Читать книгу ausgeSPACKT! - Thorsten Haker - Страница 13
ОглавлениеKapitel 8
„Wildschwein?“, fragte er überrascht und seine Augen wurden groß und größer.
„Nein, das habe ich nicht gesagt!“, beteuerte ich unter Einsatz beider Hände, die reflexartig meine Brust zu schützen versuchten.
„Ich sagte …, was sagte ich? Weiß ich nicht. Auf gar keinen Fall aber sagte ich Wildschwein. Nein. Wildschwein habe ich im ganzen Leben noch nicht gesagt.“
„Hast du Wildschwein gesagt, Herr Bertram, habe ich das genau gehört.“
„Ich habe sicherlich etwas gesagt, das sich anhört wie Wildschwein.“
Verdammt, wenn mir doch nur sein richtiger Name einfiele.
„Ich glaube, ja, jetzt weiß ich es wieder. Ich sagte: Ergün, willste rein? Ja, das sagte ich. Jetzt weiß ich es wieder. Puh. Vielleicht habe ich genuschelt. Also, Ergün, ich sag einfach du, ja? Willste rein?“
Ich flehte ihn an, mir meinen kläglichen Versuch, mein Leben zu erhalten, abzukaufen, und trat noch einen kleinen symbolischen Schritt zurück in die Wohnung.
„Hast du Wildschwein gesagt. Habe ich gehört. Hat mich noch nie ein Mensch Wildschwein genannt. Bist du erster Mensch in Leben, der zu Ergün Wildschwein sagt“, beteuerte Ergün und verlor augenblicklich jeden Ansatz von Freundlichkeit aus seinem Antlitz.
„Herr Bertram. Musst du glauben, will ich das nicht tun. Bin ich normalerweise sehr freundlich. Hast du gesehen? Habe ich gelächelt die ganze Zeit. So, guckst du, so ich habe geguckt“, sagte Ergün und setzte sein schönstes Zahnpasta-Lächeln auf, „habe ich dir die Hand gegeben, war ich höflich. Und dann du kommst und sagst mir Wildschwein?“
Mit jedem seiner Worte trieb Ergün meinen Rückwärtsgang weiter sanft voran, bis er die Tür hinter sich schloss. Keine Zeugen. Ich verstand sofort. Ich hörte ja schon davon, dass Menschen mit Ergüns Herkunft einer gewissen Sensibilität unterlagen, durch die man schnell aus einer Mücke einen Elefanten zu machen vermochte. Leider waren mir keine Berichte geläufig, ob es nahtoderfahrene Überlebende gab, die zuvor einen ihnen fremden Türken als Wildschwein bezeichnet hatten.
„Weiß ich nicht, was ich soll machen mit dir, Herr Bertram. Ist schwierig für mich, was machen Wildschweine in Fall wie dieses?“, fragte er mich und tatsächlich schien er ein wenig ratlos. Eine Chance, die sich mir nicht zweimal bieten würde.
„Wildschweine sind ja sehr freundliche Tiere. Sie sind außergewöhnlich umgänglich im Wesen, liebenswürdig auch, ja, sehr liebenswürdig sogar, und verständnisvoll. Und gut aussehend. Es sind hübsche Tiere und stark. Ich mag Wildschweine. Wildschweine sollen ja zu den sozialsten Tieren überhaupt zählen. Keiner kann einem Wildschwein böse sein. Außer vielleicht Schnecken, Würmer, Mäuse, kleine Kaninchen und derart Leckereien. Die, und nur die, werden vielleicht sauer auf Wildschweine. Aber nur kurz, bis sie … also du weißt schon, aber ansonsten, nee, Wildschweine, ehrlich, die …“
„Redest du von deutsches Wildschwein. Türkisches Wildschwein ist anders. Sind impulsiv, sind sehr sensibel. Trampeln alles kaputt, wenn sie sauer sind. Alles zerfetzen in kleine Stücke, wenn man sie beleidigt. Können Kopf von Mensch abbeißen nur mit einmal Maul aufreißen und ausspucken und Fußball mit Kopf spielen. Kann man nicht vergleichen deutsches Pussy-Schwein mit anatolisches Kampfschwein. Verstehst du? Was mach ich jetzt mit dir, Herr Bertram?“, fragte er in aller Seelenruhe und kratzte sich ratsuchend am Kinn, „was glaubst du, bin ich deutsches Wildschwein oder türkisches?“
Eine Fangfrage. Und unweigerlich war ich der Fang. War er ein deutsches Luschen-Wildschwein? Dann würde das heute mein letzter Tag sein. Das ließe sich kein Türke auf dieser Welt gefallen. Eine türkische Wildschweinmaschine? Auch dann hätte mein letztes Stündlein geschlagen.
„Schlindwein! Jetzt weiß ich es wieder. Ergün Schlindwein. Na, ich wusste es doch, dass ich doch noch drauf kommen würde. Natürlich. Schlindwein. Ein ganz typisch türkischer Name, wenn der Spaß erlaubt ist. Dass mir das entfallen konnte.“
Ob es mir noch rechtzeitig eingefallen war, würde ich in wenigen Sekunden wissen. Ein Lächeln spielte um Ergüns gütiges Gesicht und ich war mir augenblicklich ein Stück sicherer, dass es auch für mich ein Morgen geben könnte.
