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Chor der jungen Straßenmütter1
Оглавление1 Quelle: Carlos Fuentes, Chor der jungen Straßenmütter, aus: ders., Alle glücklichen Familien. © 2006 Carlos Fuentes. © 2006 bei Santillana Ediciones Generales, S. A. de C. V., México. Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a. M. 2008.
Equisita gebar auf der Straße
Die Hälfte der Mädchen auf der Straße ist schwanger
Sie sind zwischen zwölf und fünfzehn
Ihre Babys sind zwischen null und sechs
Viele haben das Glück einer Fehlgeburt weil sie geprügelt werden
Bis der Fötus vor Angst schreiend herauskommt
Ist es besser drinnen oder draußen zu sein?
Ich will hier nicht sein Mamacita
Wirf mich lieber in den Müll Mutter
Ich will nicht geboren werden und jeden Tag mehr verdummen
Ohne Bad Madrecita ohne Essen Mutter
Ohne andere Nahrung als den Alkohol Mutter Marihuana Mutter
Lösungsmittel Mutter Resistol Mutter Toluol Mutter Kokain Mutter
Benzin Mutter
Deine Brüste prall gefüllt mit Benzin Mutter
Ich spucke Feuer Mutter
Für ein paar Centavos Mutter
An den Straßenecken Mutter
Den Mund voller Benzin das ich aufsog Mutter
Der brennende Mund versengt
Die Lippen mit zehn Jahren zu Asche verkohlt
Wie soll ich mich lieben Mutter?
Ich hasse dich nicht
Ich hasse mich
Ich bin keinen Dreck wert
Ich bin nur wert was meine Fäuste hergeben
Prügelnde Fäuste raubende Fäuste messerscharfe Fäuste Mutter
Falls du noch lebst Mutter
Falls du mich noch ein kleines bißchen liebst
Befiehl mir bitte daß ich mich selbst ein kleines bißchen liebe
Ich hasse mich wirklich
Ich bin weniger wert als Hundekotze Eselscheiße
ein Haar am Arsch ein verlorener
Schuh ein verfaulter Pfirsich eine schwarze Bananenschale
Weniger als der Rülps eines Säufers
Weniger als ein Polizistenfurz
Weniger als ein kopfloses Huhn
Weniger als der welke Schwanz eines Greises
Weniger als die schlaffen Arschbacken einer kleinen Schlampe
weniger als der Auswurf eines Dealers
weniger als der nackte Arsch eines Pavians
weniger als wenig Mamacita
laß nicht zu daß ich mich selbst umbringe
sag etwas damit ich mich großartig fühle
supergroßartig superbombastisch Mutter
reich mir nur eine Hand um hier rauszukommen
bin ich für immer zu dem hier verdammt Mutter?
sieh nur meine tiefschwarzen Fingernägel
sieh nur meine verklebten triefenden Augen
sieh nur meine aufgesprungenen Lippen
sieh den schwarzen Schaum auf meiner Zunge
sieh das gelbe Schmalz in meinen Ohren
sieh meinen grünen aufgequollenen Bauchnabel
Mutter hol mich hier raus
was hab ich verbrochen um hier zu enden?
Grabend nagend kratzend weinend
was habe ich verbrochen um hier zu enden?
Xxxxxquisita
Flor, Azucena und Marina haben in ihrem kurzen Leben eine Katastrophe nach der anderen erlebt. Sie haben ihre Familien verloren, haben freiwillig oder unter Zwang ihr Zuhause verlassen. Nun schlagen sie sich notdürftig durch und mühen sich täglich ab, um nur irgendwie zu überleben. Sie sind körperlich und psychisch retardiert, fühlen sich einsam, verlassen und haben bedrängende Minderwertigkeitsgefühle.
Kein Straßenbewohner in Medellín kommt ohne Drogen aus. Wenn ein Mädchen feststellt, dass es schwanger ist, spürt es zwar eine starke Motivation, sein Leben zu ändern – um des Kindes willen. Aber es gelingt selten, dauerhaft abstinent zu bleiben und sich der Prostitution zu entziehen. Das Kleinkind, das schon als Embryo am Rauschgiftkonsum seiner Mutter teilhat, ist von Geburt an drogenabhängig. Es ist fortwährend unruhig, schreit Tag und Nacht und ist für Krankheiten besonders anfällig. Seine körperlichen und psychischen Entwicklungschancen sind eingeschränkt. Nicht wenige Kinder kommen behindert zur Welt.