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»Sol y luna«

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Vor einigen Jahren regte die Verwaltung der Stadt Medellín (Secretaría General, Dependencia pública adscrita a la Alcaldía) ein Projekt mit dem Titel »Sol y Luna« (»Sonne und Mond«) an, dessen Ziel es war, die Schwangerschaften jugendlicher Mütter in der Stadt zu reduzieren (prevención del embarazo adolescente), und zwar innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent. Gleichzeitig sollten die Gesundheitsfürsorge und die Informationspolitik zum Thema Aids verbessert werden (promoción de conductas de autocuidado para el control del VIH SIDA en adolescentes).

Zur Zeit des Bürgermeisters Fajardo um das Jahr 2004 war die Sozialpolitik der Stadt außer auf die Problemlage früher Schwangerschaften auch auf Verbesserung in anderen Bereichen ausgerichtet, die junge Menschen auf der Straße betreffen: Drogenkonsum, Geschlechtskrankheiten, Schulverweigerung, typische Jugendkrankheiten wie Bulimie und Anorexie.

Um das Projektziel zu erreichen, wurde ein Netzwerk einschlägiger Institutionen ins Leben gerufen (Red de Prevención del Embarazo Adolescente), das Jugendlichen ein effektiveres Beratungsangebot (servicios de salud sexual y reproductiva) offerieren sollte. Die Liste der Beteiligungen zeigt, dass es in Medellín mehr als genug Einrichtungen gibt, die sich um schwangere Mädchen – auch unter denen, die der Prostitution nachgehen, sowie um Kindermütter auf der Straße – kümmern:

 Asociación Antioqueña para el Estudio y la Investigación de la Sexualidad (ASANSEX)

 Centro Pedagógico Integrado (C. E. P. I.)

 Centro Interdisciplinario de Estudios en Género

 Universidad de Antioquia

 Centro de Recursos Integrales para la Familia

 Universidad de Antioquia, Fundación para la Educación Especializada

 Fundación Universitaria Luis Amigó

 Instituto Colombiano de Bienestar Familiar

 Mujeres Unidas Zona NorOccidental

 Profamilia

 Red Colombiana de Mujeres por los Derechos Sexuales y Reproductivos.

Für das Projekt wurden viele Millionen Dollar investiert. Interessant sind die Daten, die von den Projektverantwortlichen zusammengetragen wurden:

 Im Jahr 2004 hatte die Stadt 2 071 500 Einwohner.

 Davon waren 17 Prozent, das heißt 353 000, Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 19 Jahren.

 In Medellín waren 12,5 Prozent aller Mütter erst zwischen 15 und 19 Jahre alt, die meisten zwischen 15 und 24.

 Schwangerschaften Minderjähriger häufen sich in den Slums (insbesondere in den Comunas Aranjuez, Villa Hermosa, Popular usw.), die wenigsten gibt es in den wohlhabenden Vierteln (Laureles, El Poblado usw.).

 Die meisten minderjährigen Schwangeren sind arm und haben wenig schulische Bildung genossen.

 Meist gehen Jugendschwangerschaften mit folgenden Phänomenen einher: städtische und ländliche Marginalität, kriegsähnliche Konflikte auf dem Land, bewaffnete Auseinandersetzungen und Gewalt in den Städten, gewaltsame Vertreibungen, soziale Exklusion, Schulabbrüche, fehlender Zugang zum Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, Kinder- und Jugendarbeit, Kinderprostitution, sexuelle Ausbeutung.

Was die Wirksamkeit des Projekts »Sol y luna« betrifft, so konnte es sein Ziel, die Anzahl der Minderjährigenschwangerschaften zu vermindern, nicht erreichen. Im Gegenteil: Von Jahr zu Jahr gibt es mehr schwangere Mädchen und Kindermütter in Medellín. Das Straßenbild im Umfeld des Rojas-Pinilla-Platzes unterstreicht diesen Befund. Einige Zahlen:

 Zwischen Januar und August 2004 bekamen in Medellín 4448 junge Mädchen Kinder. Das waren 22 Prozent aller Geburten.

 Im selben Zeitraum wurden in öffentlichen Einrichtungen 345 Abtreibungen registriert. Die Dunkelziffer lag gewiss viel höher.

 Von 2004 auf 2005 fiel die Anzahl der Schwangerschaften Jugendlicher im Alter zwischen zehn und 19 Jahren zwar von 7021 auf 5266. Aber dieser Trend hielt nicht an. Anschließend gab es wieder mehr Minder­jährigenschwangerschaften. Allein zwischen 2007 und 2008 kletterte die Zahl der jungen Mütter unter 19 Jahren erneut um fünf Prozent auf 8556.

Und die neuesten Zahlen? Im Jahr 2011 wurden über 19 000 Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren Mutter. In den ersten vier Monaten des Jahres 2012 wurden bereits 9365 Geburten in dieser Altersgruppe registriert. »Das Problem der Minderjährigenschwangerschaften hat sich in Kolumbien zu einem gravierenden sozialen Problem entwickelt«, schreibt die Tageszeitung El Espectador. Es betrifft 19 Prozent der unter 19-Jährigen, aber 35 Prozent der Mädchen in den ärmsten Wohngegenden (estrato 1 y 2) (vgl. http://www.elespectador.com/noticias/bogota/articulo-367968-9365-nacimientos-jovenes-entre-los-15-y-19-anos). Nach Angaben von Dane (Departamento Administrativo Nacional Estadistica) wurden in der Hauptstadt Bogotá im Jahr 2011 456 Geburten von Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren gezählt, im ersten Semester 2012 waren es bereits 250. Frühzeitige Schwangerschaften, so El Espectador, sind meist mit anderen Problemen verbunden – mit Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Geschlechtskrankheiten, Abtreibung und Kindestod.

Eine konsequente Fortsetzung des Programms »Sol y luna« gibt es in Medellín nicht. Die Stadt hat sich das Vorhaben des Projekts nicht zu eigen gemacht und verfolgt die formulierten Ziele keineswegs mit Nachdruck. Die Mädchen, die zwischen El Prado und der Kathedrale der Prostitution nachgehen und schwanger werden, kennen weder ihre Rechte noch irgendwelche Institutionen, deren Aufgabe es ist, ihnen in ihrer Not zur Seite zu stehen. Die Mädchen finden den Weg dorthin nicht, und die Institutionen und Projekte denken offenbar nicht daran, sie dort aufzusuchen, wo sie sich aufhalten – auf der Straße.

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