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Die Nilstadt Alexanders des Großen
ОглавлениеNur wenige Städte sind, wie der englische Autor E. M. Forster schrieb, »auf eine so großartige Weise wie Alexandria in die Geschichte eingetreten«. Und nur wenige Städte haben eine großartigere und chaotischere Geschichte und eine unsicherere Vergangenheit.11
Es war Alexander der Große, der den Ort nicht weit vom westlichen Auslauf des Nils gründete, dicht an den Gestaden des Mittelmeers gelegen. Für das soeben eroberte Land brauchte er eine Hauptstadt. 331 v. Chr. befahl er, dafür einen bereits vorhandenen kleinen Fischereihafen auszubauen. Alexandria in Ägypten war die einzige der mindestens 17 von Alexander gegründeten und nach ihm selbst benannten Städte, die nicht zu einer sprichwörtlichen Eintagsfliege in der Geschichte der Urbanisierung wurde. Ihr Erfolg gründete sich auf der Funktion des Flusses als Verkehrsader und der idealen Lage. Die berücksichtigte nämlich nicht nur die vorhandenen Handelsmuster, sondern auch die Prozesse der Natur, insbesondere die Hydrologie des Nils und die Topografie des Deltas. Statt im Delta selbst, wurde die Stadt etwas westlich davon angelegt. So verhinderte man, dass der vom Fluss mitgebrachte Schlamm den Hafen verlanden ließ, zudem lag gleich südlich der Stadt ein versumpfter Binnensee.
Der Kanal, den der junge makedonische Heerführer bauen ließ, ermöglichte es Alexandria, mehrere Jahrhunderte lang das wichtigste Handelszentrum in der sich nun entwickelnden mediterranen Ökonomie zu bleiben. Die Stadt wurde mit zwei leistungsfähigen und geschützten Häfen versehen, die den Handel mit Waren aller Art über zwei unterschiedliche Wassersysteme verbanden. Der eine Hafen war für den Transport von Produkten der ägyptischen Landwirtschaft über den Nil angelegt. Der andere war den neuen, seetüchtigen Schiffen des Mittelmeers angepasst. Die Stadt wurde zu einem Umschlaghafen für Waren aus allen Weltgegenden, die für Ägypten bestimmt waren, und für ägyptische Produkte, die in den Export gehen sollten. Die damalige Mittelmeermetropole wurde bald als schöne Stadt mit angenehmem Klima bekannt. Sie zog viele Griechen und Römer an, da Ägypten ein Teil des hellenischen Kulturraums und später des Römischen Reichs war. Alexander der Große – Plutarch zufolge maß er gerade mal zwischen 1,60 und 1,65 Meter – hinterließ eine Stadt, die vielleicht als erste als wirkliche Metropole bezeichnet werden konnte.
Je erfolgreicher die Stadt Handel betrieb, desto mehr brauchte sie ein Symbol für ihren wachsenden Wohlstand – und ein effektiveres Instrument, um die Schiffe durch die der Küste vorgelagerten Kalksteinriffe zu leiten. Ptolemaios I., der nach Alexanders Tod die makedonische ptolemäische Dynastie gründete, erteilte deshalb im Jahre 209 v. Chr. den Befehl, auf der in der Bucht vor der Stadt gelegenen Insel Pharos einen Leuchtturm zu errichten. Als der Bau 20 Jahre darauf vollendet war, besaß Alexandria nicht nur den ersten Leuchtturm, sondern auch das damals höchste Gebäude der Welt. Der Turm war mehr als 120 Meter hoch. Seine Bedeutung zeigt sich auch darin, dass pharos in den romanischen Sprachen zur Wurzel für das jeweilige Wort für Leuchtturm wurde. Wenn man heute von der Corniche auf das osmanische Fort hinüberblickt, das dort steht, wo einst der Leuchtturm aufragte – ob man nun auf einem Balkon des kolonialen Cecil House Hotels mit phänomenalem Blick aufs Meer steht oder seine Beine von der Mauer baumeln lässt, die sich die Promenade entlangzieht, zusammen mit den Tausenden von Einwohnern der Stadt, die dort quasi ständig sitzen – man kann sich leicht vorstellen, wie stolz der Turm zu Pharos, der als eines der sieben Weltwunder galt, sich einst den Besuchern zeigte.
Unter den Ptolemäern wurde die Stadt zum Zentrum für Handel, Wissenschaft und Gelehrsamkeit der gesamten hellenistischen Welt. Sie war ein kosmopolitischer Schmelztiegel, wo griechisches Denken, die Religionen des alten Ostens und neue mystische Kultbewegungen einander beeinflussten. Im Unterschied zu Athen, wo die Kunst dominierte, spielte in Alexandria die Wissenschaft eine herausragende Rolle. Anatomie, Geografie, Astronomie und Mathematik machten hier einen großen Sprung nach vorn.
Die Bibliothek der Stadt lockte die bedeutendsten griechischen Mathematiker, Ingenieure, Physiker, Architekten und Geografen in die Stadt. Kluge Köpfe zeichneten und diskutierten einige der ersten Weltkarten. Wenn es einen Ort gibt, der die Bezeichnung Zentrum der Gelehrsamkeit verdient hat, dann ist das Alexandria zu jener Zeit. Die Bibliothek baute ihre Position aus, indem sie Alexandrias Rolle als Handelsknotenpunkt nutzte. Die herrschende Dynastie ließ alle Schiffe durchsuchen – nach Büchern. Wenn eines gefunden wurde, musste es der Bibliothek ausgehändigt werden. Dort wurde es kopiert; die Bibliothek behielt das Original. Solche Bücher wurden in einem besonderen Katalog aufgeführt und mit dem Stichwort »von den Schiffen« versehen. Es wurde so umfassend nach Büchern gefahndet, dass irgendwann Fälscher auf den Plan traten und ihre selbst verfassten Werke beispielsweise als Buch von Aristoteles ausgaben. Angeblich verfügte die Bibliothek über mehr als 700 000 Schriftstücke und enthielt »alles Wissen der Welt«. Inzwischen gehen Historiker davon aus, dass diese Behauptungen wohl übertrieben waren. Es kann aber keine Zweifel daran geben, dass Alexandria nicht nur für das Nildelta, sondern für die ganze Welt den Sitz der Gelehrsamkeit darstellte.
Die wirtschaftliche Voraussetzung für die Stadt, vor etwa 2000 Jahren zum Zentrum der Wissenschaft aufzusteigen, war der Umfang des Handels, und die Voraussetzung für diesen blühenden Handel war, dass Alexandria dort angelegt wurde, wo der Nil und die Welt am effektivsten miteinander verbunden waren. Als sich später aus hydrologischen und politischen Gründen die Verbindung zum Nilsystem änderte, die notwendigen und umfassenden Wartungsarbeiten der Kanäle zwischen Stadt und Delta vernachlässigt und die Schiffe zu groß wurden, um die Kanäle zu passieren, verfiel Alexandria und mit ihm die Bibliothek.
Die Bedeutung des Nils für Alexandria hat sich also ebenso geändert wie die Stadt selbst. Nur wenig erinnert an das kosmopolitische Alexandria zu den Glanzzeiten der Bibliothek. Hier, an den Gestaden des Mittelmeers, in einer Stadt, in der seinerzeit der Nilkult dominierte, wo der moderne Fluss jedoch zu einer von Menschenhand geschaffenen Bedrohung geworden ist, halte ich meinen Vortrag über die Ideengeschichte des Wassers, in dem ich unter anderem über die Bedeutung Alexandrias und des Nils für die Anfänge der Philosophie spreche.