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Kapitel 14 Die Party - München
Оглавление„Möchte noch jemand ein Ei“?
Kim´s Stimme drang aus der Kombüse in den Salon.
Sie saßen am Frühstückstisch und genossen die aufgetischten Köstlichkeiten. Es gab frische Früchte, warme Croissants, Wurst- u. Käse, Räucherlachs, Säfte, Kaffee, Tee, Joghurt und vieles, vieles mehr.
Jenny konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal, in solch unkomplizierter Runde, so lecker gefrühstückt hatte. Normalerweise beschränkte sich ihr Start in den Tag auf eine Scheibe Brot mit Butter und Marmelade, sowie einer Tasse schwarzem Kaffee, die sie, während sie sich anzog und schminkte, im Stehen zu sich nahm.
In ihrem Haus am Ammersee hätte sie die besten Voraussetzungen dafür gehabt, ein gemütliches, entspanntes Frühstück zu genießen, jedoch hatte sie sich, nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund, Florian, in eine Art Arbeitswahn gestürzt, der ihr zwar über den Trennungsschmerz hinweg half, sie jedoch gleichzeitig aller Annehmlichkeiten, die sie einmal gehabt hatte, beraubte.
Sie traf sich nicht mehr mit Freunden, ging nicht mehr zu ihrem Lieblingsitaliener, arbeitete absichtlich bis spät in die Nacht, um zu Hause direkt ins Bett zu fallen und einzuschlafen.
Alles andere hatte sie zunächst ständig an Florian erinnert und diese Gedanken musste sie unbedingt verdrängen.
Sie hatten fast zehn Jahre zusammen verbracht.
Als sie sich kennengelernt hatten, war Jennifer gerade kurz davor gewesen, ihren Master in Photographic Studies, an der Universität in München abzuschließen.
Florian Schneider, der drei Jahre älter war als sie, hatte mit seinen damals sechsundzwanzig Jahren bereits seinen Abschluss in Jura in der Tasche, und arbeitete in einer renommierten Anwaltskanzlei in Augsburg.
Er war groß, schlank und gut erzogen. Bereits damals hatte er lichtes Haar und alles deutete darauf hin, dass die sich abzeichnende helle Stelle an seinem Hinterkopf, mit den Jahren eher noch größer werden würde. Aber das war für Jenny kein Grund gewesen die Beziehung nicht einzugehen. Im Gegenteil. Sie war es leid, auf jeder Party, beim Einkaufen im Supermarkt, beim Essen in der Mensa, ja sogar beim Joggen im Englischen Garten, von Fremden angebaggert zu werden, so als hätte sie ein Schild umhängen, auf dem „Ich bin zu haben“ stand.
Florian war das Gegenteil all dieser Typen.
Er war ein einfacher, ehrlicher junger Mann, der weder besonders hübsch, noch hässlich war und dennoch mit beiden Beinen im Leben stand. Er hatte Verstand und lachte gern. Für Jenny wichtige Eigenschaften, denn ihr lag viel daran, mit ihrem Partner, sowohl über Ereignisse des Weltgeschehens zu diskutieren, als auch über dessen Frisur, morgens nach dem Aufstehen, lachen zu können.
Sie hatten sich durch einen dummen Zufall auf einer Party, direkt am Isarufer im Englischen Garten, kennengelernt.
Jenny wusste nicht einmal wer die Party ausgerichtet hatte. Sie war einfach mit ein paar Studienkolleginnen hingegangen.
Im Laufe des Abends hatte sie bereits zwei Becher Bowle getrunken und fühlte sich wohl und entspannt. Die riesige Bowleschüssel stand auf einem Biertisch neben ihnen und strapazierte diesen auf´s Äußerste. Jenny hatte die Stabilität des Tragwerks bereits bei ihrer Ankunft in Frage gestellt, war aber von den anderen nur belächelt worden.
