißt sie mir noch den Kopf ab.«

»Ich habe ja wohl noch das Recht, mich zu ärgern nach dem, was Sie mir beziehungsweise meinem Fahrrad angetan haben«, begehrte Jutta auf.

»Schreien Sie getrost mit mir wenn Sie sich danach besser fühlen ...«, meinte der Mann etwas ärgerlich.

»Mit diesem Wrack komme ich keinen Meter weit«, unterbrach Jutta den Autofahrer.

»Wollen Sie nach Hause? Ich bringe Sie selbstverständlich heim«, sagte der junge Mann. »Ihr Fahrrad legen wir in den Kofferraum.«

»Sieht das noch wie ein Fahrrad aus?«

»Wie wollen Sie es sonst nennen? Ich ersetze Ihnen selbstverständlich auch den Schaden. Mein Name ist übrigens Erich Gloger. Ich arbeite als Krankenpfleger in der Wald-Klinik. Wenn Sie mal ein Krankenbett brauchen, kann ich das für Sie arrangieren.«

»Sehr liebenswürdig, aber vielen Dank. Ich fühle mich kerngesund und habe nicht vor, in absehbarer Zeit krank zu werden. Behandeln Sie in der Wald-Klinik auch Fahrräder?«, wollte die junge Frau wissen.

Der junge Mann lächelte. »Ich kann ja mal fragen.«

Jetzt erst sah Jutta, wie er aussah. Er machte einen netten Eindruck, war sportlich-salopp gekleidet, sein blondes Haar war gekraust - vielleicht Dauerwellen?

Sie beruhigte sich langsam. Die Apothekersgattin verschwand hinter der Glastür, und Erich Gloger schloss den Kofferraum auf. »Darf ich?«, fragte er. Dann griff er nach dem Rad, auf das sich Jutta stützte.

Sie ließ das Rad los. Gloger hob es in den Wagen, die verbogene Lenkstange und das deformierte Vorderrad blieben draußen.

»Darf ich fragen, wie Sie heißen?«, erkundigte sich Erich Gloger.

»Jutta Sibelius«, antwortete die junge Frau.

»Steigen Sie ein, ich fahre Sie, wohin Sie wollen«, sagte Erich Gloger und öffnete für sie die Tür auf der Beifahrerseite.

Sobald er hinter dem Volant saß, nannte sie ihm ihre Adresse.

»Ein Gutes hat die Sache doch«, bemerkte der Krankenpfleger. »Wenn ich Ihr Fahrrad nicht kaputt gefahren hätte, hätte ich Sie nicht kennengelernt, und das wäre nach meinem Dafürhalten sehr bedauerlich gewesen, denn ich fand Sie vorhin trotz Ihrer Mordswut äußerst sympathisch. Aber wenn Sie nicht wütend auf mich sind, gefallen Sie mir besser.«

»Wer sagt, dass ich nicht mehr wütend bin?«, fragte Jutta Sibelius erstaunt.

»Ich habe den Eindruck, dass Sie sich beruhigt haben«, antwortete der Autofahrer.

»Nur äußerlich. Innerlich könnte ich Sie immer noch erwürgen.«

Erich Gloger lächelte. »Nur zu. Tun Sie sich keinen Zwang an, Fräulein Sibelius, oder ... Frau ...?«

»Wollen Sie nicht endlich fahren?«, fragte sie ihn.

»Ja. Ja, natürlich«, sagte Erich Gloger und startete den Motor. Jutta wohnte in einem kleinen Haus am Rande von Bergesfelden. Es gehörte ihr nicht, sie hatte es nur gemietet, aber sie hatte darin alle Freiheiten.

Ein kleiner Garten gehörte dazu und ein Gerätehäuschen aus grün lackiertem Aluminium, das als Fahrradgarage diente. Erich Gloger trug das jämmerlich aussehende Gefährt in die Hütte und schloss die Schiebetüren.

»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte er. »Ach so, ja, ich muss Ihnen ja noch meine Daten aufschreiben. Sonst denken Sie am Ende noch, ich würde auf Nimmerwiedersehen verschwinden.«

»Ich habe mir das polizeiliche Kennzeichen Ihres Wagens gemerkt.«

»Ach ja? Und wenn das Auto gestohlen ist?«, fragte der Mann lächelnd.

