Читать книгу Samenspender Nr. 9.713 und andere Erzählungen - Thomas W. Jefferson - Страница 7

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Die Idee mit der Samenbank hat eine befreiende Wirkung auf Britta. Sie kommt sich vor wie eine zu unrecht Eingesperrte, die nach Jahren im Gefängnis plötzlich freigesprochen und entlassen wird. Die Durchfälle, ihre Panikattacken, wenn sie schwangere Frauen sieht, die Migräneanfälle: alles ist auf einen Schlag weg.

Allein das Stöbern im Internet macht unglaublichen Spaß. Die Auswahl ist riesengroß: Es gibt Dutzende Samenbanken mit hunderttausenden von Spendern, aber die Boston Cryobank hat es ihr ganz besonders angetan. Die braunen Farben, das goldene Wappen mit der lateinischen Inschrift, diese typischen Neuengland-Gebäude mit den roten Backsteinen und dem spitzen weißen Glockenturm, die alten Bäume, der Efeu, der an den Hauswänden hinaufklettert – all das strahlt Geschichte und Seriosität aus. Und da ist noch etwas: Die Boston Cryobank ist die Samenbank mit mehr Nobelpreisträgern, Hochschulprofessoren, Mathematikern und weltbekannten Künstlern und Top-Managern unter ihren Premium-Spendern als jede andere auf der Welt.

Sie klickt sich durch zahllose Profile, bis sie an der Nr. 9.713 hängenbleibt. Sie hat sofort den Eindruck: das ist er. Wieder und wieder liest sie den Fragebogen, den der Unbekannte ausgefüllt hat:

Südländischer Typ, dunkle Augen, schwarze Haare, sehr groß, schlank. Blutgruppe: A Positiv.

Quantenphysiker, promoviert, Schachspieler.

Katholisch erzogen, heute: Agnostiker, naturwissenschaftliches Weltbild.

Sport: Langlauf, Schwimmen, Volleyball, Fahrradfahren; Triathlet.

Englisch als Muttersprache, fließend in Deutsch. Hat mal da gelebt. Mag Rucksacktouren in den Bergen, ist gerne am Strand.

Freundlich, abenteuerlustig. Gern mal nach Neuseeland oder Australien. Oder wieder nach Österreich, wegen der Alpen. Guter Zuhörer.

Hobbys: Computer, Eisklettern und Motorräder.

Lieblingsbücher: „Der Fänger im Roggen“, „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten.“

Mögen Sie Tiere: Ja, Delphine.

Essen: Pfirsicheis, Schokolade, italienisches Essen und das vom Chinesen. Lieblingsfarbe: Blaugrün.

Fast noch besser als dieser Fragebogen gefällt Britta ein Bild des Spenders als Kind. Dieses Bild ist ein großes Farbfoto, auf dem ein Weihnachtsbaum zu sehen ist und ein Junge, der vor einem Berg von Geschenken steht und in den Blitz der Kamera strahlt. Das durchgesessene Sofa, ein Nierentisch auf Spinnenbeinen und eine abgewetzte Couch machen zwar einen ärmlichen Eindruck, aber das Gesicht des hübschen Jungen, sein von Herzen kommendes Lachen, seine schwarzen Haare und seine feinen Gesichtszüge wiegen all das mehr als auf. An den Rand des Fotos hat irgend jemand mit krakeliger Druckschrift geschrieben: Remember, you never had it so good. Hinter dem Samenspender, halbverdeckt vom Christbaum und ziemlich unscharf, ist eine zweite Person zu erkennen, ein dicker, großer Jugendlicher mit roten Haaren, Sommersprossen und einem schiefen Gesicht, auf das ein blauer Pfeil zeigt: Ron, best of friends.

Bert mag weder das Bild noch den Fragebogen.

„Warum denn ein Quantenphysiker?“

„Weil die doch so intelligent sind.“

„Du hast doch in deinem Leben noch nie was mit Quantenphysik zu tun gehabt. Du weißt doch gar nicht, was das ist.“

„Er könnte ein Nobelpreisträger sein oder ein Harvard-Professor, das ist da ganz in der Nähe.“

„Mit der Wohnzimmereinrichtung?“

„Da war er doch noch ein Kind.“

Samenspender Nr. 9.713 und andere Erzählungen

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