Als hätte sie es prophezeit, geschah das Unausweichliche genau in dem Moment, als Florian, mit der Absicht seinen Becher nachzufüllen an den Tisch getreten war. Es passierte alles ganz schnell und später konnte keiner mehr sagen was der Auslöser gewesen war, jedenfalls hatte die Tischplatte unter der viel zu großen Last nachgegeben und war gebrochen.
Mit lautem Knall zerbarst sie, und die randvoll gefüllte Schüssel neigte sich zur Seite und schwappte über. Jenny war reflexartig zurückgewichen, hatte jedoch das Gleichgewicht verloren und war nach hinten gefallen, direkt in seine Arme, während er noch versucht hatte die Schüssel aufzufangen.
Nun hatte er, statt der Bowleschüssel, Jennifer in den Armen. Während die beiden, fast in Zeitlupe, begleitet von lautem Geschrei der daneben Stehenden, zu Boden gingen, ergoss sich der gesamte Inhalt der Schüssel über ihnen.
Erst, als sie mit verdrehten Gliedmaßen am Boden lagen, realisierte Jennifer, was passiert war. Auf ihren Beinen lag die Schüssel. Wie ein Schwamm sog sich ihre Kleidung in Sekundenschnelle voll, und transportierte Bowle an alle Stellen ihres Körpers.
Caro war die Erste, die zu Hilfe kam und nachfragte ob alles ok sei.
Jennifer versuchte gerade, sich irgendwie abzustützen, um nicht mit vollem Gewicht auf dem Jungen zu liegen, als ihr schwindelte. Der Alkohol machte sich bemerkbar. Sie hatte ihre Augen im Affekt geschlossen, und als sie nun versuchte diese zu öffnen, brannten sie wie Feuer. Ihre Versuche, den Schmerz durch reiben zu lindern, verschlimmerten das Ganze nur.
Hilflos sprach sie in die Dunkelheit:
„Kann mir jemand ein Taschentuch geben, bitte. Ich kann die Augen nicht öffnen. Mir ist die ganze Brühe reingelaufen“.
„Geh´ runter von mir und ich helfe dir“.
Jennifer erschrak, als ihr klar wurde, dass sie auf dem fremden Jungen lag. Blind schob sie ihren Körper zur Seite.
„Danke“.
„Geh runter zur Isar und wasch dir die Augen aus“.
Seine Stimme klang angenehm.
„Hast du dich verletzt“?
„Nein, ich glaube nicht, aber ich hab den ganzen Alkohol in die Augen bekommen und kann sie nicht öffnen. Das brennt höllisch“.
Eigentlich wollte sie nicht weinerlich klingen, aber in diesem Moment konnte sie nicht anders.
„Warte, ich helfe dir auf, dann gehen wir gemeinsam zum Fluss“.
Er hatte etwas sehr erwachsenes in seiner Stimme.
Sie merkte, wie jemand die große Schüssel beiseite räumte, ihre Hand ergriff und ihr aufhalf.
„Bist du ok“?
Er war es, der sie bei der Hand nahm und zum Flußufer führte, wo er sie stützte, während sie ihre Schuhe auszog. Gemeinsam schritten sie in das kühle Wasser, wo sie sich die Augen ausrieb. Alles roch nach Alkohol. Florian bückte sich ebenfalls um sein Gesicht und seine Hände zu waschen. Als er die Augen öffnete und Jenny ansah, begann er zu lachen.
„Was“, fragte sie irritiert.
„Du hast ´nen Orangenschnitz im Haar. Steht dir gut“. Er beugte sich vor, nahm das Fruchtstück aus ihrer zerzausten Mähne und hielt es ihr vors Gesicht.
Zum ersten Mal sahen sie einander in die Augen und mussten gleichzeitig lachen.
„Ich bin Jennifer“. Sie hielt ihm ihre Hand hin.
„Florian. Hey, nett dich so kennenzulernen“. Er schmiss den Orangenschnitz in die Dunkelheit und schüttelte ihre Hand.