»Sie lesen zu viele Krimis«, antwortete Jutta.

»Das ist wahr. Aber nur, wenn ich Nachtdienst habe. Am Tag kommt man in der Wald-Klinik nicht einmal zum Atemholen. Sagen Sie mal, für wen ist eigentlich diese Nerventeegroßpackung?«, wollte der Krankenpfleger wissen.

»Für mich«, gab Jutta Sibelius zur Antwort.

»Haben Sie Einschlafschwierigkeiten?«, fragte Erich Gloger.

»Wenn Sie’s genau wissen wollen: Ich habe Alpträume. Ich träume jede Nacht von unfähigen Autofahrern, die mein Fahrrad demolieren.«

»Vielen Dank, die Ohrfeige hat gesessen. Sie haben einen ziemlich harten Schlag ..und dabei benutzen Sie nicht einmal Ihre Fäuste. Soll ich Ihnen meine Daten hier draußen aufschreiben?«, fragte Erich Gloger.

Sie nahm ihn mit ins Haus. Ihm gefiel, wie sie eingerichtet war, und er sagte es ihr.

»Man fühlt sich auf Anhieb wohl«, meinte er.,

»Ich werde Ihnen nicht erlauben, sich hier häuslich niederzulassen«, sagte Jutta und brachte ihm Bleistift und Papier.

Er schrieb seinen Namen und seine Adresse drauf, notierte seine Telefonnummer und das Autokennzeichen.

»Falls Sie noch mehr über mich wissen wollen, ich bin Schütze, fünfundzwanzig Jahre alt und ledig«, sagte er.

Jutta wurde versöhnlich. »Möchten Sie etwas trinken?«

»Nerventee?«, fragte der junge Mann schmunzelnd.

»Davon gebe ich nichts ab, aber Sie können gern irgend etwas anderes haben. Es tut mir leid, dass ich so unfreundlich war, aber...«

»Schon vergessen«, unterbrach Erich Gloger großzügig. »Sie haben sich geärgert. Wozu zum Teufel braucht jemand wie Sie so viel Nerventee?«

»Ich habe morgen Fahrprüfung«, antwortete die Bankangestellte.

»Das erklärt alles«, sagte Erich Gloger. »Deshalb zittern Sie sich im Moment durchs Leben. Sie müssen der Sache mit Gelassenheit begegnen.«

»Ratschläge hat man mir schon genug erteilt, aber sie fruchten nicht«, sagte Jutta.

»Ist der Führerschein für Sie denn so wichtig?«, wollte der Mann wissen.

»Sie haben mir mein Rad kaputtgemacht. Ich brauche deshalb ein Auto«, gab Jutta Sibelius zur Antwort.

»Mussten Sie es mir schon wieder unter die Nase reiben? Sie können wohl sehr schwer verzeihen. Oder ist das Ihre Taktik, mein Schuldgefühl länger am Leben zu erhalten?«, fragte er lächelnd.

»Ich hätte gern einen Kleinwagen, nichts Protziges, das mir ein Loch ins Budget reißt. Ein Hupferl, würde man in Österreich dazu sagen. Vier Räder, ein Dach überm Kopf, wenig Benzinverbrauch, Freiheit — und Unabhängigkeit von allen Fahrplänen. Mein Stolz auf vier Rädern würde vor meiner Haustür stehen. Ich könnte jederzeit einsteigen und fahren, wohin ich will. Es hängt alles nur von diesem blöden Führerschein ab, den sie mir nicht geben wollen. Ich muss Feinde in der Kommission haben.«

»Unsinn, jemand wie Sie hat keine Feinde«, meinte der junge Mann ernst.

»Wieso steht mir dann morgen die zweite Bruchlandung bevor?«, fragte sie.

»Woher wollen Sie das heute schon wissen?«, fragte Erich Gloger.

»Ich fühle, dass die Gestirne für mich nicht günstig stehen«, antwortete die Bankangestellte.

»Und ich sage Ihnen, dass Sie morgen nicht die geringsten Schwierigkeiten haben werden. Ich kann nämlich in die Zukunft sehen«, behauptete Erich Gloger. »Sagen Sie, wollten Sie mir vorhin nicht etwas zu trinken anbieten?«

»Wie wär’s mit einem Glas badischen Weins?«, fragte Jutta.

» Einverstanden «, sagte Erich Gloger.

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