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Kapitel 14

Sprachlos stand ich dem Paragrafen mit offenem Mund gegenüber, der mit übergeschlagenen Beinen die halbe Couch einnahm und mich noch immer energiegeladen musterte. Dass Paul ein überraschend ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis hatte, stellte ich in diesem Moment nicht zum ersten Mal fest. Dass aber die Beschreibung meiner bescheidenen Person in diesem Haus auf derart nahrhaften Boden stoßen würde, schockierte und traf mich tief, sodass ich mich erst einmal zu Paul-Rasmus setzen musste, um durchzuatmen.

„Du bist Anwalt, Paul-Rasmus, alias Paragraf?“, seufzte ich, während ich eine Nachricht an Paul tippte, ihn fragte, wann er in etwa zu Hause sein würde und ihm androhte, dass wir dringend reden müssten.

„Yepp. Sagte ich bereits. Für dich aber gerne Rasmus.“

„Aber du hast keine Mandanten, Rasmus, habe ich richtig verstanden?“

„Das hast du. Ich habe keine Mandanten“, bestätigte er stolz.

„Dann bist du ein schlechter Anwalt?“

„Das muss nicht sein, aber ich weiß es nicht. Ich hatte noch nie einen Mandanten.“

Ich nickte. Ein Zeichen mich übermannender Resignation, keineswegs zu verwechseln mit Verständnis für das, was er gerade sagte. Wie meinte er gerade noch? Er hätte noch nie einen Fall verloren? Diese Aussage stand nun in einem ganz anderen Licht.

„Das sind ja ideale Bedingungen, um die Weltherrschaft an sich zu reißen“, witzelte ich zynisch.

„Marktführerschaft. Nicht Weltherrschaft, das habe ich nicht gesagt. Ich bin nicht irre!“

Nein, natürlich nicht.

„Mein Fehler, aber warum auf einmal kleine Brötchen backen? Ein Anwalt, der eigentlich kein Anwalt ist, der aber einen gigantischen Markt erobern will, ohne zu wissen, was dort angeboten wird, sollte doch höhere Ziele anstreben?“

„Nur, weil ich meinen gelernten Beruf nicht praktiziere, heißt das nicht, dass ich ihn nicht beherrsche. Und ich weiß, wovon ich rede. Die Sache mit den Spacken, das, was du da machst, die hat mich sofort fasziniert. Ich habe immer an die eine Aufgabe gedacht, die in meinem Leben kommen müsste, wo ich mich richtig einbringen kann. Dann warst plötzlich du da und da wusste ich: Das ist es. Und jetzt kommst du, was sagst du dazu?“

„Was ich dazu sage? Oh, eine ganze Menge könnte ich dazu sagen. Fange ich mal mit dem Wichtigsten an und ich glaube, ich werde das heute noch in großen Lettern draußen an die Haustür pinnen. Damit Leute wie du und was weiß ich, wer hier noch so sehnsüchtig auf meine Ankunft gewartet hat, ein für alle Mal Bescheid wissen. Ich. Mache. Das. Nicht. Mehr! Ich weiß nicht, was Paul über mich erzählt hat. Ich war nicht immer ein besonders netter Mensch, finden zumindest andere. Wollte ich auch gar nicht sein. Zumindest nicht denen gegenüber, die mir die Luft wegatmeten, um sie mit ihrem unqualifizierten Gequatsche versetzt wieder auszuatmen. Solchen, deren Dummheit sich mir breitbeinig in den Weg stellte. Zwar bin ich kein Anwalt, aber das war meine ureigenste Form der Gerechtigkeit. Selbstgerecht, wenn du so magst. Ständig spürte ich den Zwang, Dinge tun zu müssen, für die ich nicht geeignet war. Beispielsweise nett zu dummen Menschen sein. Vielleicht sind es fehlentwickelte Gene, vielleicht bin ich einfach nur anders. Wie gesagt, mir ging es nicht darum, Mutter Teresa Konkurrenz zu machen oder den Friedensnobelpreis zu gewinnen. Ich wollte einfach nicht mehr nur zusehen, wie die Gesellschaft um mich herum zusehends verdummte und mich in ihren Strudel mitriss. Ich begann mich zu wehren, ich konnte nicht mehr schulterzuckend und mit guter Miene zum bösen Spiel darüber hinwegsehen und ich wollte es auch nicht. So dachte ich mir Mittel und Wege aus, besser damit zurechtzukommen. Nenne es ruhig Mangel an Selbstdisziplin, von mir aus. Dass ich aber alleine durch meine Gegenwehr aus dummen Menschen keine blitzgescheiten Mitdenker machen würde, war mir klar. Ebenso, dass es mir nicht gelingen würde, aus den schlimmsten Nervensägen Zeitgenossen zu formen, mit denen ich gerne meine Zeit verbringen wollte. Das wäre anmaßend. Vielmehr sah ich mich als eine Art umgedrehter Robin Hood. Ich gab es den Dummen und bereicherte mich selbst, tat mir Gutes, quasi als Robin Good. Alles immateriell, eher ideell. Verstehst du, was ich meine? Keine Ahnung, ob Paul dir das so erzählt hat, aber alles unwichtig. Ein letztes Mal: Ich mache das nicht mehr. Leben und leben lassen, andere schaffen das ja auch. Ich werde mir ein dickeres Fell, mehr Gelassenheit zulegen, vielleicht mache ich Yoga oder so was. Ich weiß es noch nicht.“

