Читать книгу Handbuch Medizinrecht - Thomas Vollmöller - Страница 156

aa) Einführung in das Thema

Оглавление

185

§§ 27 und 28 MBO (a.F.) bildeten auch nach den vom 103. Deutschen Ärztetag beschlossenen Änderungen – gemeinsam mit den Regelungen in Kap. D Nr. 1–5 – eines der Kernstücke der ärztlichen Berufsordnung. Historisch betrachtet zählte das ärztliche Werbeverbot bzw. das Verbot öffentlicher Anpreisung zu den ärztlichen Grundpflichten schlechthin.[173] Dies ist die Rückschau. Im Lichte der Wandlungen, die die Norm im Verlauf der Jahre bis hin zu den Änderungsbeschlüssen des 105. Deutschen Ärztetages 2002 in Rostock genommen hat und die neuere Rechtsprechung des BVerfG[174] muss alles das, was früher zum ärztlichen Werbeverbot geschrieben worden ist, einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Dies gilt für Literatur wie Urteile gleichermaßen. Bei älteren Entscheidungen wird man daher immer überlegen müssen, ob sie im Lichte der neuen Rechtslage in gleicher Weise gefällt worden wären. Die Vorschriften in Kapitel D I Nr. 1 bis 5 wurden ersatzlos gestrichen. Das Verbot des anpreisenden Verhaltens bleibt. Insofern hat sich an der Zielsetzung der Vorschrift nichts geändert. Schließlich wurde § 28 MBO, der die Voraussetzungen zur Eintragung in Verzeichnisse regelte, durch den 114. Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel ersatzlos gestrichen. Zum einen sah man den Regelungszweck durch § 27 MBO ausreichend gesichert; zum anderen trug man der gegenüber § 28 MBO (a.F.) zum Teil kritischen Rechtsprechung Rechnung.[175] Im Übrigen sollte man sich aber auch vor Überinterpretationen in Acht nehmen. Diejenigen, die bereits „vom Ende des Werbeverbots“ sprechen, übersehen, dass das BVerfG nie Zweifel befördert hat, verkammerte Berufe dürften derartigen Beschränkungen nicht unterliegen.[176] Entscheidend ist, und dies kommt in der neueren Rechtsprechung des BVerfG noch deutlicher als früher zum Vorschein, dass jedwede Einschränkung an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist und daher nur Bestand haben kann, wenn wichtige Gemeinwohlbelange geschützt werden sollen. Bloße berufsständische Zielvorstellungen, wie das Bild des Berufsangehörigen aussehen solle, rechtfertigen derartige Einschränkungen regelmäßig nicht.[177]

186

Neben der arztzentrierten Sicht erfährt die Problematik durch die stärkere Gewichtung des Informationsanspruchs des (potentiellen) Patienten eine gegenüber früher offenere Wertung. Die Auswahl der „richtigen“ Praxis/des „richtigen“ Krankenhauses soll für den Patienten transparenter als früher sein. Mit anderen Worten ist die Frage der Werbefreiheit für Ärzte nicht nur eine Frage verbesserter Darstellungsmöglichkeiten im Wettbewerb, sondern auch eine Frage des Verbraucherschutzes im weiteren Sinne.

187

Diese Grundüberlegung ist wichtig. Lässt man sie außer Acht, läuft man Gefahr, Werbung nur einseitig unter Selbstdarstellungsaspekten zu bewerten, während das, was eigentlich befördert werden soll, nämlich die zutreffende Information, an Gewicht verliert[178]. Dann würde aber genau das Gegenteil dessen erreicht, was man mit der Teilnahme des Arztes an der Informationsgesellschaft eigentlich bezwecken will. Denn der Arzt hat vor dem Patienten, jedenfalls normalerweise, einen enormen Informationsvorsprung. Nutzt er diesen Informationsanspruch in einer Art und Weise aus, dass er überzeichnend die eigene Person oder das eigene Handeln in den Augen des Patienten so positioniert, dass diesem jede vernünftige Abwägung abgeschnitten und er zu einer Entscheidung verleitet wird, die er bei vernünftiger Abwägung nicht getroffen hätte, ist die Grenze zur unerwünschten Anpreisung überschritten. Kleine-Cosack[179] ist allerdings zuzustimmen, dass es rechtlich nicht darauf ankommen kann, ob etwas „unerwünscht“ ist, sondern nur darauf, ob die Handlung erlaubt oder zu Recht (beruhend auf einer gesetzlichen Norm) untersagt ist. Ob man so weit gehen will, deshalb auch „anpreisendes“ Verhalten nur mehr an den Normen des HWG oder UWG zu messen, scheint hingegen zweifelhaft.

188

Mag diese Grenze nämlich in manchen Wirtschaftsbereichen längst nicht mehr zu erkennen sein, spielt sie im Gesundheitswesen nach wie vor und zu Recht eine wichtige Rolle. Einschränkung in der Arzneimittelwerbung, Tabakwerbung und Vorschriften zum Jugendschutz etc. sind weitgehend konsentiert, ohne dass man ernsthaft mit Art. 12 oder 14 GG argumentieren würde. Der Patient ist eben nicht nur „Kunde“ und schon gar nicht „auf Augenhöhe“ mit der Anbieterseite, sondern in den allermeisten Fällen Ratsuchender, oftmals krank und hilfebedürftig und damit keineswegs immer „souveräner“ Entscheider. Längst sind Fehlentwicklungen aufgrund eines falsch verstandenen „Freiheitsbegriffs“ mit Händen zu greifen (Werbung für Schönheitsoperationen bis hin zu obskuren Heilmethoden). Der Gesetzgeber sah sich im Rahmen der 14. AMG-Novelle vom 29.8.2005 zur Handlung gezwungen[180]. Eines wird aber auch deutlich: Wenn in manchen Kreisen immer mehr werbliche Aktivitäten Raum greifen, kann ein Zwang für andere entstehen, ebenfalls zu werben. Längst machen daher Aufwendungen für Werbung in nicht wenigen Praxen einen nicht unerheblichen Kostenblock aus. Das ärztliche „Werbeverbot“ ist seit Jahren Geschichte. Das Abendland ist deshalb nicht untergegangen. Wer aber meint, es gebe jetzt geradezu eine Pflicht zur Werbung und dazu auch noch Bürgerrechte bemüht, hat etwas Grundlegendes missverstanden. Eine „freie“ Bürgergesellschaft lebt von Verantwortung. Jedwede „Beliebigkeit“ ist kein Ausdruck von Freiheit, sondern führt nicht selten zu deren Erosion. Letztlich, wenn auch rechtlich natürlich nicht ausschlaggebend, bleibt es dabei: Ein Wesenszug der Freien Berufe ist ihre hohe Professionalität und ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Eine Förderung anpreisender Fehlvorstellungen auf dem Rücken der Patienten ist das letzte, was das Deutsche Gesundheitswesen benötigt. Dies nützt weder den Patienten und zumindest mittelfristig am wenigsten den Ärzten.

Handbuch Medizinrecht

Подняться наверх