Читать книгу WENN DER HIMMEL SICH VERFÄRBT... - Thomas Saile - Страница 6
Kapitel 1 Covas d`en Xoroi - Menorca
ОглавлениеDas Brautpaar stand in einer Höhle, etwa achtzig Meter über der Wasseroberfläche, inmitten der senkrecht abfallenden Felswand. Im Hintergrund ließ sich die Sonne mit gelassener Routine auf den nassen Horizont nieder und verfärbte den Übergang zwischen Himmel und Meer in tiefste Orange-, Rot- und Violetttöne. Es war das perfekte Ambiente. Wunderbare 26° C, ein laues Lüftchen und ein frisch vermähltes, junges Paar, im Kreise ihrer engsten Freunde.
Inmitten dieser Runde befand sich Jennifer mit Ihrer Canon EOS im Anschlag. Sie kniete am Boden und gab noch rasche Order an ihre Assistentin Sabine, die mit einem großen, runden Reflektor versuchte, das letzte warme Licht des Tages in die Gesichter des Brautpaares zu lenken.
Jennifer Kaufmann war fünfunddreißig Jahre alt, 1,75 m groß und trug ihr schulterlanges blondes Haar offen. Ihr Blick für das Schöne spiegelte ihre eigene Erscheinung wieder.
Der Moment war gekommen.
„Und smile“, animierte Jennifer, während sie auf den Auslöser drückte, und gleich eine Dreierserie schoss.
Klick, klick, klick.
„Blick zu mir! Beide! Genau so.“
Die Sonne berührte das Wasser, und je tiefer sie eintauchte, desto intensiver wurden die Farben. Jennifer wechselte ihre Position und forderte nun alle Gäste auf, sich um das Brautpaar zu scharen. Währenddessen fokussierte sie jeden Einzelnen und machte die Close-ups. Diese würde sie später im Album verwenden.
Klick, klick, klick.
Sabine schaffte es intuitiv, mit einem Auge Jennifer´s Kamera zu folgen und gleichzeitig mit dem anderen, ihren Reflektor auf die jeweiligen Hauptakteure auszurichten.
Jennifer nickte ihr anerkennend zu.
Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen, als das Brautpaar ihrem Wunsch nachgekommen war, Sabine als Assistentin mitzunehmen. Der Gedanke, als fünftes Rad am Wagen, an Bord einer Segeljacht, irgendwo zwischen Europa und Afrika in einer Kajüte zu sitzen, während die Honeymooner an Deck in der Abendsonne tanzten, hatte ihr nicht so sehr zugesagt. Nun hatte sie wenigstens jemanden mit dem sie sich austauschen konnte.
Sabine war gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt. Sie war etwas kleiner als Jennifer, hatte eine sportliche Figur, braunes, hüftlanges Haar und haselnußbraune Augen.
Erst vor einem halben Jahr hatte sie ihren Bachelor in Fotodesign an der Hochschule für Design in München gemacht.
Als sie sich bei Jennifer beworben hatte, waren sich die beiden sofort sympathisch gewesen und Sabine erhielt eine Anstellung auf Probe.
Sie befanden sich in einer der Covas, am Eingang zur Cala En Porter, an der Südküste Menorcas, einer malerischen Bucht, beidseitig gesäumt von Klippen, die in einem weißen Sandstrand endete.
Vom Strand aus führte eine kurvige Straße, vorbei an Souveniershops, Bars und Supermercados, hinauf, zu den mit flachen Bungalows bebauten Klippen und den Covas d´en Xoroi, den hoch über dem Meer gelegenen Höhlen.
Unten in der Bucht lag die Seadream, eine knapp achtzig Fuß große Segeljacht, die dort zwischen weiteren Segelschiffen und Motorbooten ankerte und seit dem Morgen darauf wartete, das Brautpaar samt Trauzeugen und Fotografen, an Bord und auf Kurs Richtung Mallorca zu nehmen.
Jennifer und Sabine waren am Morgen auf dem Flughafen von Menorca gelandet und von einem Taxi nach Cala En Porter gebracht worden.
Es war das erste Mal, dass Jennifer für einen Auftrag solchen Ausmaßes angeheuert worden war.
Sie hatte ihr Fotostudio in München nun schon seit zehn Jahren, und sich mittlerweile einen Namen in der Welt der Reichen und Schönen erarbeitet. Modenschauen namhafter Designer in Paris und Mailand, sowie Covershoots bekannter Magazine, zählten zu ihrem Tagesgeschäft.
Dieser Auftrag jedoch war anders. Dieses Mal war sie für die Hochzeit, sowie für drei bis vier Wochen Begleitung der Flitterer gebucht worden. Alle Kosten wurden vom Brautpaar übernommen und sie bekam ein Tagessalair von eintausend Euro.
Die Sonne war nun halb im Meer versunken und tauchte alles in feuriges Rot. Nach und nach liefen weitere Yachten und Motorboote die Bucht an, um dort für die Nacht zu ankern.
Der dunkle Fels auf dem sie standen, verfärbte sich rotbraun, während sich die Nacht aus der anderen Richtung kommend, ihren Weg durch das tiefe Blau des Himmels bahnte.
Die Gäste formierten sich ein letztes Mal für das Grande Finale, den Moment, in dem die Sonne gerade hinter dem Horizont abtauchte und gleichzeitig ihre hellen Strahlen fächerförmig in den herannahenden Nachthimmel warf.
Diesen Moment perfekt einzufangen, mit großer Blende und nicht zu langer Belichtungszeit, sodass die Objekte scharf waren, das Licht und die Farben dennoch voll zur Geltung kamen, war die große Kunst.
Jennifer beherrschte diese Kunst, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht.