Читать книгу Künstlerseelen - Saskia Françoise Elvers - Страница 9
Hardi Raacke
ОглавлениеNichts ist schwerer als ein gutes Drehbuch zu schreiben. Das liegt nicht daran, dass die Ideen oder das Können fehlen, sondern daran, dass ich sofort an die damit verbundenen Kritiken denke.
Als ich damals Edgar Brandig kennengelernt habe, war ich beeindruckt von seiner Leistung alles selber zu machen. Lange habe ich davor Angst gehabt es ihm nach zu tun.
Doch wieso sollte man sich als Schauspieler nicht weiter entwickeln dürfen? Wieso sollte es nicht auch bei mir funktionieren? Ideen hatte ich schließlich genug und an Willen und Geld mangelte es ebenfalls nicht. Es hat mich schlussendlich dennoch sehr viel Überwindung gekostet meine eigene Firma zu gründen.
Nun habe ich sie und es läuft ganz gut, doch richtig fühlt es sich immer noch nicht an. Gerne würde ich meinen Horizont erweitern, doch ich muss ans Geld denken. Wer keine finanzielle Freiheit besitzt, wird gleichzeitig auch beim Drehbuch eingeschränkt.
Ich beklage mich nicht gerne, aber es ist nun mal so, dass viele Deutsche die heimische Filmkultur nicht zu schätzen wissen. Das einzige was wirklich Geld für meine Firma einbringt, und mir ermöglicht etwas für ein Herzensprojekt anzusparen, sind Komödien. Gleichzeitig werden diese von den Zuschauern immer stärker kritisiert, weil die schauspielerische Leistung nicht stimmt oder man ein Abklatsch ist. Die Menschen befassen sich nicht mit den Unterschieden oder gar dem Hintergrund - sie urteilen ohne Kopf. Dass solche Menschen der Grund sind, wieso ich billige Komödien machen muss, in denen ich mich nicht künstlerisch entfalten kann, sehen sie nicht. Dabei liegt es einfach daran, dass filmische Experimente aus dem eigenen Land nicht angenommen werden. Ich würde massig Geld für Produktionen ausgeben, die ich niemals einspielen kann, weil die Menschheit zu faul ist sich auf etwas Neues einzulassen.
Ich mache Filme um die Leute in eine andere Welt zu holen - raus aus ihrem Alltag. Doch alles was die Leute machen ist meckern. Auf Experimente wollen sie sich nicht einlassen, mit einer Ausnahme - Hollywood. Das frustriert auf Dauer.
So sitze ich vor einem neuen Drehbuch und habe eine klasse Idee im Kopf die unbedingt raus möchte. Das erste Mal soll es etwas anderes werden, als mein Standard. Und dort wartet das nächste Problem. Es gibt mittlerweile so viele Filme, dass ich jetzt genau schauen muss, was noch nicht vorkam.
Alle Augen sind auf mich gerichtet - ich weiß das. Sobald ich etwas benutze, was in einem anderen Film ähnlich stattgefunden hat, habe ich die nächsten Kritiken am Hals - in dem Sinne, dass ich nicht die Fähigkeit besitze mir selber etwas auszudenken und es dann doch besser bleiben lassen soll.
Viele übersehen dabei, dass Hollywood viel öfter geklaut hat. Wobei - was heißt Übersehen? Die Menschen informieren sich nicht. Die Menschen wissen nicht, dass wenn ich eine alte, ursprünglich deutsche Idee aufgreife, welche in Dutzenden von Hollywood-Filmen benutzt wurde, dass ich damit nicht aus Amerika klaue, sondern mich unserer eigenen Kultur bediene. Beispiel gefällig?
Jeder kennt die Hollywood-Blockbuster in denen Zwillinge bei der Geburt getrennt wurden, sich zufällig im Teenageralter begegnen und dann die Rollen tauschen, um ihre Eltern wieder zusammen zu bringen. Filme wie Ein Zwilling kommt selten allein oder Eins und Eins macht Vier laufen im Samstagsnachmittagsprogamm auf und ab. Jeder weiß sogar, dass entweder Lindsay Lohan oder die Olsen-Twins die Hauptrollen spielen. Doch woher die Idee stammt, weiß kaum einer.
