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Netz-Kampagne

Stufe 1 – Definition und Motivation

Themengruppen, bzw. Communities bei Facebook waren eine spaßbringende Sache. Früh stand für mich fest, dass ein Großteil der Personen, die sich bei Facebook in solchen Gruppen zusammenrotteten, um sich aktiv auszutauschen, auf ihre Art entweder dumm oder dreist sein mussten. Die meisten von ihnen vereinten zweifellos beides in sich. Warum all die anderen, meist waren es die Passiveren, sich das antaten, war für mich schwerer nachzuvollziehen. Womöglich die simple Betrachtung teilweise durchaus ansprechendes Fotomaterials oder sie besaßen die beneidenswerte Fähigkeit, wichtige Informationen vom intellektuellen Schrott für sich herauszufiltern. Meinen eigenen, niederträchtigen Antrieb teilten dabei sicherlich nur die wenigsten. Hier wurde so viel hanebüchene Absurdität verquirlt, dass sie einem gewissen Trumpeltier locker für vier Jahre präsidiale Amtsinhaberschaft ausreichen würde. Hinzu kam der eklatante Mangel an orthografischen Fähigkeiten, der im direkten Zusammenhang mit der Qualität der eingestellten Kommentare schwer tolerierbar war. Nirgendwo sonst stellten sich mir so viele potenzielle Opfer ins hell erleuchtete Schaufenster. Genau deshalb hatte ich mich vor langer Zeit in einer Vielzahl solcher Gruppen angemeldet.

Gepackt von der mitreißenden Spannung des Kunst- und Dressurreitens über die neuesten Häkel- und Strick-Trends bis hin zum Balletttanz, meine geheuchelten Interessen waren weit gefächert. Von nichts hatte ich den Hauch eines blassen Schimmers und ebenso wenig Interesse daran. Natürlich hielt es mich nicht davon ab, meinen unqualifizierten Senf unaufgefordert dazuzugeben, wenn angebliche Fachleute diskutierten und sich in kürzester Zeit als Flachdenker outeten. Passte mir wieder einmal nicht, was ich las, und brachte ich dies konsequent zur Sprache, folgte stets die uneinsichtige wie eintönige Aufforderung, doch einfach weiterzuscrollen. Derlei Renitenz prallte an mir ab wie Regen auf einer Lotusblüte. Schmiss man mich schließlich wegen meiner unqualifizierten und selten sachbezogenen Kommentare raus, was regelmäßig der Fall war, entdeckte ich schnell ein neues spannendes Themengebiet, wo ich mich ähnlich gut auskannte. Zweifellos war ich das, was man abfällig und hämisch, aber sehr zutreffend, als Internettroll bezeichnete. Trollen wollen statt scrollen sollen, das war meine Devise. Daraus zog ich meine Motivation. Am Ende war ich in jeder Gruppe so beliebt wie eine juckende Hämorrhoide.

Um festzustellen, ob ich schon sattelfest genug war, was meine angestrebte Gelassenheit anging, gab es nur ein probates Mittel. Die ultimative Zerreißprobe meiner Nerven. Eine virtuelle Reise in die Bildungswüste Deutschland. Hierzu brauchte ich nur die jeweiligen Gruppenseiten aufzurufen und die neuesten Ergüsse meiner Community-Freunde über mich ergehen zu lassen, und das, ohne jegliche Gegenwehr einzusetzen. Das wäre die Kunst. Quasi durchgekitzelt zu werden, ohne zu quieken und wild um sich zu schlagen. War ich schon dazu bereit, dieses Opfer zu erbringen, um ein besserer Mensch zu werden? Hier würde ich umgehend Bestätigung erlangen oder erkennen müssen, dass ich in meinen neuen Grundfesten noch zu leicht zu erschüttern war und in alte Verhaltensmuster zurückzufallen drohte. Es war meine virtuelle Standortbestimmung. Ich musste lernen, ruhig zu bleiben. Selbst im Internet verdiente nicht jeder Vollidiot eine Reaktion.

Meine momentane Lieblingsseite war: Mallorca, mein Paradies. Mit eindeutig besitzanzeigender Betonung. Urlaubsseiten hatten es mir allgemein besonders angetan. Hier verspürten besonders viele Leute den ungehemmten Drang, das Netz mit ihrem verbalen Unrat zu vermüllen. Hier bekamen sie ihre Plattform und mich als ungeliebte Gratis-Zugabe obendrauf. Mit der Anmeldung in dieser Gruppe bestätigten viele der Antragsteller, gewiss nicht alle, das vollständige Abtreten der Eigenverantwortlichkeit, ihrer Kreativität und des selbstständigen Denkens an die weiteren Teilnehmer. Blöd nur, dass diese Begriffe für die bereits Angemeldeten, die Gruppengrufties sozusagen, ebenfalls nichts als Fremdwörter waren. Ein fataler Teufelskreis, von außen mühsam anzusehen und gleichzeitig an Armseligkeit nicht zu toppen. Stumpf war Trumpf.

