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WIE SICH DER FRÜHLING VERLÄNGERN LÄSST

Haben Sie sich auch schon mal gewünscht, der Frühling möge länger dauern? Oder früher anfangen – Ende Januar etwa? Schön, denn beides tut er. Denn wer Vogelstimmen erkennen lernt, lernt auch, dass die Jahreszeiten einen anderen Rhythmus haben, als wir denken. Der erste Frühlingstag ist nämlich nicht der Tag, an dem man seinen Wintermantel nicht mehr anzieht, sondern schon viel früher.

Frühlingsanfang ist auch nicht dann, wenn die Welt sich plötzlich mit Vogelstimmen füllt. Denn nicht alle Vögel beginnen gleichzeitig zu singen wie ein riesiger freudiger Chor, der ein Lied in b-Moll anstimmt. Es ist eher ein langsames, aber stetiges Tropfen. Erst eine Stimme einer Art, dann die nächste der nächsten Art. Ein Prozess mit diversen Zwischenstopps: Ein schöner Abend bringt vielleicht zwei, drei neue Sänger dazu mitzumachen, aber wehe der nächste Morgen ist kalt und nass, dann steigen sie sofort wieder aus und stellen ihren Gesang ein.

Es ist also kein kontinuierlich dahinfließender Vorgang, aber wenn er einmal im Gang ist, gibt es kein Halten mehr. Auch wenn einige Vögel vorübergehend wieder etwas leiser werden, der Rubikon ist überschritten und die Vertreibung des Winters hat definitiv begonnen. Das ist das Ermutigende an Vogelstimmen: In einer Zeit, in der der Winter auf seinem Höhepunkt zu sein scheint, verkünden sie, dass der Frühling vor der Tür steht.

Wir alle leiden im Winter unter dem Mangel an Sonnenlicht, manche mehr, manche weniger. Winterblues oder Winterdepression gehört zum Menschsein dazu, zumindest zu jenen Menschen, die mit dem Wechsel der Jahreszeiten leben. Das ist auch wichtig, denn sonst würden wir uns nicht mehr über den bevorstehenden Frühling freuen. Schon vor Jahren habe ich angefangen, meine eigene Neigung zur Schwermut in den dunklen Monaten mithilfe der couragiertesten Sänger zu bekämpfen. Schon kurz nach Weihnachten fängt es an, wenn die Tage kaum spürbar, aber dennoch länger werden und die ersten Singvögel anfangen, den baldigen Frühling zu begrüßen.

Im Laufe des Frühlings richten sich immer mehr Standvögel in ihren Revieren ein und fangen an zu singen. Im späteren Frühling kehren auch die Zugvögel, die Sommergäste, zurück. Manche kommen früh, andere, die einen weiteren Weg zurückzulegen haben, lassen sich Zeit. Und dann gibt es noch die Nachzügler, die erst kommen, wenn es schon fast zu spät scheint. So wächst mit der Zeit die Population weiter an, die Artenvielfalt nimmt stetig zu und im Mai erreicht das Crescendo, die Lautstärke der Vogelstimmen, ihren Höhepunkt.

Dabei ist der Frühling nicht ein punktuelles Ereignis. Ich verwende das Wort „Crescendo“ im engeren Sinne: nicht als einen Moment höchster Lautstärke oder Intensität, sondern als ein starkes, ständiges Anwachsen, das bereits nach Weihnachten seinen Anfang nimmt und bis zur ersten Maiwoche, wenn es abzuschwellen beginnt, anhält.

Nach und nach schwillt die Lautstärke des Chors an, bis man von einem gewaltigen Lärm sprechen kann. So wie es im Lied der britischen Folkgruppe Incredible String Band heißt: „But that’s not the story of a single day. It’s the story of the march of spring.“


Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen

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