„Türkisch Schwein, oder deutsche Schwein?“, beharrte er ungeachtet meines wiedergewonnenen Gedächtnisses. Das Lächeln um seine Augen erfror zu einem eiskalten Funkeln. Zu früh frohlockt.
Ene mene miste, du springst gleich in die Kiste. Ene mene muh und tot bist du. So schoss es mir durch den Kopf, als ich wie zum letzten Gebet mit gefalteten Händen und viel lauter, als es sein sollte, um meine Gesundheit bettelte.
„Ich schwöre bei Gott. Ich schwöre auch bei Allah. Es ist mir nur so rausgerutscht. Ich würde dich doch niemals, ich würde überhaupt niemals, zu niemanden, ich kenne dich doch gar nicht, und sowieso, Wildschwein schon gar nicht, ich wüsste auch gar nicht wieso, ich weiß doch auch nicht, das war so wie ein Reflex. Das musst du mir doch glauben. Du kannst doch jetzt nicht einfach …“
„Jetzt s’witzich?“, fragte Ergün in einer Seelenruhe, um die ich ihn beneidete, und sein listiges Grinsen war zurück. Es zog sich quer von einem Ohr zum anderen.
„Nein. Du schwitzt nicht, aber ich. Guck hier. Ich bin klitschnass vor Angst, dass du mir das übel nehmen könntest, dass du, wegen der Sache mit … das war doch nur ein Missverständnis. Da kannst du doch bitte, bitte nicht so eine große Sache draus machen jetzt. Mein Gott. Ich kenn dich doch gar nicht und jetzt soll ich hier entscheiden, ob du ein deutsches oder ein türkisches, ach, was rede ich denn da, jetzt muss ich hier entscheiden, ob du mich windelweich prügelst oder vielleicht sogar gleich …“
„Ist wieder also nicht witzig?“, fragte Ergün sichtlich geknickt. Dann senkte er den Blick schelmisch zu Boden, um Sekunden später erneut in blökendes Wiehern auszubrechen und mir unvorbereitet und wiederholt auf meine herunterhängende Schulter zu hauen, als wäre meine unausgesprochene Wahl auf den Keiler osmanischer Herkunft gefallen.
„S’vielleicht wieder nicht witzig, Herr Bertram. Obwohl. Finde ich schon. Habe ich dich aber Hauptsache wieder gespackt. Haha. Habe ich dich zweimal an einem Tag gespackt. Bin ich sicher, ich kann das gut für dich machen, wenn du mal nicht mehr Verspacker sein willst. Oder wir machen das zusammen. Oder wenn du mal Urlaub machst. In schöne Türkei zum Beispiel. In Wald mit gemeine Wildschweine. Dann ich mache für dich hier Verspacker, versprochen. Ist okay für dich?“
Inzwischen hatte sich der Trommelwirbel auf meiner Schulter in Richtung einer beinahe liebevollen Umarmung verändert, wäre sie nur weniger erdrückend und meinerseits nicht gänzlich unfreiwillig. Beinahe so, als wollte Ergün damit um Verzeihung bitten, für den Seelenschmerz, den er mir zugefügt hatte, oder als wollte er den verdienten Applaus erpressen, für seinen bühnenreifen, respektablen Auftritt, den er gerade hingelegt hatte.
„Mag ich dich, Herr Bertram. Bist du ulkiger Mann, sagt man so? Musst du mir verzeihen kleines Spielchen mit dir. Konnte ich nicht anders. Wusste ich, wird lustig, und hast du selbst angefangen. Bin ich unschuldig“, badete Ergün mit sich zufrieden in Unschuld. Bevor ich nur ein weiteres Wort sagen konnte, besiegelte er unsere neue Freundschaft mit einer traditionellen Knutscherei, die mir einen Kuss auf jede meiner Wangen bescherte. Offenbar war ich in diesem Moment angekommen, hier, in meiner kleiner temporären Bleibe. Und wünschte mir nichts sehnlicher, als sofort hier verschwunden zu dürfen.
„Können wir zusammenarbeiten, wenn du willst. Machen wir Agentur auf. Kenne ich Leute, die machen guten Preis für kleines Büro. Kenne ich auch viele Leute, die gespackt werden müssen, viele Idioten. Schreiben dann ein großes Schild, schreiben drauf so was wie Spackentur. Weißt du, Spacken und Agentur, Spackentur. S’witzich?“
Nachdem ich mich allmählich von den größten Strapazen erholt hatte, denen Ergün mich zur Housewarming-Begrüßung ausgesetzt hatte, nahmen wir auf dem Küchenboden Platz. Ergün schien mit dieser häuslichen Tradition bestens vertraut. Wir, genauer gesagt Ergün, machten uns über Pauls Bierbestände her. Grund genug gab es für uns beide. Für mich war es eine Art von Wiedergeburt nach einer leichteren Form des gefühlten Ablebens, Ergün witterte eine neue Herausforderung. Entweder, um mit seiner Spackentur-Idee weiteres Geld zu scheffeln, oder einer scheinbar auch in seinem Leben viel zu großen Zahl von Idioten wirksam zu begegnen.