Читать книгу Samenspender Nr. 9.713 und andere Erzählungen - Thomas W. Jefferson - Страница 4

1)Samenspender Nr. 9.713

Оглавление

Sie weiß genau, wie ihr Traummann aussieht: Er ist schlank, hat schwarze Haare, Brombeeraugen und fährt Motorrad. Mit sechzehn oder siebzehn hat sie sein Bild zum ersten Mal vor ihrem geistigen Auge gesehen. Seitdem ist es nie mehr aus ihren Träumen verschwunden. Bei Arztbesuchen, im Flugzeug oder während der langen Autofahrten mit dem Bürgermeister braucht sie nur die Lider zu schließen, damit ein Kurzfilm in ihr abzulaufen beginnt, der nie aufhört, sie zu erregen. Im Lauf der Jahrzehnte hat ihr Traummann sich gewandelt, ist wie sie älter, reifer und erfahrener geworden. Sein Motorrad ist moderner geworden (am Anfang war es eine 50er), der Hintergrund ihrer Fantasie hat sich an die Orte und Landschaften, die sie nach und nach gesehen und bereist hat, angepaßt, aber die Geschichte in ihrem Kopfkino ist immer dieselbe geblieben.

Alles beginnt in einem Altstadtcafé, irgendwo in Heidelberg, München oder Tübingen, wo sie gelebt und studiert hat: Da sitzt sie mit ihren Freundinnen, alle erfolgreich, studiert und intelligent wie sie, beim Brunch. Drei Tische weiter sitzt diese Männerrunde, aber keine fetten, alten Säcke mit langen Haaren und gelben Zähnen, sondern große, schlanke Männer mit Knackärschen und engen Ledermonturen, die reden, lachen und herumalbern und mit ihren chromblitzenden Maschinen sportlich, erfolgreich und sexy wirken. Seit einiger Zeit schon hört sie ihren Freundinnen nur noch halb zu, weil einer der Typen sie unverwandt anlächelt. Jetzt hebt er sein Glas, prostet ihr zu, deutet auf die Motorräder, zeigt auf sich, zeigt auf sie, zieht die Brauen hoch, lacht sie an. Die Frauen an ihrem Tisch bemerken jetzt, was da passiert, und fragen sie, belustigt und verblüfft zugleich, ob sie den Mann an dem Tisch da drüben kenne. Da stehen ihre Beine wie von alleine auf und vollkommen selbstverständlich folgt sie dem Mann zu den Motorrädern. Um die Pfiffe, Schreie und Rufe hinter ihr kümmert sie sich gar nicht. Ohne zu fragen, klettert sie in Rock und Blazer hinten auf das Motorrad, das mit einem dunklen Dröhnen anspringt.

Jetzt beginnt eine wilde Fahrt über Kopfsteinpflaster und durch winkelige Altstadtgassen, die irgendwo sein könnten: in Saint-Tropez oder Marburg, in Siena oder Prag. An Marktständen, Caféhaustischen und auseinanderspritzenden Passanten vorbei geht es auf steilen Wegen aus der Stadt hinaus auf eine Landstraße, die unter einem Sommerhimmel Felder und Wiesen durchschneidet. Noch nie in ihrem Leben ist sie so schnell gefahren. Der Fahrtwind reißt an ihrem Haar. Enger und enger schmiegt sie sich an den Rücken des Mannes vor ihr. Minuten nur dauert es, bis sie eine Straße erreichen, die, in engen Serpentinen der Küstenlinie eines azurblauen Meeres folgend, auf der einen Seite jäh zum Wasser hin abfällt, während sie auf der anderen himmelwärts wieder ansteigt. Viele Motorräder sind nun unterwegs, aber ihr Fahrer überholt sie alle. Andauernd hört sie die Kupplung schnalzen, vernimmt sie das Klack-klack-klack, wenn ihr Pilot durch die Gänge schaltet, spürt sie das sirrende Hochdrehen des Motors, wenn sie aus den Kurven herausbeschleunigen und die Maschine einen Satz nach vorne macht. Noch nie in ihrem Leben hat sie sich so frei und glücklich gefühlt. Sie jubelt, juchzt und schreit in den Wind hinein wie ein übermütiges Mädchen.

Sie verlassen die Küste und streben Bergen und Wäldern, Tälern und Matten zu. Die Luft wird kühler und es riecht nach Moos und Tannennadeln. Seen glitzern zwischen Schneeresten. Unten im Tal liegt eine Stadt, die so aussieht wie das Colorado Springs, das sie einmal mit einer Delegation des Deutschen Städtetags besucht hat. Mitten in der Stadt halten sie vor einem Lokal, setzen sich an die lange Bar, hören die Dixie Chicks, bestellen Cocktails. Und obwohl sie hier noch nie gewesen ist, unterhält sie sich mit dem Barmixer, geben ihr ständig neue Leute Küßchen hier, Küßchen da, gehört sie dazu, redet sie mit, steht im Mittelpunkt, fühlt sie sich so irrsinnig wohl wie noch nie. Bevor die Steaks kommen, muß sie noch schnell aufs Klo. Da flüstert ihr der Motoradfahrer was ins Ohr, sie lacht auf, haut ihm auf die Schulter und geht Hand in Hand mit ihm in Richtung Toiletten.

Im Little Girls‘ Room drückt er sie gegen die Fliesen, küßt sie auf den Mund, hat eine Hand an ihrem Busen und zwei Finger in ihrer Möse, während sie anfängt, an seinem Hosenknopf zu nesteln. Obwohl sie ständig Leute raus- und reingehen hört und der Geruch von Duftsteinen und Reinigungsmitteln ihr widerlich in die Nase steigt, beugt sie sich weit nach vorne, hält sich am Toilettendeckel fest und dreht ihm den Hintern zu.

Samenspender Nr. 9.713 und andere Erzählungen

Подняться наверх