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2. Tatsächliche Befähigung

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Das Steuerstrafrecht stellt an den Verteidiger besondere Anforderungen.[28]

Die Steuerstrafgesetze, insbesondere die Tatbestände des § 370 AO sind in der Regel als Blankettstrafgesetze normiert, die durch die Steuergesetze ausgefüllt werden. Der objektive Tatbestand des § 370 AO z.B. verlangt daher zunächst eine steuerrechtliche Prüfung. Dies bedeutet, dass eine Verteidigung in Steuerstrafsachen zumindest Grundkenntnisse des Steuerrechts voraussetzt. Je komplexer und diffiziler nun die steuerliche Seite eines Falles ist, umso höher sind die Anforderungen an die notwendigen steuerrechtlichen Kenntnisse. Der Strafverteidiger stößt hier in der Regel sehr schnell an seine Grenzen.[29]

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Umgekehrt ist der Angehörige der steuerberatenden Berufe bald überfordert, wenn es um die andere Seite des Steuerstrafrechts geht: Die materiell-strafrechtlichen Aspekte wie z.B. Teilnahme, Versuch, Irrtum, subjektive Vorwerfbarkeit etc., die prozessualen Fragen in den einzelnen Verfahrensabschnitten und schließlich insbesondere die forensische Erfahrung, die gerade in einer Hauptverhandlung unentbehrlich ist.[30] Man denke hierbei nur an die Taktik und Technik der Zeugenvernehmungen oder an das Beweisantragsrecht.

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Verteidigung in Steuerstrafsachen verlangt daher eine Qualifikation, die einerseits über die bloße Strafverteidigung, andererseits über die bloße steuerrechtliche Tätigkeit hinaus geht.

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Vorab steht die Erkenntnis, dass in den (aller)wenigsten Fällen ein Freispruch Ziel einer realistischen Verteidigung sein kann (wobei es in noch weniger Fällen tatsächlich zum Freispruch kommt). In der täglichen Verteidigungspraxis geht es um die Art und Weise der Verfahrensabwicklung (Stichwort: Publizität und Prangerwirkung einer öffentlichen Hauptverhandlung, d.h. Verfahrensziel ist zuvorderst eine Vermeidung der Hauptverhandlung) und die Rechtsfolgen des Verfahrens einschließlich der darüber hinausgehenden wirtschaftlichen/existenziellen Folgen,[31] hier reicht die Skala von der Einstellung ohne Auflagen gem. § 153 StPO, § 398 AO bis zu mehrjährigen Freiheitsstrafen.[32]

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In der Regel will der Mandant gleich zu Beginn des Verfahrens wissen „was kann mir passieren?“ und „mit welcher Strafe habe ich zu rechnen?“. Gerade wegen aller Informationsdefizite, die der Verteidiger bei Übernahme einer Verteidigung hat, muss er sich davor hüten, zu optimistische, d.h. oft blauäugige oder sogar mandantenwillfährige, Prognosen abzugeben. Man führe sich nur den Fall vor Augen, bei dem Verteidiger anlässlich einer Durchsuchung dem Mandanten eine rasche Verfahrenseinstellung zusagt und der Mandant nach den ersten Auswertungen der Beweismittel verhaftet wird. Der Verteidiger muss seinen Realitätssinn bewahren, er muss die tatsächlichen Verhältnisse des Zusammenwirkens von Steuerfahndung, Straf- und Bußgeldsachenstelle und Staatsanwaltschaft kennen (die örtlich durchaus verschieden sein kann) und er muss neben der Theorie insbesondere auch die (örtliche) Praxis der Strafzumessung kennen. Nur so kann er die Eingangsfrage des Mandanten sicher nicht endgültig aber doch in einem gewissen Rahmen zuverlässig beantworten. Dass die Antwort im Laufe des Verfahrens im Positiven wie im Negativen abzuändern ist, ergibt sich aus dem wachsenden Informationsstand des Verteidigers im Hinblick auf das sich entwickelnde Verfahrensergebnis als selbstverständlich.

