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Der Islam erobert das Nildelta
Оглавление»In der zeitgenössischen abendländischen Geschichtsschreibung gilt allgemein die Auffassung, die Religionskriege zwischen Christentum und Islam hätten mit den Kreuzrittern und Richard Löwenherz begonnen. Aber dabei wird vollkommen übersehen, dass das christliche Ägypten 500 Jahre zuvor vom Islam zerschmettert wurde. Wir waren zuerst hier.« Der koptische Geistliche, der im Bahnhof mit mir sprechen will, sieht mich durch seine dicken Brillengläser an. Während er sich durch den langen schwarzen Bart fährt und ich schon um eine Präzisierung bitten will, fügt er hinzu: »Man könnte meinen, der Krieger Saladdin habe in diesen politisch korrekten abendländischen Erzählungen die Feder geführt.«
Die islamische Eroberung Ägyptens hatte viele Folgen, nicht zuletzt für Alexandria und die Herrschaft über den Nil. Kalif Omar und sein Heer eroberten das Delta und Alexandria im Jahr 642 und schlugen das Heer des Byzantinischen Reichs, das noch immer im Delta regierte. Allerdings war das Interesse der Kaiser in Konstantinopel an Ägypten viel geringer gewesen als das der Herrscher Roms. Der arabische Heerführer schilderte die von seinen Soldaten eingenommene Stadt so: »4000 Paläste, 4000 Bäder, 400 Theater, 1200 Gemüsehändler und 40 000 Juden.« Alexandria war noch immer eine der wichtigsten Handelsstädte am Mittelmeer, doch die Unzufriedenheit mit der byzantinischen Regierung war groß, und Vertreter der dominierenden koptischen Gemeinden hießen im 7. Jahrhundert die neuen arabisch-islamischen Herrscher willkommen.21 Sie konnten ja nicht ahnen, welche Folgen diese Entscheidung für ihre Position haben würde.
Macht und Stellung des Christentums hatten sich in den Jahrhunderten vor der arabischen Invasion geändert. Der römische Kaiser Diokletian – die Ruinen seines gewaltigen Altersruhesitzes prägen noch heute die kroatische Stadt Split – war zum Frontalangriff gegen die Christen in Ägypten übergegangen. Die Kopten hatten darunter so sehr zu leiden, dass sie ihre eigene Zeitrechnung mit den damaligen Verfolgungen beginnen lassen. Kaiser Theodosius dagegen erhob Ende des 4. Jahrhunderts das Christentum zur Staatsreligion. Zugleich jedoch entstand zwischen der koptischen Kirche in Ägypten und der Kirche in Byzanz ein religiös-dogmatisches Schisma. In Byzanz als dem von Kaiser Konstantin gegründeten neuen Hauptsitz der Kirche verringerte sich das Interesse an Ägypten. Während die Provinz einst ein Drittel des im Römischen Reichs verzehrten Weizens produziert hatte, spielte das Delta für Ostrom eine viel geringere Rolle. Die arabischen Eroberer stießen deshalb auf geringen Widerstand, als sie im 7. Jahrhundert das Delta hinaufzogen.
Für die Ausbreitung der arabisch-islamischen Zivilisation sollte die Kontrolle über Ägypten und das Nildelta entscheidend sein. Das Delta war eine hervorragende Ausgangsbasis für weitere Eroberungen nach Westen in Richtung auf den Maghreb, die iberische Halbinsel und später Frankreich. Hier lernten die Eroberer, in trockenen Gegenden künstliche Bewässerung und neue Nutzpflanzen einzuführen, und das war eine der Voraussetzungen für ihren Erfolg in Südwesteuropa. Das Nildelta blieb eine Kornkammer, jetzt jedoch für die arabischen Kernlande im Osten. Eine der ersten Handlungen der neuen Herrscher bestand darin, die Hauptstadt das Niltal hoch nach Fustat zu verlegen, etwas nördlich davon, wo heute Kairo liegt.
Da Ägypten nun dem islamischen Kalifat unterworfen war, das seinen Hauptsitz zuerst in Damaskus und später in Bagdad hatte, war die Verwaltung des Landes aus kulturellen, historischen und machtpolitischen Überlegungen eher nach Arabien und zum Nahen Osten hin ausgerichtet statt nach Europa und auf das Mittelmeer. 706 wurde dies durch die Erhebung des Arabischen zur Amtssprache bekräftigt. Indem die Hauptstadt stromauf verlegt wurde, schufen die Eroberer zudem eine Pufferzone gegen mögliche Angriffe vom Meer her. Byzantinische Invasionstruppen mochten auf See noch immer die Übermacht besitzen, so die militärstrategischen Gedankengänge, aber nicht in den Kanälen des Deltas. Mit Alexandria ging es nun für lange Zeit bergab, wozu auch die Vernachlässigung der Wasserstraßen zwischen Nil und der Stadt beitrug.
Einer im Westen populären Erzählung zufolge wurde die berühmte Bibliothek von Alexandria auf Befehl des Kalifen Omar von dessen Soldaten zerstört. Der arabische Befehlshaber soll laut dieser Version angeordnet haben, die Bücher an die 4000 Bäder der Stadt zu verteilen und zum Aufheizen des Wassers zu verwenden. Die Bäder waren danach angeblich sechs Monate lang heiß. Die erste abendländische Fassung dieser Geschichte stammt aus dem Jahr 1663 und steht in der Übersetzung von Edward Peacocke in der History of the Dynasties. Diese Darstellung jedoch wurde bereits 1713 von dem französischen Kleriker und Orientalisten Eusèbe Renaudot als antiislamische Propaganda entlarvt. Seitdem sind viele Forscher zum selben Schluss gelangt, darunter Bernard Lewis, ein Experte für den Nahen Osten, der von vielen als starker Kritiker des Islam betrachtet wird. Omar und seine Soldaten müssten ein für allemal von dieser Anklage freigesprochen werden, sie lasse sich einfach nicht mit Beweisen untermauern. Alle verfügbaren Indizien weisen stattdessen darauf hin, dass andere Faktoren für die Zerstörung der Bibliothek verantwortlich waren – angefangen von Julius Cäsars Kriegsführung, der Teile der Bibliothek zum Opfer fielen, über die Einstellung einflussreicher Christen, die Gelehrsamkeit als kulturelle und religiöse Bedrohung betrachteten, bis hin zur Vernachlässigung Alexandrias nach der Eroberung durch die Araber – die das Interesse an dieser Stadt am Mittelmeer und den Kanälen verloren, die die Stadt mit dem Nil verbunden hatten.