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Kapitel 7

Ein schöner Juli-Tag, dachte ich, als ich meine Arme auf der Fensterbank abgestützt parkte und aus dem Küchenfenster in Pauls Erdgeschosswohnung starrte. Kein Mensch zu sehen, um diese Uhrzeit. Etwa hundert Meter entfernt sah ich eine Ecke des klapprigen LKW, der mich gestern hierher verfrachtete. Noch immer nicht in sich zusammengefallen, stellte ich schmunzelnd fest. Wie viele Jahre mehr als ich mochte der wohl auf dem Buckel haben. Ich fühlte eine eigenartige, eine sentimentale Verbindung zu dem Gefährt in mir aufkommen. Trotz morgendlichem Sonneneinfalls stellte ich schnell finstere Parallelen zwischen uns her. Der Lack war ab. Schon etwas klapprig und ins Alter gekommen. Aufs Abstellgleis geschoben und ausrangiert. Seinen Dienst getan und nun nicht mehr gebraucht. Ich kannte nicht das weitere Schicksal der alten Mühle da draußen, ich kannte nicht einmal mein eigenes für die nächste Zeit. Nach dem gestrigen Vorfall mit der Kleinen fiel es mir gerade schwer genug, darauf zu hoffen, dass ich hier eine gute Zeit haben könnte. Es ist nur ein Kind, ein dummes Kind, dachte ich. Ist das Kind wirklich dumm oder ist es nicht vielmehr besonders aufgeweckt? Ich würde es erfahren. Vor allem würde ich schnellstens etwas richtigstellen müssen, bevor sich dieses schlimme Gerücht durchs Haus trüge.

Dann klingelte es Sturm an der Tür. Mein Herz raste. Paul war nicht da. Wer könnte denn wissen, dass jemand in der Wohnung war, dass ich hier war? Wer war das? Oh, mein Gott. Die Polizei? So schnell. Verdammt. Diese kleine, miese Kröte, dachte ich, ärgerlich und verängstigt zugleich. Wie schaffte es ein kleines Kind mit einer dusseligen Aussage, dass ich, der noch nie körperliche Gewalt angewandt hatte, in kürzester Zeit in mir zusammenbrach und törichte Panikattacken aufkommen ließ? Was war los mit meinem bis dahin stabilen Nervenkostüm? Lag es noch in meiner eigenen Wohnung und wartete, dass ich es mir überzog? Ein aggressives Klingeln an der Tür mischte sich in meine Tagträumerei und ich war wie erstarrt. Ich spürte, wie mein altes Leben sich aus mir schälte und mich mit der neuen Situation alleinzulassen gedachte. Die Schatten meiner Vergangenheit holten mich ein. Ich war jetzt ein gesuchter Verbrecher und als ein solcher würde ich die Tür nicht aufmachen. Mit hektischen Blicken suchte ich nach geeigneten Fluchtmöglichkeiten, ohne mich auch nur einen Millimeter zu rühren, während der Sturm an der Türklingel bedrohlich zunahm. Als ich den Lärm nicht länger ertrug, schleppte ich mich resignierend zur Tür, um mich meiner drohenden Festnahme zu stellen.

„Aufmachen, sofort. Bin ich Polizei“, rief eine tiefe Stimme hinter der Tür, noch bevor ich diese öffnen konnte. Das Klingeln war donnernden Kanonenschlägen zweier Fäuste gewichen, die im wechselnden Rhythmus die Tür malträtierten. Meine Knie schlotterten, dennoch öffnete ich wagemutig die Tür.

„Haha, bin ich nicht Polizei. Kannst du ja sehen jetzt. Habe ich gewusst, dass du noch aufmachst. Irgendwann, haha. Wusste ich.“

Vor mir stand die vollendete, südländische Version 2.0 eines Meister Proper und grinste mich herausfordernd an. Ein Kerl, stämmig wie eine Eiche, mit luftiger Frisur wie sie einst Kojak trug. Ein dichter, nach oben gezwirbelter Schnäuzer und buschige Theo-Weigel-Gedächtnis-Augenbrauen zierten sein dennoch freundliches Gesicht. Halsabwärts bis zu den Unterschenkeln nichts als feste Muskeln unter glattrasierter Haut, so wie Schwarzenegger zu seinen besten Zeiten. Er freute sich wie ein kleines Kind und offenbarte eine sprachliche Note aus dem frühen Neandertal. Passend zu der Epoche auch das fehlende Schuhwerk. Der enthaarte Gorilla vor mir war barfuß. Offenbar, so meine vage Hoffnung, musste er sich in der Adresse geirrt haben und wenn nicht, dann wenigstens im Jahrhundert. Eine Keule schwang er zu meiner Beruhigung glücklicherweise nicht, er schien unbewaffnet.

„S’witzich?“, fragte er mich höchst belustigt. Das seltsame Lispeln passte so gar nicht ins Bild. Skeptisch und nach wie vor eingeschüchtert sah ich ihn fragend an. Ich versuchte, ihn durch permanentes Schweigen, dazu zu bewegen, die Lust zu verlieren und entweder wieder zu verschwinden oder mir den Sinn seiner Frage zu verdeutlichen.