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Gerade die Kenntnis von Theorie und Praxis der Strafzumessung sind für den Verteidiger in allen Verfahrensstadien im Hinblick auf Ermittlungsbehörden und/oder Gericht ein unverzichtbares Rüstzeug:

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Im Ermittlungsverfahren ergibt sich die Chance einer tatsächlichen Verständigung im steuerlichen Verfahren verbunden mit einer Verständigung über das Ergebnis des Strafverfahrens („Paket-Lösung“). Gerade hier, wo die Bereitschaft des Mandanten zum Nachgeben in der Strafsache und der Akzeptanz einer Strafe häufig noch gering ist, ist der Verteidiger gefordert, realistisch die Gefahren einer Fortsetzung des Strafverfahrens und insbesondere die Auswirkung auf die Rechtsfolgenseite, d.h. die Strafzumessung zu erkennen. Er muss hier auch die Grenze des strafverfahrensmäßig Machbaren erkennen, denn wenn hier durch überzogene Vorstellungen des Verteidigers und/oder des Mandanten eine Erledigung des Strafverfahrens scheitert, muss dies zwar nicht unbedingt eine Vereinbarung in einem späteren Verfahrensabschnitt ausschließen, dann aber wird dies in aller Regel zu schlechteren Konditionen für den Mandanten erfolgen.
Nach Abschluss der Ermittlungen ist es oft die Straf- und Bußgeldsachenstelle oder die Staatsanwaltschaft, die auf die Verteidigung wegen eines einvernehmlichen Verfahrensabschlusses zukommen. Das Angebot wird hier in aller Regel nicht auf Einstellung des Verfahrens lauten, sondern die Verhängung einer Strafe beinhalten. Auch hier muss der Verteidiger das Angebot bewerten und entscheiden, ob es sich tatsächlich als günstig und akzeptabel darstellt und eine Aufgabe der bisherigen Verteidigungslinie rechtfertigt.
Im Zwischenverfahren und vor oder in der Hauptverhandlung ist der Verteidiger vor dieselbe Problematik gestellt, insbesondere wenn das Gericht zu einem Vorgespräch der Verfahrensbeteiligten bittet und hier seine Vorstellungen von einer einvernehmlichen Verfahrenserledigung unterbreitet. Hier wird es, gerade bei der Großen Strafkammer, sehr häufig auch um die existenzielle Frage einer Freiheitsstrafe mit oder ohne Bewährung gehen. Es sind dies die kritischsten Fälle in der Verteidigungspraxis: der Verteidiger erkennt, dass bestenfalls nur eine Freiheitsstrafe zur Bewährung erreicht werden kann, demgegenüber stellt das Gericht bei einer einvernehmlichen Erledigung eine Freiheitsstrafe zwischen 2 ½ Jahren und 3 Jahren in den Raum in Kenntnis der Strafvorstellung der Staatsanwaltschaft von 5 Jahren, d.h. im Falle einer streitigen Hauptverhandlung droht realistisch die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Eine allgemein gültige Antwort auf diese alltägliche Fallgestaltung lässt sich nicht geben, die Entscheidung hierüber ist letztlich ureigene Sache des Mandanten, schon eine Empfehlung des Verteidigers kann zu viel sein.

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Gleichwohl ist es sicher Aufgabe des Verteidigers gerade in der Strafzumessung gegenüber dem mit dieser Frage naturgemäß völlig unbedarften Mandanten ein klares Verteidigungsziel vorzugeben. Erforderlich hierfür ist natürlich die Kenntnis des Verfahrensstoffes, d.h. spätestens nach Abschluss der Ermittlungen der Akteninhalt. Der Mandant muss auf den in Betracht kommenden Strafrahmen eingestellt werden, wobei auch eine „worst case Betrachtung“ nicht unterschlagen werden darf. Steuerstrafmandate bedeuten im Hinblick auf ihre Dauer häufig, dass eine „Dauerbeziehung“ zwischen Mandant und Verteidiger besteht. In dieser „Dauerbeziehung“ gewinnen realistische Prognosen des Verteidigers im Hinblick auf das Vertrauen des Mandanten eine besondere Bedeutung.

