Читать книгу Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen - Simon Barnes - Страница 16
VOGELGESANG ALS LEBENSRETTER
ОглавлениеVogelstimmen zu erkennen, kann lebensrettend sein. Ich bin mir sicher, dass dies zumindest früher für unsere Vorfahren galt. Gut möglich, dass die ersten Menschen, die die afrikanischen Savannen durchquerten, ohne das Wissen um Vogelstimmen ausgestorben wären und die heutige Menschheit gar nicht erst entstanden wäre.
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich gerade in dichtem Buschland. Theoretisch käme man gut voran dank der zahlreichen Pfade und Wildwege, denen man folgen kann, wäre da bloß nicht die eingeschränkte Sicht von nur einigen Metern in alle Richtungen. Und dann auf einmal hören Sie einen fauchenden, gackernden Ruf. Sie halten inne, lauschen, ziehen eine Schlussfolgerung und werden entweder der Herkunft des Geräusches nachgehen oder einen großen Bogen um die Stelle machen, von der das Geräusch kam.
Nein, es handelt sich nicht um eine Schar von riesigen, wilden, menschenverspeisenden Vögeln, sondern um Madenhacker, die sich überwiegend von Insekten ernähren. Es sind schwarze Vögel, die Staren ähnlich sehen und auch entfernt mit ihnen verwandt sind. Die Töne, die sie erzeugen, erinnern ebenfalls ein wenig an die Laute von Staren. Sie picken Parasiten von der Haut großer Säugetiere. Das ergäbe ein großartiges Bild von der freundlichen Seite von Mutter Natur, wenn diese Vögel sich nicht auch am Fleisch der offenen Wunden ihrer Wirte gütlich täten. Dem wandernden Menschen muss beim Ruf des Madenhackers auf jeden Fall klar sein, dass sich in seiner Nähe sehr wahrscheinlich ein größeres Säugetier befindet, vielleicht ein Büffel, ein Nashorn oder ein Nilpferd. Kurz: Tiere, die Menschen ohne Weiteres töten können.
Fortgeschrittene in puncto Vogelbestimmung, und man kann wohl getrost annehmen, dass dies auf unsere Vorfahren zutraf, sind in der Lage, die Stimmen von zwei verschiedenen Madenhackern zu unterscheiden: Gelbschnabel-Madenhacker haben einen dünneren Schnabel, den sie in die Haut ihrer Wirtstiere bohren. Die Rotschnabel-Madenhacker tun dies zwar auch, nutzen aber außerdem eine Art Scherentechnik, die sie bei Tieren mit längerem Fell einsetzen, das sie bei ihrer Suche nach köstlichen Parasiten durchkämmen. Somit sind Rotschnabel-Madenhacker eher dazu geeignet, den Hals von Giraffen zu putzen und auch kleinere, zarte Säugetiere wie Impalas von Parasiten zu befreien. Wie bereits erwähnt, gibt es so viele Vogel- wie Lebensarten, und hier sind zwei verschiedene Ernährungsmethoden zu erkennen. Wir Menschen würden dazu womöglich nur einen einzelnen Gedanken entwickeln: dass es Lebewesen gibt, die von Ektoparasiten und dem Fleisch lebender, großer Säugetiere leben. Die Tatsache, dass es zwei Arten gibt, zeigt den Variantenreichtum und die Kraft der Evolution. Zwei Madenhacker-Arten, zwei ökologische Nischen, sehr ähnlich mit grundlegenden Überschneidungen, aber dennoch verschieden.
Das heißt aber nicht, dass man beim Hören eines Rotschnabel-Madenhackers in Sicherheit wäre. Im Gegenteil, denn diese Madenhacker nutzen auch gern mal weniger behaarte Säugetiere als Wirte. Hören Sie aber die Stimmen von Gelbschnabel-Madenhackern, wissen Sie, dass die Wahrscheinlichkeit, einem großen, gefährlichen Säugetier wie Büffel, Nashorn oder Nilpferd zu begegnen, deutlich größer ist. Unsere Vorfahren wussten dies richtig einzuschätzen. Vogelstimmen sind die Klänge des Lebens, die Musik des Lebens und der Sinn des Lebens, sie entscheiden aber auch über Leben und, ja, auch Tod.