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DAS EIGENE REVIER

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Vögel singen, um ihre Revier zu verteidigen. Das ist sogar einer der Hauptgründe, warum sie singen – was unserem Gefühl von ergreifender Schönheit vielleicht widerspricht. Den Begriff „Revier“ sollten wir jedoch nicht nach menschlichem Verständnis im Sinne von Eigentum begreifen. Ein Revier ist kein Eigentum. Und genauso wenig ist der Vogelgesang gleichzusetzen mit der traditionellen Begrüßungsformel: „Was zum Teufel machst du auf meinem Grundstück?“

Revier ist Leben. Mehr nicht. Es ist ein Bereich, den ein Vogel braucht, um Nachwuchs aufzuziehen, ein Bereich, den er verteidigen will und muss. Bei den meisten bekannten Sängern ist dieses Verteidigungssystem dreistufig. Die erste Stufe ist Gesang. Lässt die Bedrohung nicht nach, folgt die zweite Stufe: Aufplustern. So wie zum Beispiel ein Rotkehlchen seine roten Brustfedern aufplustert. Manche Vögel senken den Kopf und strecken den Schnabel heraus, andere richten ihre Schnäbel nach oben und zeigen ihr Brustgefieder. Die Bedeutung ist klar: „Leg dich nicht mit mir an! Sonst hast du ein Problem.“ Der Sinn von Gesang und Aufplustern besteht also darin, eine Auseinandersetzung zu vermeiden. Und damit wären wir bei der dritten Stufe: der Auseinandersetzung, bei der der Heimvorteil große Bedeutung hat.

Ein Revier ist eine variable Größe. Für viele Seevögel ist der Raum, den sie verteidigen, nur einen Quadratmeter groß – der aktuelle Nistplatz. Kein Vogel beansprucht einen Teil des Ozeans nur für sich. Das wäre auch sinnlos, denn Fischschwärme halten sich niemals an einem festen Platz auf. Ein Waldkauz aber bleibt zeit seines Lebens in seinem Revier, wenn er es einmal gefunden hat.

Zahlreiche Singvögel haben ein saisonales Territorium, das als Brut- und Nahrungsrevier dient. Die Größe eines solchen Reviers wechselt oftmals stark: Ist das Nahrungsangebot groß, begnügen sich die Vögel mit kleineren Revieren, ohne dass es zu wechselseitigen Spannungen oder gar Revierverletzungen kommt. Grasmücken etwa haben nur ein sehr schwach ausgeprägtes Revierverhalten. Sie verteidigen meist nur den Bereich, in dem sie gerade auf Nahrungssuche sind.

Wenn ein Vogel zur Verteidigung seines Reviers singt, dann sollte das Revier so geartet sein, dass seine Stimme auch die äußersten Ränder erreicht und es rundherum ausreichend Artgenossen gibt, gegen die er sein Territorium verteidigt. Rivalen sind immer Artgenossen – unterschiedliche Arten stehen in der Regel nicht in Nahrungskonkurrenz zueinander. Eine Blaumeise hält Ausschau nach kleinen Raupen auf den Enden von Ästen, während Kohlmeisen größere Beutetiere in Stammnähe bevorzugen und Amseln am liebsten am Boden auf Nahrungssuche gehen. Für die Amsel sind andere Amseln das Problem – Meisen, ob Blaumeisen oder Kohlmeisen, interessieren sie nicht im Geringsten.

Singen hilft. Schon der Gesang an sich genügt in der Regel, um das Revier erfolgreich zu schützen. In einem Experiment konnte nachgewiesen werden, dass Artgenossen die Reviergrenzen einer Kohlmeise weiterhin respektierten, obwohl diese nicht mehr dort lebte und das Lied des Männchens aus Lautsprechern kam.

Reviere sind wichtig, um dort Nahrung zu finden, eine Partnerin anzulocken oder zu behalten und um sich vor Räubern zu verstecken. Letzten Endes ist das Ziel für einen Vogel immer, Nachwuchs zu zeugen oder, wie Richard Dawkins es ausdrücken würde1, seine unvergänglichen Gene weiterzureichen.

Bei Revieren geht es jedoch nicht um Angeben oder um Eigentum oder um die Frage, wer das größere hat. Reviere sind wichtig für das Überleben, und somit ist auch das Lied, mit dem der Vogel sein Revier verteidigt, ein Lied des (Über)Lebens. Wir sind Menschen und gehören zur Klasse der Säugetiere; Vögel gehören der Klasse der Vögel an. Wie Vögel reagieren wir Menschen sehr stark auf Geräusche. Hören wir das Lied des Lebens, dann registrieren wir das. Wir reagieren mit unserem Bauch und mit unseren Emotionen auf den Gesang, der die Gemüter der jeweiligen Artgenossen bewegt. Gesang, der bei den männlichen Zuhörern Rivalität, Respekt und auch Furcht auslöst – wenn er denn gut ist. Der Gesang erregt jedoch auch die Gefühle von Weibchen – das aber ebenfalls nur, wenn er gut ist. Wie wir Menschen sind auch Vögel anspruchsvolle Hörer.

1Richard Dawkins: Geschichyten vom Ursprung des Lebens. Eine Zeitreise auf Darwins Spuren, Berlin 2008.


Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen

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