Der Erfinder dieser Kerngeschichte stammt aus Deutschland. Erich Kästner heißt der gute Mann, dem dieser grandiose Einfall entsprungen ist. Ein Name mit dem jeder Deutsche etwas anfangen kann. Sein doppeltes Lottchen war der Anfang dieser Zwillingsära.
Befasst man sich nur etwas mit der Geschichte, dann erkennt man ziemlich schnell, dass viele Künstler nur wegen Kriegen geflüchtet sind und ihr Erbgut nun in anderen Teilen der Welt vervielfachen. Wer sich ernsthaft mit Hollywoodstars befasst, dürfte darauf aufmerksam geworden sein, wie viele einen deutschen Ursprung haben.
Ja, Unwissenheit macht Frust - besonders bei Künstlern wie mir!
Solche Sachen gehen mir durch den Kopf, bevor ich nur ein Wort des Manuskriptes schreiben kann. So kommt es, dass ich seit geschlagenen drei Tagen untätig in meinem Büro sitze und immer wieder Zettel mit unbrauchbaren Ideen zerknülle und voller Wut zu Boden werfe. Einen Papierkorb habe ich mir nie angeschafft, weil ich den durchgehend verfehlen würde - ich bin ein sehr schlechter Werfer. Mein Büroboden ist übersät mit Papierschneebällen, wie meine Kinder sie liebevoll nennen, durch die ich mir meinen Weg bahne, nachdem mich meine Freundin angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass Edgars Premiere in den Nachrichten diskutiert wird. Da ich beim Schnitt kurz einen Teil seines Films ansehen durfte, bin ich umso gespannter was die Presse diesmal kritisiert.
Die Nachrichten werden mehrmals am Tag wiederholt. Meistens sehe ich sie mir um 20 Uhr an, bevor meine Freundin Natalie und ich den Abend mit einer Serie ausklingen lassen. Heute mache ich eine Ausnahme, da mein Frustlevel bereits sein Limit erreicht hat und ich den Anblick von weißem Papier nicht mehr ertrage.
Meine beiden Kinder sind gerade von ihrem Mittagsschlaf aufgewacht als ich durch die Haustür komme. Freudig springen sie mir entgegen und ich grinse breit, obwohl ich mich nicht danach fühle.
Meine Unproduktivität verhagelt mir die Laune. Natalie ist die einzige, die es mir ansieht, weiß wie sie damit umzugehen hat und mich weitestgehend mit Arbeit verschont.
Wir sind schon lange zusammen. Sie ist eine gute Wegbegleitung und die starke Schulter, die ich oft brauche - besonders an solchen Tagen. Ich bin dankbar, sie zu haben und einer der glücklichsten Menschen, weil sie mir diese hinreißenden Kinder geschenkt hat, die mich täglich an das Wichtigste im Leben erinnern - Liebe und Selbstwahrheit. Wenn ich die beiden Kleinen sehe, höre, wie sie mich rufen, erinnere ich mich daran, dass die Arbeit nicht alles ist.
„Würdest du da mitmachen?“, fragt Natalie mich besorgt, nachdem wir die Kinder abends ins Bett gebracht haben und Edgar erneut in den Nachrichten auftaucht.
„Wenn er etwas starten würde, um die Menschen zu belehren, meinst du? Natürlich wäre ich dabei. Er hat Recht! Man wird nicht ernst genommen - nur kritisiert. Versetze dich mal in unsere Lage. Niemand hat den kompletten Film gesehen, dennoch zerreißt ihn jeder anhand von drei Minuten Material, der nur kurz einen Einblick geben soll, damit sich die Menschen entscheiden können, ob sie ihn gucken wollen oder nicht. In den paar Minuten kann man sich kein Urteil bilden, ob das Skript hervorragend ist oder nicht. Niemand weiß, ob alle Gags im Trailer enthalten sind oder nicht. Niemand kann die schauspielerische Leistung anhand von zusammengeschnittenen Fetzen bewerten, aber genau das wird getan.