Auch ich war ein großer Freund dieser Insel, aber genau darum ging es mir. Allein dieses virtuelle Volk selbstdarstellerisch geprägter Inselbesetzer war es, welchem ich meinen vernichtenden Stempel aufdrückte. Den eigenen Geist bei der Anmeldung mit nur einem Klick abgegeben, wandte sich die verbliebene Leerhülle orientierungslos und hilfesuchend an die bereits vor ihnen Registrierten. Erschreckend viele von ihnen nicht minder gehirnreduziert als die frischen Neulinge. Die hier zur Schau gestellte Hilflosigkeit war nichts anderes als beunruhigend. Genau an dem Punkt des gewährten Zutritts galt die Genesis des balearischen Pauschal-Zombies als abgeschlossen. Die unterpräsentierte Zahl der Normaldenker, die es tatsächlich gab, blieb in diesen Gruppen zumeist sprachlos im Hintergrund. Zumindest fassungslos.

Piep, piep, piep, wir alle haben Malle lieb. Diese oberflächliche Harmonie in der Gruppe war herzzerreißend und ich liebte es, diese zu zerstören. Mein Paradies. Das war viel mehr als nur eine Bezeichnung, es war eine Philosophie. In dieser Community ging es jedem Einzelnen um gefühlte Eigentumsverhältnisse. Ein Großteil der rund zwölftausend Mitglieder glaubte sich ein Stück weit als alleiniger Besitzer seiner Insel, zumindest emotional betrachtet. Kaum dass man ein einziges Mal nur dieses balearische Terrain betreten oder auch nur im TV für liebenswert befunden hatte, war die symbolische Besetzungsflagge im Geiste schon ins Erdreich gerammt. Mein Paradies. Gelebter Größenwahn. Die Spanier ließe man davon besser nichts wissen. Die Qualität der Beiträge lag zwischen einem intellektuellen Niedrigfrequenzbereich, der nicht mehr messbar war, und bemitleidenswerter, absoluter Nichtigkeit. Dafür lernte ich alleine durchs Mitlesen die ganze Insel kennen. Jede Bucht – jede war die schönste auf der Insel – jedes Hotel. Wer die Insel, wann, wie oft, wann das erste Mal besucht hatte oder wann man sie demnächst besuchen würde, ich erfuhr alles. Mit wem, ob mit Rainer (was für Ryan-Air stehen sollte) oder mit Herbert, 58 Jahre, Frührentner, der schlimme Akne oder eine ansteckende Algebra hatte, ich erfuhr es. Hier wurden Informationen durchs Netz gespült, ohne Worte. Nur wenige davon besaßen irgendeine Relevanz.

Wir fahren morgen … Ich wäre so gerne da … Ich fliege übermorgen, bleibe drei Nächte … Wir haben Meerweh, mein Mann, die Sabine, der Klaas und der Hund … Wir reisen morgen ab, schade … Eeene, meene, Malle, ich treff’mich heut mit Kalle … Ich komme wieder. Ich fahr so gerne Rad … Es war wieder schön … Wir freuen uns schon … Ich war noch niemals in New York … Ich komme mit meiner Tochter (13) … Hurra, noch einmal schlafen … Knick-knack, ich knicke mein Palmin … Wir lieben Mallorca … Noch drei Tage … Mallorca ist meine Insel … Ich nehme Schauma für mein Haar … Wir sind schon zum dritten Mal hier … Ich möcht’ so gern Dave Dudley hören … Wir haben heute gebucht … Mein Schwein pfeift … Noch sieben Tage … Malle für alle … Keine Sau interessiert sich für mich … Noch fünf, vier, drei, zwei Stunden … Ich sitze schon im Flieger … und so weiter und so fort. Ich. Ich. Ich. Ich kann nicht mehr.

Wen zum Teufel interessierte das? Wer wollte das wissen? Es war in Summe kaum auszuhalten und das war wohl auch das grundsätzliche Problem. Menschen, die im echten Leben schon schwer zu ertragen waren, brauchten ihre eigene Plattform, um sich Gleichgesinnten mitzuteilen. Ich habe nie verstanden, wieso Menschen Inhalte ihrer eigenen sozialen Belanglosigkeit mittels Social-Media mit Leuten teilen mussten, denen es nicht anders ging. Unweigerlich musste ich an Quallen denken. Auch Quallen hätten sicherlich viel mitzuteilen, doch sie wissen sich gut einzuschätzen. Sie sind dumm, drum bleiben sie stumm. Dann kommt der Mensch und ich frage mich warum.

Umso mehr dankte ich einem gewissen Mark Zuckerberg noch heute dafür, dass er neben seinem dusseligen Like-Daumen immerhin das Wut-Emoticon für die weniger gutmenschlich-orientierten Menschen eingeführt hatte. Ein Leckerli für unentspannte Leute wie mich? Möglich. Viel wichtiger die Frage: Wann endlich würde der symbolische Stinkefinger offiziell Einzug halten?

Wäre es nun aber nicht ein Schritt in die verkehrte Richtung, wenn ich diese Spielereien hier gleich am ersten Tag meines neuen Lebens inflationär zur Anwendung brachte? Lass sie doch sein, wie sie sind, spiel dich nicht so auf. Grisus Worte klangen mir immer wieder in den Ohren. Noch während ich über diese Problematik sinnierte und ich mich unmotiviert durch allerlei bedeutungslose Kommentare freudig gestimmter Urlauber scrollte, wurde ich müde. Immer wieder fielen mir die Augen zu. Mit letzter Kraft klappte ich meinen Laptop zu und gab mich meiner Müdigkeit geschlagen. Wer schlief, der sündigte nicht.

ausgeSPACKT!

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