Читать книгу Das Blut der Auserwählten - Thomas Binder - Страница 49
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ОглавлениеKurts Schultern schmerzten vom harten Griff seines zukünftigen Vollstreckers und die Tränen der Angst brannten fürchterlich in seinen Augen. Vernebelten ihm die Sicht. Er wollte noch nicht sterben. Nicht hier, nicht so, nicht jetzt.
Es dämmerte bereits, als sie einen schrecklich dunklen, verlassenen Parkplatz irgendeines Provinz-Supermarktes erreichten, der bereits vor zwei Stunden seine letzten Besucher für heute gesehen hatte. Kurt war zwar noch ein kleiner Junge, doch konnte er sich nur allzu lebhaft vorstellen, was gleich auf ihn zukommen würde. Er war zwar nicht der Hellste, doch er war nicht bescheuert. Er zitterte. Aber nicht, weil er fror.
Clavier stieß Kurt in eine Ecke, die in eine Einfahrt für Lieferanten mündete. Kurt schrie panisch auf, mehr vor Furcht als vor Schmerzen. Clavier lachte laut. Hier würde sie niemand hören. Das triumphierende Lachen erinnerte Kurt irgendwie an seinen besessenen Bruder.
Da passierte das Verrückteste und Unwahrscheinlichste, dass Kurt sich in diesem Moment hätte vorstellen können. Stimmen wurden im geschlossenen Lagerraum am Ende der Lieferanteneinfahrt laut und das Schiebetor öffnete sich quietschend.
Heraus traten mehrere Figuren, die scheinbar besondere Überstunden machten. „Was zur Hölle schreit ihr Arschlöcher hier herum? Wir haben hier etwas zu tun und wollen nicht gestört werden. Du, mit dem schwulen Schnurrbart! Nimm' deine Kröte von Sohn und hau' gefälligst ab!“, meldete sich der potenzielle Anführer der Gruppe zu Wort. Kurt dachte, es wäre um ihn geschehen gewesen. Da meinte Clavier wohl, er müsse den unerschrockenen Helden spielen und erwiderte abwechselnd zahlreiche englische und französische Schimpfwörter, die den Überstunden-Figuren wohl nicht gefielen.
Nun, diese Typen waren in Wahrheit Drogendealer, die sich wohl in ihrem Geschäft gestört fühlten und cholerische Gangstertypen lassen sich nun mal nicht gerne von einem einzelnen, schlaksigen (und sogar noch ausländischem!) Typen drein reden oder gar beschimpfen.
Kurz gesagt: Clavier endete nicht nur mit einer verletzten Hand und einem blauem Fleck am Schienbein, sondern mit mehreren, unschönen Knochenbrüchen im nächst gelegenen Müllcontainer und bald darauf im Krankenhaus.
Kurt war während dieses kurzen Zwiegesprächs unbemerkt an beiden Parteien vorbei geschlichen und nach wenigen Minuten des Wartens im Schatten des Gebäudes nach Hause getrottet, zur Hälfte von seinem Glück geschockt, zur Hälfte von dem Schicksal des Franzosen auf sadistische Weise amüsiert. Rache war ein wunderbares Gefühl, vor allem, weil er selbst nichts hatte dafür tun müssen. Seine Mutter hatte bereits die Polizei informiert und war kurz vorm Nervenzusammenbruch, doch klärte sich mit Kurts Heimkehr schnell alles auf.
Drei Tage später sah er im Fernsehen einen Bericht über seinen Beinahe-Mörder, doch weder sein Name, noch die Absicht des Mannes wurden erwähnt, nur dass – laut Zeugenaussagen - ein paar rüpelhafte Jugendliche den armen Ausländer ausgeraubt, die rechte Hand verstümmelt und einige Knochen gebrochen hatten. Es würde noch nach ihnen gefahndet, aber bis jetzt lägen keine Hinweise vor. Der Verletzte sei auch noch nicht ansprechbar. Von Kurt und Claviers Absichten war nicht die Rede gewesen.
Der Franzose würde, sobald er wieder genesen war, in sein Heimatland zurück kehren und wohl, nach eigener Aussage, nie mehr wieder nach „Scheiß-Amerika“ kommen. Er hatte Kurt schon längst vergessen und war nun viel mehr mit seinen schmerzenden Gliedmaßen beschäftigt.