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III. Absolute Strafandrohung und die Rechtsfolgenlösung des BGH

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Am 21.06.1977 hatte das BVerfG[11] auf einen Vorlagebeschluss des LG Verden über die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord zu entscheiden. Zu prüfen war, ob die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe für jeden Fall der „heimtückischen Tötung“ und der „Tötung zur Verdeckung einer anderen Straftat“ mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren sei. Das damalige Ergebnis: Die absolut angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe sei nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem Richter von Gesetzes wegen die Möglichkeit offen bleibe, in Härtefällen auf eine zeitige Freiheitsstrafe zu erkennen. Dass auch in Grenzfällen keine unverhältnismäßig hohe Strafe verhängt werden müsse, könne zum Beispiel durch eine restriktive Interpretation der betreffenden Mordmerkmale sichergestellt werden. Welchen Weg man rechtlich beschreite, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen, bleibe der Entscheidung des BGH überlassen.

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Mit Beschluss vom 19.05.1981 hat sich der Große Senat für Strafsachen des BGH[12] hinsichtlich exzeptioneller Konstellationen in Heimtückefällen für die sog. Rechtsfolgenlösung entschieden. Liegen außergewöhnliche Umstände vor, die das Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern, tritt auf der Rechtsfolgenseite des Mordes an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Zu der Frage, in welchen Fällen solche außergewöhnlichen Umstände anzunehmen sind, hat der Große Senat für Strafsachen des BGH ausgeführt: „Eine abschließende Definition oder Aufzählung der in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB führenden außergewöhnlichen Umstände ist nicht möglich. Durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motivierte, in großer Verzweiflung begangene, aus tiefem Mitleid oder aus ‚gerechtem Zorn‘ aufgrund einer schweren Provokation verübte Taten können solche Umstände aufweisen, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben.“

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Diesem Grundgedanken folgend, hat der BGH in der Folgezeit mehrfach solche Strafrahmenverschiebungen im Heimtücke-Bereich bestätigt, sofern die Tat den Stempel des Außergewöhnlichen trug[13], so etwa beim Heimtückemord durch die Ehefrau, die vom Ehemann schwer misshandelt worden war und die sich in einer ausweglos erscheinenden Situation befand[14] sowie beim Heimtückemord am gewalttätigen und körperlich überlegenen Erpresser[15].

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Hingegen hat der BGH bei einem Habgiermord eine Strafrahmenverschiebung abgelehnt[16]. Ob bei dem täterbezogenen Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ überhaupt eine Strafrahmenverschiebung in Betracht kommen kann, hat der BGH im Fall eines NS-Täters offen gelassen, bei dem sich die „Außergewöhnlichkeit“ des Sachverhalts aus der Zeitspanne von 60 Jahren ergeben hat, die zwischen den Mordtaten und deren Aburteilung verstrichen war. Jedenfalls für NS-Morde hat der BGH eine Absenkung des Strafrahmens ausgeschlossen[17].

Teil 3 Grundzüge des materiellen KapitalstrafrechtsA › IV. Urteil und Vollstreckungsdauer

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren

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