„Wenn du mich fragst, dann ist es keine gute Idee, jetzt aufzuhören“, erwiderte der Anwalt emotionslos.

„Nichts für ungut. Aber ich kenne dich überhaupt nicht und nein, genau deshalb frage ich dich nicht. Danke trotzdem für deine Worte, ich freue mich über jeden, der Sympathie für meine Ideologie empfindet.“

„Aber genau das ist es doch. Du sagst es doch gerade selbst. Wir sind viele, wir sind sehr viele, wir werden immer mehr, wir sind ein riesiger Markt.“

„Kleine Verständnisfrage: Von welchem Markt redest du eigentlich immer und wer sind ‚wir‘?“

„Wir, das sind richtig viele. Alle, die so denken wie du und wie ich. Für mich bist du ein Held. Du hast es angepackt, du hast etwas angefangen. Guck dich doch mal um, da draußen. Glaubst du, da wird irgendetwas besser? Nein, es wird schlimmer. Geh über die Straße, in irgendwelche Läden, fahr mal mit Bus und Bahn, geh ins Theater, ins Kino oder jetzt bei der Hitze ins Freibad. Mach den Fernseher an, das Radio, die ganz Hartgesottenen sind online, da erlebst du dann das Grauen in Vollendung. Da findest du mit ein paar Klicks den schleichenden Untergang der menschlichen Intelligenz. Man vermisst ja mittlerweile die Zeit, wo es lediglich einen Trottel pro Dorf gab. Das ist doch alles nicht mehr schön. So weit weg muss man dabei gar nicht blicken. Hier bei uns im Haus, selbst hier, aber das wirst du schon noch erfahren, da kannst du dich richtig austoben. Der kackfreche Mares, Zoppa, der Penner. Bei Ergün weiß ich nicht, ich glaube, der ist schlauer, als er tut, auch wenn der mit seiner krankhaften Barfüßigkeit ja auch unzurechnungsfähig ist, irgendwie. Rechne das mal hoch. Auf die Straße. Den Stadtteil, die Stadt, du weißt schon. Was da zusammenkommt an geistigem Dünnschiss. Das fängt doch am Ende keine Kanalisation der Welt mehr auf.“

Da hatte er uneingeschränkt recht. Der Paragraf brachte mich zum Nachdenken, beförderte mich zurück zu meinen Anfängen, als ich meine Motivation so ähnlich beschrieben hatte wie gerade er. Wobei ich nicht hätte sagen können, wann genau in meinem Leben der Anfang zu setzen war. Dem blöden, triefnäsigen Daniele in der Sandkiste diese zweifelhaften Lorbeeren zu verleihen, war ein inakzeptabler Ansatz, es könnte mich aber zumindest früh geprägt haben. Ich blickte auf mein Handy. Paul hatte meine Nachricht gelesen, aber noch nicht geantwortet.

„Und wie genau ist der Beruf eines ehrwürdigen Anwalts deiner Ansicht nach in Einklang zu bringen mit den Auswirkungen dieses gigantischen Marktes, der nach deiner Aussage nach einer Massen- und Dauerentspackung schreit“, wollte ich wissen.

„Dafür muss ich lange ausholen. Wenn du Zeit hast?“

„Nur zu. Mich treibt ja nichts, aber wenn du trotzdem die Kurzversion für mich hättest? Du musst wissen, unerträgliche Schwätzer, die arglosen Mitmenschen ihre belanglose Geschichte aufzwingen wollen, sind mir ein Grauen. Wenn sie dann noch ohne Punkt und Komma Monologe über sich selbst und ihr armseliges Leben führen. Vielsagend zwinkerte ich ihm zu und er verstand.

ausgeSPACKT!

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