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Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass, eine rechtzeitige Mandatserteilung unterstellt, eine Verteidigung gerade in Steuerstrafsachen nicht erst in der Hauptverhandlung beginnen darf, sondern dass sie sofort nach Mandatsübertragung in dem jeweiligen Verfahrensstand, im Idealfall mit den ersten strafprozessualen Maßnahmen, zu beginnen hat. Gerade die Parallelität zwischen Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren ergibt zusätzliche Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Strafverteidigung, denn Ergebnis und gegebenenfalls Erledigung des Besteuerungsverfahrens durch Zahlung färben immer auf das Steuerstrafverfahren ab. Hieraus ergibt sich einmal mehr die Bedeutung eines Zusammenwirkens zwischen Strafverteidiger und steuerlichem Berater.

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Vor dem Hintergrund der oben genannten „Dauerbeziehung“ ergibt sich die Notwendigkeit, dem Mandanten ein transparentes Verteidigungskonzept darzustellen, mit dem Ziel der Akzeptanz dieses Verteidigungskonzepts durch den Mandanten. Ein derartiges Konzept kann sich wie folgt darstellen:

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Feststellung eines konkreten Strafrahmens Hier fließen der Informationsstand des Verteidigers über Vorwurf und Ermittlungen, die Einschätzung der beteiligten Personen auf Ermittlungsseite auch unter psychologischen Gesichtspunkten und die örtlichen Gegebenheiten zur Verfahrensweise und Strafmaß zusammen. So kann schon aus der jeweiligen Zuständigkeit der Ermittlungsbehörde für den Strafrahmen ein konkreter Rückschluss gezogen werden: Verbleibt die Ermittlungskompetenz bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle, bedeutet dies die Rechtsfolge einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe im Strafbefehlswege bis zu 1 Jahr auf Bewährung. Bei Übergang des Verfahrens auf die Staatsanwaltschaft oder speziell auf die Schwerpunktstaatsanwaltschaft bedeutet dies als zu erwartende Rechtsfolge in der Regel eine Freiheitsstrafe. Eine Anklage zum Schöffengericht besagt im Hinblick auf die Strafrahmenkompetenz des Schöffengerichts von Freiheitsstrafe bis zu 4 Jahren keineswegs eine Entwarnung dergestalt, dass nur mit einer Freiheitsstrafe zur Bewährung oder gar einer Geldstrafe zu rechnen ist.
Verteidigungsziel Vor dem Hintergrund dieses Strafrahmens muss, abgesehen von dem Ziel eines Freispruchs, ein realistisches Verteidigungsziel am besten gemeinsam „erarbeitet“ werden. Die Führungsrolle bei dieser Standortbestimmung muss immer dem Verteidiger zufallen. Natürlich kann die Verfahrensentwicklung zu einer Anpassung des Verfahrensziels und einem Überdenken der Situation führen.
Verteidigungsstrategie Ist das Verteidigungsziel festgelegt, liegt es an dem Verteidiger eine Strategie zur Erreichung dieses Verteidigungsziels zu entwickeln und dem Mandanten aufzuzeigen. Hier stehen sich als Pole gegenüber die so genannte Konfliktverteidigung einerseits und die so genannte Kooperationsverteidigung andererseits. Völlige Konfrontation mit Einlegung von Rechtsbehelfen wo dies möglich ist gegen jegliche Ermittlungsmaßnahmen steht gegen die Kontaktaufnahme und Kooperation mit den Ermittlungsbehörden mit dem Ziel einer Verständigung.
Verteidigungstaktik Einzubinden in diese Verteidigungsstrategie sind dann die erforderlichen Einzelmaßnahmen wie z.B. Beschwerde gegen Durchsuchungsbeschlüsse, Anträge zur Akteneinsicht, Angebot auf Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung nach § 163a Abs. 1 S. 1 StPO, Einreichung einer Verteidigungsschrift.

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Ob das Verteidigungsziel als das, was für den Mandanten entscheidend ist und ihn letztlich ausschließlich interessiert, erreicht wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber gerade die Festlegung des Verteidigungsziels gemessen am Rahmen der möglichen Rechtsfolgen und das Aufzeigen des Wegs macht auch die Verteidigung für den Mandanten transparent und kann auch besser die Akzeptanz eines Verfahrensergebnisses, gerade im Hinblick auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung, vermitteln.

Teil 1 Allgemeine GrundfragenI. Der Verteidiger im Steuerstrafverfahren › 3. Gemeinschaftliche Verteidigung

Verteidigung in Steuerstrafsachen

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