„S’witzich? Oder nicht so? Musst du sagen jetzt. Vertrage ich Wahrheit.“

Ob er schwitzte, und wenn ja, wo genau, vermochte ich nicht zu sagen. Weder konnte ich ihm unter die Achseln schauen, was mich sehr erleichterte, noch hätte ich einen möglichen Schweißfilm hoch oben auf dem Zenit seiner Glatze entdecken können. Auch seine nackten Füße hinterließen keine nennenswerteren Spuren, als er zaghafte Anstalten unternahm, mich durch Näherkommen rückwärts in die Wohnung zu bugsieren, um Einlass zu bekommen. In dem Moment spürte ich, wie meine eigenen Drüsen ihre Arbeit im Akkord aufnahmen. Es kam einem Wunder gleich, dass sie ihr Sekret nicht fontänenartig aus meinen Poren direkt in die Augen meines Gegenübers schossen.

„Nein, nein, also, nein. Ich glaube nicht. Nein. Sie schwitzen nicht. Keineswegs. Ich würde sagen, Sie sind komplett schweißfrei. Fast schon staubtrocken. War es das jetzt, oder kann ich Ihnen noch anderweitig behilflich sein?“, fragte ich ihn todesmutig, während ich der Tür einen seichten Schub zu geben versuchte, was aber am quergestellten Fuß meines Besuchers scheiterte. Der war sichtlich irritiert, als er versuchte, meine Worte zu sortieren.

„Hahaha. Herr Bertram. Machst du dich witzig über mich. Das ist gut. Finde ich das gut, Herr Bertram. Wollte ich wissen, ob du witzig findest, dass ich Polizei bin, als ich habe geklopft. Habe ich dich voll verspackt. Habe ich, oder?“

Entspackt. Er meinte entspackt. Woher kannte er das Wort? Das war mein Wort, das hatte ich erfunden. Dass er es falsch abwandelte, änderte nichts daran, dass er meine ungeschützte Marke verletzte. Hatte denn ein Copyright gar keinen Stellenwert dort, wo dieses Ungetüm herstammte, oder etwa auch dort nur, wenn man es anmeldete? Immerhin kannte er den Namen seines Urhebers, was nicht unbedingt dazu beitrug, dass ich mich großartig entspannte. Woher aber kannte dieser riesige Klumpen Mensch meinen Namen? Wer war das und was wollte der von mir?

„Entspackt. Es heißt entspackt“, korrigierte ich ihn. Wenn mir eines heilig war, dann das. „Da ich aber kein Spacken bin, kann man mich nicht entspacken. Spacken werden entspackt. Ist logisch, oder? Verstehen Sie? Und na ja, das mit der Polizei fand ich so mittelwitzig. Eigentlich nicht sehr.“

„Stimmt. War ich schon witziger. Habe ich gesehen in Polizeifilm, gestern. Musste ich ausprobieren gleich. Tut mir leid. Wollte ich sehen, wie sich anfühlt, wenn ich verspacke jemand. Gefällt mir, das Wort, ist jetzt mein Wort. Ist, glaube ich, gutes Wort. Habe ich geklaut von kleiner Nakita. Hat mir erzählt, dass Herr Bertram bei Paul eingezogen ist. Und so Sachen.“

So Sachen. So langsam drängte sich mir ein Verdacht auf, mit wem ich es hier zu tun haben könnte. Den schrecklichen Verdacht dagegen, welche Sachen Nakita dem vor mir stehenden Bären aufgebunden haben könnte, ließ ich aber lieber schnell wieder fallen.

„Oh, du weißt eigentlich, wer bin ich? Hab ich mich noch gar nicht vorgestellt. Bin ich manchmal Banause“, fiel es Ergün urplötzlich auf. Gleichzeitig verfiel er in donnerndes Gelächter und streckte mir seine fleischige Hand entgegen.

„Ergün?“, wagte ich mich vorsichtig vor und schlug ein.

„Kann das sein? Sind Sie Ergün … Moment, ich komme gleich drauf“, mutmaßte ich weiterhin zögerlich, doch sein blöder Nachname wollte mir so ad hoc nicht einfallen. Doch, jetzt.

„Ergün Wildschwein?“, versuchte ich unsicher den Namen zu erinnern, den mir Paul gestern genannt hatte, und wusste unverzüglich, dass ich damit einen Fehler begangen hatte. Den vermutlich letzten Fehler meines Lebens. Dass mein Erinnerungsvermögen altersschwach oder lebensmüde zu sein schien, war dummerweise das eine. Schlimmer war aber, dass es den Unsinn, den es erinnerte, auch noch an mein lädiertes Sprachzentrum weitergab, ohne den Inhalt einer vorherigen Kontrolle zu unterziehen. Raus war raus, nun musste ich abwarten. Würde Ergün doch noch seine Keulen holen gehen, um mich zu erschlagen, oder machte er mich an Ort und Stelle durch bloßes Handauflegen zu Mus.

ausgeSPACKT!

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