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ff) Kollegialität

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§ 29 MBO wurde in seinen früheren Fassungen oft als „Mauschelparagraph“ bezeichnet bzw. „der Krähentheorie“ zugerechnet.[322] Mittlerweile dürfte sich jedoch herumgesprochen haben, dass diese Krähentheorie sich immer mehr in ihr Gegenteil verwandelt, d.h. eine Krähe der anderen nicht nur eines, sondern beide Augen aushackt. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass die standesrechtliche Kollegialitätspflicht nicht nur den einzelnen Arzt und den Patienten, sondern auch die Wahrung des Ansehens des gesamten Berufsstandes im Interesse einer wirksamen Gesundheitsvorsorge zum Gegenstand hat. Allerdings ist die Vorschrift insgesamt unausgewogen und vermengt standesrechtliche Regelungsabsichten mit arbeits- und beamtenrechtlichen Regelungen.

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Wissenschaftliche Auseinandersetzungen können schon per definitionem nicht Gegenstand eines Kollegialitätsverstoßes sein.[323] Das Gleiche gilt auch dann, wenn der Arzt sich in der Öffentlichkeit an der Diskussion allgemeinpolitischer Themen beteiligt, auch wenn sie einen Bezug zum Gesundheitswesen aufweisen.[324] Eine Einschränkung der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit ist nur zum Schutze übergeordneter Interessen des Gemeinwohls zulässig; das Kollegialitätsgebot darf daher in einem demokratischen Rechtsstaat freiheitlicher Prägung nicht als „Maulkorb“ missbraucht werden.[325]

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Die Grenze zu unkollegialem Verhalten ist aber dort überschritten, wo ein Arzt die Behandlungsweise eines anderen Kollegen ohne sachlichen Grund abfällig beurteilt und gleichzeitig seine eigene Behandlungsmethode quasi anpreisend hervorhebt. Das Berufsrecht geht dabei über die zivilrechtlichen Grundsätze zu Widerrufs- und Unterlassungsansprüchen ehrverletzender Äußerungen hinaus. Nach der Rechtsprechung[326] besteht ein Anspruch auf Widerruf bzw. Unterlassung ehrverletzender Äußerungen dann nicht, wenn diese Behauptungen im engen Familienkreis oder im Anwaltsgespräch bzw. im Arzt-Patienten-Verhältnis gefallen ist. Würden sie in diesem engen Vertrauensverhältnis fallen, bestehe kein berechtigtes Interesse daran, Wahrheit oder Unwahrheit in einem Gerichtsverfahren klären zu lassen. Allerdings sind derartige Äußerungen nur in diesen besonders geschützten Vertrauensverhältnissen privilegiert. Fallen sie außerhalb, d.h. im Kreis von Klinikmitarbeitern, kommt es nicht darauf an, ob sie in „kleinem“ oder „großem“ Kreis gefallen sind. Beschuldigungen unter vier Augen oder in einem kleinen Kreis sachlich Interessierter können u.U. nachhaltiger beeinträchtigen als öffentliche Kritik, von der der Betroffene schneller Kenntnis erlangt und ihr deshalb auch eher entgegentreten kann.[327] Im Übrigen sollte man nicht vergessen, dass manch unbedacht geäußerter Vorwurf Anlass zu Behandlungsfehlerprozessen gibt, die zwar letztlich ohne befriedigendes Ergebnis für den Patienten enden, alle Beteiligten aber unnötig belasten.

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Bei der Information darüber, dass die bisherige Gemeinschaftspraxis aufgelöst ist und künftig getrennte Praxen geführt werden, müssen Werbung für die eigene Praxis und kritische Bemerkungen über die Praxis des bisherigen Partners vermieden werden.[328] Demgegenüber befand das LG München I,[329] einem Arzt dürfe nicht verwehrt werden, seine in laufender Behandlung befindlichen Patienten auf seine neue Praxis hinzuweisen, damit dort ggf. die Behandlung fortgesetzt werden könne. Der Patient habe sogar einen durchsetzbaren Informationsanspruch, der durch ein Wettbewerbsverbot nicht eingeschränkt werden dürfe. Für eine Mandantenschutzklausel bei Zahlung einer Abfindung hat der BGH im Falle einer Rechtsanwaltskanzlei den gegenteiligen Standpunkt vertreten.[330]

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Für Ärztekammern tätige Ärzte verlieren den Anspruch auf Kollegialität und gegenseitige Respektierung nicht durch ihre Funktionärstätigkeit.[331] Allerdings kann je nach berufspolitischer Situation ein etwas anderer Maßstab angelegt werden.[332] Im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist dem Arzt unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen eine auch zum Teil deutliche Sprache zuzubilligen. Der Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG umfasst auch polemische Äußerungen gegen Mitglieder der Kammerorgane, wenn sie in einem aktuellen berufspolitischen Streit fallen und von der Aussage her das Maß möglicher Kritik nicht überschreiten. Das Standesrecht darf nicht zur Disziplinierung unliebsamer Kritiker herhalten.[333]

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