Читать книгу Bildung gegen den Strich - eBook - Sara Sierra Jaramillo - Страница 8
Prostitution, stigmatisierter Raum
ОглавлениеProstitution ist heikel. Umstritten kann man sie indes nicht nennen, denn es wird darüber ja nicht gesprochen. Jedes Kind in der Stadt weiß, dass man dorthin nicht geht, aber keiner fragt, warum nicht. Blicke ins unbekannte Terrain erlaubt man sich bestenfalls verstohlen und im Vorübergehen, aus dem Bus oder der Metro heraus, gesenkte Blicke. Jeder Anflug von Interesse wird durch Scham unterdrückt. Man meidet das Risiko, durch das, was man zu sehen bekommen könnte, angesteckt, infiziert, verunreinigt zu werden.
Die vermeintliche Kenntnis über das tatsächlich Unbekannte ist der sprachlosen Haltung abgerungen, die die Allgemeinheit diesem Thema gegenüber einnimmt. Ohne Worte zu machen, hat die Gesellschaft die ganze Zone zum Tabu erklärt. Die Angst vor dem Ort und das Unbehagen, darüber zu sprechen, lassen tatsächlich nur eine vage, pauschale Vorstellung zu, ein stigmatisiertes Wissen davon, wie es dort aussieht und was hinter den Fassaden der tristen Gebäude geschieht. Es ist das Verborgene, was die Phantasie reizt, die den Akteuren des verfemten Geschehens durch enge, dunkle Hausflure und über steile Treppen in hohe Stockwerke, Hinterhäuser und Holzverschläge folgt, wo das Unsagbare stattfindet. Das Unsichtbare und Geheime ist abstoßend, schmutzig, verwerflich und gerade deshalb aufreizend.
Es ist der greifbare Erfolg der Stigmatisierung, dass man von den Menschen, die ihr Leben in diesen Straßen und Häusern zubringen, nichts weiß und wohl auch in Zukunft nichts erfahren wird. Man kennt sie nicht, und man darf und will sie auch nicht kennenlernen. Wer hat jemals mit einer Prostituierten, mit einem Bordellbetreiber, mit dem Besitzer eines Stundenhotels über ihr Leben gesprochen, wer würde das tun wollen? Die unsichtbare Grenze überschreiten nur die Freier. Inkognito dringen sie in die fremde Gegend vor, sie schleichen gleichsam hinein und verlassen so bald wie möglich raschen Schrittes und mit eingezogenen Schultern das anrüchige Terrain. Dann sind ihre Gedanken über das Jenseits der Grenze mindestens so abschätzig wie die Vorstellungen jener, die höchstens in der Phantasie dort verkehren.
Die Straßen zwischen der Avenida Prado und der Kathedrale sind von allen Seiten offen und zugänglich. In Wirklichkeit jedoch hat sie die Öffentlichkeit längst ausgegrenzt und in sich abgeschlossen. Es ist ein emotional aufgeladener Raum, geschützt von einer aus Gefühlen der Angst, Scheu, Abscheu, Unsicherheit und Gefahr hochgezogenen Mauer. Als Bewohner eines fremden anormalen Landes sind die Menschen, die dort leben, stigmatisiert. So weit wie möglich werden sie Außenstehenden gegenüber verbergen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen.