Читать книгу Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen - Simon Barnes - Страница 23
DER BUCHFINK
ОглавлениеBuchfinken haben kein großes Repertoire. Sie mögen zwar über mehr als ein halbes Dutzend verschiedene Lieder verfügen, aber um diese zu unterscheiden, bedarf es eines sehr guten Gehörs. Ihr Trick ist Ausdauer. Sie fangen im zeitigen Frühjahr an zu singen und tun es dann ohne Unterlass. Ihr Lied dauert nur wenige Sekunden. Dann legen sie eine kurze Pause ein und wiederholen es. Und so weiter und so weiter – mehrmals pro Minute, stundenlang. Das Singverhalten des Buchfinken führt unweigerlich zu der Frage: Wann frisst der Vogel? Die Gründung und Verteidigung seines Reviers und die Eroberung eines Weibchens gehen mit enormem Energieaufwand einher, wie Sie selbst feststellen können, wenn Sie versuchen, den ganzen Tag lang aus voller Brust zu singen. Singen ist sehr kräftezehrend, und deshalb kann man es auch im Sinne der Evolution sehen: als Demonstration der Kraft des männlichen Vogels oder anders gesagt als Leistungsversprechen an den Partner. Um den ganzen Tag singen zu können, muss man richtig gut sein. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, und zwar mit skrupelloser Effizienz. Die Natur kennt kein Mitleid.
Das Lied selbst ist ziemlich lustig. Es fängt langsam an, nimmt dann zusehends an Fahrt auf und endet in einem Schnörkel. Verglichen wird es häufig mit dem schnellen Anlauf und Abwurf eines Ballwerfers: eine kurze Vorarbeit für einen entscheidenden Abschluss.4
Buchfinken haben eine beträchtliche Bandbreite an Rufen, von denen einer sich wie „Fink“ anhört. Das stoßen sie aus, während sie über den Dreschboden hüpfen, um in der Spreu nach Samen zu suchen. Ein weiterer Ruf wirkt eher wie die Kurzfassung eines Liedes: ein einsilbiger Ruf mit territorialer Bedeutung. Interessant dabei ist, dass der Ruf ortsgebunden ist. Ist das eine grundsätzliche Sache, die wir verstehen müssen? Oder ist es ein Bestandteil der Buchfinkenkultur? Das dürfen Sie selbst entscheiden.
4Im Deutschen gibt es für das Lied des Buchfinken den etwas bedrohlich wirkenden Merkspruch: „Morgen, morgen, morgen kommt der Gerichtsvollzieherrr …“