Die Leute sind verseucht von ihrer beschränkten Sichtweise. Es hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, wenn man unwissend etwas wahllos kritisiert, aber genau an dieser Begründung halten sich die Leute fest, wenn man gegen sie argumentiert.
Natürlich darf jeder seine Meinung kundtun, aber ein kluger Mensch beurteilt erst, nachdem er das Gesamtwerk gesehen hat und kritisiert nicht nach Sympathien. Das ist in diesem Land verloren gegangen - so sehe ich das!
Ich erlebe es bei der Arbeit. Diese ganze scharfe Kritik von Leuten die dich hassen und andere damit beeinflussen wollen - etwas anderes kann nicht ihr Ziel sein, sonst würden sie uns einfach in Ruhe lassen und sich Dingen widmen, die sie wirklich interessant finden. Diese ganze scharfe Kritik macht mir die Arbeit schwer. Es hat sich in den Jahrhunderten nichts geändert. Künstler haben es immer schwer, weil viel zu viele Leute keine Weltoffenheit besitzen.
Was meinst du, wie anders die Welt wäre, wenn sich genau das ändern würde? Wenn die Menschen endlich begreifen wie wichtig Kunst für jeden einzelnen ist? Siehe dir doch nur deine alten CDs an. Wie viele Erinnerungen können an einem einzigen Song hängen?
Kinder sind anders - begeisterungsfreudig. Wann setzt die Zeit ein, wo sich das ändert? Auf einmal braucht man viel Selbstbewusstsein um mit Stolz zu sagen was man früher gehört hat. Man fängt an sich dafür zu rechtfertigen, wieso man eine Musikrichtung hört, die in der eigenen Altersklasse gerade nicht modern ist. Desto härter die Gesellschaft arbeitet, desto mehr Ballast muss jeder abladen. Doch die meisten tun es mit unsinniger Kritik, anstatt dankbar für die Kunst zu sein, die es ihnen ermöglicht für einige Stunden aus ihrer Welt zu fliehen.“
Der ganze Frust fließt förmlich aus mir heraus. Aus Natalies Augen kann ich entnehmen, dass sie meine Meinung versteht, dennoch anderer Ansicht ist. Es muss schwer für sie sein, mit einem Künstler zusammen zu leben. Ich bin oft nicht da, arbeite lange oder bin gedanklich abwesend.
Edgars Idee lässt mich auch beim Schlafengehen nicht los. Könnte man die Menschheit umerziehen? Wäre es möglich, dass mit einem künstlerischen Verlust der Wunsch zurückkommt, sich einfach in der Kunst fallen zu lassen ohne einen hassenden Blick darauf zu werfen? Musik zu einem Lebenssoundtrack zu machen oder einfach wegzuschalten, wenn sie einem nicht gefällt? Würde das gehen?
Ich muss mir eingestehen, dass ich mich persönlich nicht trauen würde so einen Test anzuzetteln. Doch würde Edgar den Versuch starten würde ich ihn unterstützen.
Entschlossen greife ich zu meinem Handy und verfasse eine Nachricht an Edgar, in der ich ihm meine Unterstützung beteure. Die Nachricht wird versendet und während ich beruhigt das Handy zur Seite lege, sehe ich, wie Natalie zu mir rüber schielt.
Sie weiß, was ich gemacht habe. Sie kennt mich viel zu gut. Meine Tat ist nicht in ihrem Sinne, das ist mir durchaus bewusst - doch was wäre anders? Sie kennt die Abwesenheit durch meine Drehtage. Sie ist es gewohnt - hat gelernt damit zu leben. Es geht auch hier um meine Arbeit, das muss sie verstehen und akzeptieren.