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DIE SINGDROSSEL

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„Sorglose Verzückung“, das ist es, womit sich die Singdrossel charakterisieren lässt. Jedenfalls kennen viele Briten diesen Ausdruck zu Ehren der Singdrossel und zwar von Robert Browning. „Home Thoughts From Abroad“ heißt sein berühmtes Gedicht, das anfängt mit: „Oh, in England zu sein / Wo der April endlich da ist.“ Browning, mit profundem Vogelwissen ausgestattet, führt uns erst zum Zilpzalp und zur Dorngrasmücke, bevor er uns eröffnet:

That’s the wise thrush; he sings each song twice over

Lest you should think he never could recapture

The first fine careless rapture!

Auf Deutsch sinngemäß etwa:

„Das ist die weise Drossel; sie singt jedes Lied zweimal, / Aus Furcht, du könntest denken, / sie könnte nicht zurückgewinnen / Die erste feine sorglose Verzückung!“

Heute wird der Ausdruck careless rapture im Sinne von One-night stand verwendet, was nicht auf die Drossel zutrifft, die eine dauerhafte Beziehung bevorzugt oder zumindest eine, die einen ganzen Sommer lang währt, einschließlich junge Singdrosseln zu zeugen, auszubrüten und aufzuziehen.

Das Singdrossellied beruht auf Wiederholungen, die der Vogel zweimal, dreimal oder noch öfter singt. Das Männchen wählt eine Strophe und singt diese einige Male nacheinander. Dann folgt eine kurze Pause und anschließend eine andere Strophe. Danach noch eine: Eine ganze Reihe von Wiederholungen, die oft mit einem seltsamen Gezwitscher abschließen, in dem sich häufig raueres, komplexeres und anspruchsvolles Material versteckt. Hören Sie einen Vogel, der unglaublich laut ist und seine Strophen wiederholt, dann wissen Sie, es handelt sich um eine Singdrossel. Wo? In Gärten, Parkanlagen, auf Ackerland, kurz überall, wo es eine gute Mischung aus Bäumen zum Sitzen und offenen Flächen für die Nahrungssuche gibt.


Singdrosseln sind lichtempfindlich und merken, wenn die Tage länger werden. Oft habe ich sie bei Kunstlicht singen hören. Ich erinnere mich, wie ich am Soho Square mitten in London mal eine um eine Uhrzeit habe singen hören, zu der brave Bürger sich schon längst zum Schlafen gelegt haben. Ich bin überzeugt, dass die Nachtigall, die am „Berkeley Square“ sang3, eine Singdrossel war. (Eine Nachtigall war es eher nicht, die meiden Siedlungen und Städte, jedenfalls taten sie das früher – heute hört man sie dort immer häufiger, zum Beispiel in Berlin.)

Wer einer Singdrossel lauscht, wird feststellen, dass sie eine Menge verschiedene Strophen kennt, die wiederholt werden. Es scheint, als ginge ihr es genau darum, zu zeigen, mit wie vielen verschiedenen Strophen sie auftrumpfen kann. Wenn Sie genau hinhören, erkennen Sie auch einige bekannte Töne in den meist sehr musikalischen Strophen. In meiner Nähe gibt es beispielsweise einen Vogel, dessen Gesang sich wie ein rückwärtsfahrender Transporter anhört, was nicht verwunderlich ist, da sich jenseits der Straße ein Truckerparkplatz befindet, wo ständig auch Transporter rückwärts einparken. Beim Rückwärtsfahren erzeugen manche Transporter ein akustisches Warnsignal, welches die Singdrossel in ihr Repertoire aufgenommen hat.

Singdrosseln imitieren auch gern die Lieder und Rufe anderer Vogelarten: Sehr beliebt ist der schrille, alles durchdringende Trillerpfeifenton des Kleibers. Ich höre auch immer wieder Singdrosseln, die den Ruf von Grünspecht, Waldkauz und sogar Rotschenkel verlauten lassen. Das sind keine exakten Nachahmungen: Der Vogel hat einfach ein gutes musikalisches Gedächtnis und baut Klänge, die er hört, in eine eigene musikalische Strophe ein. Er improvisiert, wenn man so will, wie ein Jazzmusiker.

Erstaunlich, denn es handelt sich hier nicht nur um eine vorprogrammierte Reaktion. Descartes sagte, Tiere wären einfach nur Maschinen, wie Uhren, weil sie nicht denken können. Nun, die Singdrossel scheint ein bewusst handelnder Musiker zu sein. Der Vogel verfügt über mehr als nur das angeborene Lied, mit dem er signalisiert: „Das hier ist mein Revier, für Männer verboten, Frauen jederzeit willkommen.“ Im Laufe ihres Lebens übernimmt die Singdrossel Lieder, die sie anschließend bearbeitet und verfeinert, um sie schließlich als eigene Produktion darzubieten: originell und unverkennbar ein Teil des Singdrossel-Genres. Dabei geht es nicht nur um Reiz und Reaktion im Sinne von: Es ist länger hell, also singe ich ein Lied, oder: Du hast gegen mein Knie gehämmert, und es schlägt aus. Nein, es ist eine Art von Komposition, etwas, was nicht nur die Spezies Singdrossel kennzeichnet, sondern das Individualität verkörpert.

3In dem Song „A Nightingale Sang in Berkeley Square“ (Text: Eric Maschwitz, Musik: Manning Sherwin, 1939).

Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen

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