Читать книгу Bildung gegen den Strich - eBook - Sara Sierra Jaramillo - Страница 11
Gefährdete Mädchen, weltweit
Оглавление»Die Verhütungsrate von verheirateten Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren ist in Industrie- und Entwicklungsländern von fast null Anfang der 1960er-Jahre auf 47 Prozent im Jahr 1990 und 55 Prozent im Jahr 2000 angestiegen. Seitdem gab es eine weitgehende Stagnation. Das ist dramatisch für die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt, wo etwa ein Drittel des Bevölkerungswachstums auf ungewollte Schwangerschaften zurückgeht. (…) Das rasante Bevölkerungswachstum übt zusätzlichen Druck auf Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie auf die ohnehin knappen Ressourcen aus. Bei der Linderung von Hunger und Armut wäre viel erreicht, wenn alle, die verhüten wollen, dies auch könnten.«1 Für die Zukunft der Weltgesellschaft ist das Ergehen der Jugend von grundlegender Bedeutung. Mehr als eine Milliarde Menschen sind Jugendliche. Von ihnen leben 85 Prozent in Entwicklungsländern. Nie gab es so viele Heranwachsende wie heute.2 Ihre Bildung und ihre Gesundheit werden über das Ergehen der Menschheit entscheiden.
1 Siehe Weltbevölkerungsbericht 2012; http://www.presseportal.de/pm/24571/2363233/unfpa -weltbevoelkerungsbericht-2012-jede-vierte-frau-kann-schwangerschaft-nicht-verhueten
2 Vgl. Weltbevölkerungsbericht 2003: Junge Menschen – Schlüssel zur Entwicklung, http://www.weltbevoelkerung.de
Die meisten Kinder und Jugendlichen leben in Entwicklungsländern. Sie stellen das größte Potenzial ihrer Gesellschaften dar. Aufgrund ihrer Lebensbedingungen sind sie unverschuldet Risiken, Gefahren und Beeinträchtigungen ausgesetzt. Armut und fehlende Bildung sind besonders ungünstig für die persönliche, auch die sexuelle Entwicklung von Mädchen. Eingeschränkter Zugang zu Informationen, Beratungen und zum Gesundheitswesen sowie sexuelle Gewalt und Ausbeutung beeinträchtigen ihr Leben und ihre Entfaltung. Einige Schlaglichter:
Zehn Millionen Jugendliche haben HIV/Aids. Täglich infizieren sich weitere 6000 Minderjährige. In Afrika südlich der Sahara sind zwei Drittel der Betroffenen weiblich. Mit sexuell übertragbaren Krankheiten, die eigentlich geheilt werden könnten, infizieren sich jährlich über 333 Millionen junge Menschen unter 25 Jahren.
Jedes Jahr bekommen 15 Millionen Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren ein Kind. Das Risiko, während der Schwangerschaft oder bei der Geburt zu sterben, ist für sie doppelt so hoch wie bei über 20-Jährigen. Ist ein schwangeres Mädchen weniger als 15 Jahre alt, so ist die Gefahr, bei der Geburt ihres Kindes zu sterben, sogar 25-mal so hoch.
Bei verfrühten ungewollten Schwangerschaften kommt es besonders häufig zu Schwangerschaftsabbrüchen und Totgeburten. Ein Viertel aller nicht sachgemäß durchgeführten Abtreibungen wird bei Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren vorgenommen. Häufig bleiben chronische Infektionen und Unfruchtbarkeit zurück.
Angeblich werden an jedem Tag 16 000 Mädchen sexuell missbraucht. Mehr als die Hälfte von ihnen soll jünger als 15 Jahre alt sein.
Dass die Gefährdung junger Mädchen ein weltweites Problem ist, wurde in zahlreichen internationalen Übereinkommen und Konferenzen thematisiert:
Das Aktionsprogramm der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) hat in Kairo im Jahr 1994 auf die Bedürfnisse, Rechte und die besondere Schutzbedürftigkeit Jugendlicher hingewiesen.
Die Millenniums-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals/MDGs) beinhalten die Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen, nach Maßnahmen zur Verbesserung der Müttergesundheit und zur Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen Krankheiten.3
3 Nach: http://www.gtz.de/de/themen/soziale-entwicklung/gesundheit-bevoelkerung/7824.htm
Mitten in der Gesellschaft, mitten im Zentrum der Stadt Medellín leben und arbeiten, doppelt ausgegrenzt und tabuisiert, die Minderjährigen unter den Prostituierten. An der Avenida Prado sind tagtäglich dreißig bis vierzig Jungen und Mädchen zu beobachten, die dort herumstreunen. Die Jungen überleben durch Diebstahl und Verkauf von Drogen, die Mädchen schaffen an. Jeder weiß, was sie hier tun. Die Bewohner der Gegend, die Händler in den Geschäften und auf der Straße, die Passanten, die Polizei, die Ordnungskräfte in ihren Uniformen mit der Aufschrift espacio público – alle wissen Bescheid. Man sieht es an den Blicken der Mädchen in ihren kurzen Röcken und engen Blüschen, was sie wollen. Wenn sie einen Freier gefunden haben – es sind Männer jeden Alters, die hier bedient werden –, gehen sie voran, erkunden, wo gerade ein Zimmer frei ist, im Hotel, in dem sie wohnen, oder nebenan, der Freier folgt in gebührendem Abstand, und hinter ihnen fällt das eiserne Gitter ins Schloss. Wenn man von den erwachsenen Prostituierten nichts weiß, nichts von ihrem Alltag, ihrem Geschick, ihren Gefühlen und Wünschen, so weiß man erst recht nichts von den Mädchen, die demselben Gewerbe nachgehen. Das Tabu der Erwachsenenprostitution wird um ein Vielfaches überboten vom Geheimnis der Kinderprostitution. Der Umgang mit Prostituierten ist nicht jedermanns Sache, Geschlechtsverkehr mit Kindern aber ist ein Verbrechen.
Die kolumbianischen Medien berichten, dass sich die Zahl der Kinderprostituierten in Medellín in den letzten Jahren vervielfacht habe. Dasselbe gelte für die Hauptstadt Bogotá, im Übrigen auch für die anderen großen Städte des Landes. Die attraktivsten Länder Lateinamerikas werden von Sextouristen aus den USA und Europa überschwemmt. Dort wo der Fremdenverkehr blüht, bestreiten unzählige junge Frauen und Kinder ihren Lebensunterhalt, indem sie Fremden nicht nur sich selbst, sondern auch Rauschgift verkaufen.
In der Dominikanischen Republik soll es 60 000 minderjährige Mädchen im Alter ab sieben Jahren geben, die in der Prostitution und für pornographische Zwecke ausgebeutet werden. In Brasilien, wo angeblich zwischen 500 000 und zwei Millionen Kinderprostituierte tätig sind, bieten Scharen von Mädchen ihre Dienste in Massageclubs an. In Rio de Janeiro wird das touristische Sexgeschäft von Kartellen organisiert, die über Scharen von Kindern zwischen acht und fünfzehn Jahren verfügen. Im bitterarmen Haiti stehen junge Mädchen in unbegrenzter Anzahl für sexuelle Dienstleistungen an Ausländern zur Verfügung. Auch an der kolumbianischen Atlantikküste soll es genau so zugehen: »Sextourismus ist in Cartagena eine regelrechte Industrie.«1 Kinderprostitution ist aber kein exklusiv lateinamerikanisches Phänomen. Sie ist weltweit auf dem Vormarsch.
1 Siehe http://tdh.ch/de/news/15-jahre-gefangnis-erstmals-auslandischer-padophiler-sex -tourist-verurteilt