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SPRECHENDE VÖGEL

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Wann ist ein Lied kein Lied? Wenn es sich um einen Ruf handelt. Manche Vögel erzeugen Klänge aus anderen Gründen als zur Verteidigung ihres Reviers oder zum Anlocken einer Partnerin. Und um das Ganze noch interessanter zu machen, geben manche Vögel auch Töne von sich, um auf ihr Revier aufmerksam zu machen. Allerdings würden wir solche Töne nicht als Musik einstufen, geschweige denn als Lied betrachten. Das Krähen von Hausgeflügel, oder besser gesagt vom Haushuhn, dem wilden Vorfahren, fällt in musikalischer Hinsicht ganz gewiss nicht in die Nachtigall-Kategorie, ja nicht mal in die Zaunkönig-Klasse.

Und so ist das, was wir gemeinhin als „Lied“ verstehen, begrenzt auf die Singvögel bzw. Sänger (Oscines), die zur Ordnung der Sperlingsvögel (Passeriformes) gehören. Die Singvögel gründen und verteidigen ihre Reviere mithilfe ihres Gesangs. So weit, so gut, wenn auch nicht sehr präzise. Die riesige Gruppe der Singvögel gliedert sich in weitere Untergruppen (die innere Systematik ist hier etwas unsicher und fließend). Zu den Singvögeln zählen etwa die Rabenvögel (Corvidae), also Kolkraben, Krähen, Elstern, Dohlen und Häher. Von diesen unterscheiden sich Vögel, die mit einem komplexen „Gesangsapparat“ ausgestattet sind, mit dem sie unterschiedlichste Klänge und eben Lieder erzeugen können, zum Beispiel Finken, Meisen und Drosseln. Weltweit gibt es etwa 10.000 Vogelarten, die Gruppe der Singvögel ist mit etwa 4000 Arten die umfangreichste in der Vogelwelt.

Ein Gesang ist immer schön und auch wichtig. Nur erzeugen die meisten Vögel, teils auch die Sänger, eigentlich ständig irgendwelche Töne wie etwa „Piep“. Außerdem geben alle Sänger auch Geräusche von sich, die man nicht als Lied bezeichnen kann. Wer außerhalb der Brutsaison einen Wald- oder Parkspaziergang macht, wird wohl kaum Lieder hören, andere Vogellaute aber durchaus. Vielleicht ist sogar ein Rotkehlchen oder ein Zaunkönig zu vernehmen, auch wenn sie nicht in dem Sinne singen. Als Warnruf erzeugen Rotkehlchen ein Geräusch wie ein sanftes Klicken, ebenso der Zaunkönig, wenngleich das Klicken bei ihm noch lauter und explosiver ist.

Ein Ruf ist in der Regel sehr kurz, meistens nur ein einzelner Ton. Verwendet wird er für viele verschiedene Zwecke: für die Kommunikation mit Artgenossen einer Gruppe, um vor Eindringlingen zu warnen, um Artgenossen dazu anzustiften, einem etwas gleichzutun, zur Warnung vor drohender Gefahr etwa durch einen Sperber oder einen Menschen, zum Drohen, zur Anforderung von Nahrung oder um allgemein Aufregung zum Ausdruck zu bringen.

Allerdings ist das Ganze keineswegs in Stein gemeißelt. Rufe sind eine komplizierte Angelegenheit. Auf eine drohende Gefahr reagiert der Vogel selten mit nur einem einzelnen Ruf. Die Art der Reaktion wird bestimmt vom Gefährdungsgrad und auch der Art der Gefährdung. Das ist praktisch für andere Vogelarten, für die die gleiche Art von Gefährdung ebenfalls eine Bedrohung darstellt. Ein Lied ist immer eine Botschaft für Artgenossen, während ein Ruf manchmal auch als eine Art Informationsaustausch zwischen Arten dient.

Rufe werden oftmals wiederholt, manchmal sehr schnell und mit unterschiedlicher Intensität. Die Alarmrufe der Misteldrossel, etwa wenn eine Elster ihrem Nest bedrohlich nahekommt, sind sehr heftig und dramatisch und werden ständig wiederholt, wobei die Intensität zunimmt und schließlich in unbändige Wut gipfelt. Wie das Lied kann auch der Ruf Empathie beim Menschen auslösen, allerdings nicht im Sinne von vermenschlichter, sentimentaler Identifikation mit dem Tier, sondern mehr als atavistisches Mitgefühl mit einem Wesen als Opfer – was Menschen selbst auch erleben.

Vom Klang her ist der Ruf deutlich einfacher als ein Lied, zumindest als die Lieder, die die meisten Sänger erzeugen. Dennoch verbirgt sich hinter dem Ruf eine komplexe Idee. Denn Rufe können viele unterschiedliche Funktionen haben. Sie sind subtil, nuancenreich und variabel.

Unverrückbare Kriterien sind nicht immer sehr hilfreich. Beispiel: Es gibt Momente und Situationen, in denen sich die Kommunikation mittels Ruf mit der mittels Lied überschneidet. Etwa dann, wenn ein Ruf eine komplexe territoriale Funktion erfüllt. Dann gibt es eine Überschneidung, eine Grauzone zwischen Lied und Ruf.

Vögel kommunizieren miteinander. Oft tun sie dies mithilfe eines Liedes, das auch wir Menschen interessant und ansprechend, ja sogar bedeutsam finden. Darüber hinaus kommunizieren sie mittels Rufen, um wichtige Informationen auszutauschen. Wenn wir also dem Gesang von Vögeln lauschen, tun wir dies nicht nur aus ästhetischen Gründen oder aus reinem Spaß an der Freude. Wir stellen uns auch Fragen über das Wesen der Sprache, die Bedeutung von Klängen und Tönen, über Dinge, die uns mit den Tieren um uns herum verbinden, und über den Fortbestand der nichtmenschlichen Welt.

Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen

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