Sie lachten erneut.
„Tja, ich denke, für mich ist der Abend gelaufen. Ich bin komplett durchtränkt und stinke wie ´ne Haubitze“.
„Da hätten wir also schon Mal was gemeinsam“, antwortete Jenny.
Es entstand eine kurze Pause, in der keiner der beiden etwas sagte.
„Tut mir leid“, sagte sie dann leise.
„Was meinst du“?
„Dass ich auf dich gefallen bin“.
„Hey, du hast deine Strafe doch schon bekommen“. Das sagte er etwas hämisch.
Sie gab ihm einen Hieb gegen den Oberarm und lachte, und ohne darüber nachzudenken sagte sie:
„Weißt du was? Ich wohne gleich da drüben, ...sind gerade mal zehn Minuten Fußmarsch. Wenn du möchtest, gehen wir in meine Wohnung und schmeißen deine Klamotten in die Waschmaschine, während ich mir was Frisches anziehe. Was hältst du davon“?
Jenny hatte damals in einer kleineren Wohnung, in der Nähe des Englischen Gartens gewohnt. Es war nur eine Zwei-Zimmerwohnung, aber für eine Studentin in München war dies bereits sehr viel. Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern wäre das nicht möglich gewesen. Sie war sich dessen bewusst und dankte es ihnen, indem sie ihrem Vater regelmäßig in seinem Architekturbüro am Ammersee half.
„Ist das dein Ernst“, fragte Florian nun.
„Klar, warum nicht? Ich gehe davon aus, dass du das alles nicht inszeniert hast, um mich dazu zu bringen, dich zu mir nach Hause einzuladen“.
Lachend antwortete er:
„Naja, ich vermute, der Versuch so etwas zu planen, wäre ganz schön in die Hose gegangen“.
Jenny schmunzelte.
Sie fühlte, wie ihre Jeans und ihr T-Shirt an ihr klebten und begann an sich herumzuzupfen, während sie die Nase rümpfte.
„Also, ich geh jetzt. Du kannst ja bleiben, wenn du dich wohl fühlst“.
Sie watete bereits zurück zum Ufer, wo noch ihre Schuhe lagen.
Florian folgte ihr.
„Nein, ich komme gerne mit. Ich muss nur noch meinem Kumpel Bescheid geben. Wartest du kurz“?
„Ich komm einfach mit, wenn das ok für dich ist, und wir gehen dann direkt weiter“.
Jenny war völlig relaxed. Bei jedem anderen Mann hätte sie vermutlich alles Mögliche überlegt und gemutmaßt. Nicht so bei Florian. Er machte einen total ehrlichen, ja geradezu vertrauensvollen Eindruck auf sie. Er würde nie auf die Idee kommen, eine Situation wie diese schamlos auszunutzen.
So hatte sie ihn vom ersten Moment an eingeschätzt.
Gemeinsam liefen sie die Uferböschung hinauf. Im Vorbeigehen gab Jenny Caro ein Zeichen, dass sie nach Hause wollte, doch diese war bereits wieder ins Gespräch mit den Jungs vertieft.
Überall hatten sich Grüppchen gebildet die im Gras saßen, herumstanden oder tanzten. Zwischenzeitlich waren mehrere Lagerfeuer entfacht worden, und Jennifer sah viele Szenen, die sie gerne fotografiert hätte. Das Licht des Feuers erleuchtete die sich bewegenden Körper auf eine skurrile Art. Flammen tanzten, Funken sprühten, die Glut flimmerte und Rauch stieg auf, was die Gesichter und Körper der jungen Leute auf mystische Art verzerrte, und Jennifer hatte in Sekundenschnelle die Momente erkannt, in welchen sie auf den Auslöser hätte drücken müssen. Woher sie diese Gabe hatte, wusste sie nicht. Vermutlich aber, hatte ihr Vater ihr das genauere Hinsehen vererbt.