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Netz-Kampagne

Stufe 2 – Bestandsaufnahme

Anita Berger bedankte sich für die freundliche Aufnahme in die Gruppe. In eine offene Gruppe, in die jeder aufgenommen wurde. Jeder. Ein gelangweilter Klick des Administrators und fertig. Hier konnte man nicht freundlich klicken oder patzig. Entweder ja oder ja. Vom pubertierenden Bulettengesicht bis hin zum Schwerstkriminellen. Hier gab es für niemanden ein Nein. Anitas Eintrittsdank war einundzwanzig anderen ein Like wert. Ein guter Wert für einen Neupatienten. Hier ging niemand leer aus. Vor allem dann nicht, wenn man seinen Dank auf farbigem Hintergrund mit knallbunten Ballons und glitzerndem Flitter ausmalte, wie Anita es hochkünstlerisch getan hatte. Schleimige Höflichkeit wurde in der Community großgeschrieben und reich belohnt. Auch deshalb lagen meine Werte im nicht mehr sichtbaren Bereich der Beliebtheitsskala.

Pall-Mall, so hieß der/die Administrator/in dieser Gruppe, hatte gutgläubig freigeschaltet. Damals mich, heute Anita. Von Anfang an unterstellte ich hier ein ausgedachtes Pseudonym, eine Art ausgeklügelte Hommage an die Inselhauptstadt. Vielleicht aber hatte auch Mutter Mall so kurz nach der Niederkunft einfach einen Riesenknall, wer wusste so was schon in einer anonymen Welt wie dieser.

Anita Berger wiederum freute sich vielsilbig, dass sie so herzlich willkommen war, was ebenfalls geliked wurde. Der heitere Freudenkreis war somit in sich geschlossen. Like-liking vom Feinsten.

Sie hätte dann auch gleich mal eine Frage an die Gemeinde. Deren sogenanntes Schwarmwissen sei nun gefragt. Dieses Modewort, kaum einer wusste, was es bedeutete, aber täglich verwendeten es mehr. Der bewährte aber antiquierte Frage-und-Antwort-Prozess wurde ins Exil verbannt, einfach so und auf Nimmerwiedersehen. Die schlichte, aber korrekte Antwort eines Einzelnen … das war gestern. Es reichte nicht mehr aus, heute musste es Schwarmwissen sein. Anita nannte alle anderen in der Gruppe die Gemeinde und ich nahm mir spätestens jetzt vor, mir ihren Namen zu merken. Sie bewies ein gewisses Potenzial, ich wusste nur noch nicht genau wofür genau. Ob jemand von den Lieben hier eine Idee hätte, ob und wo man auf Mallorca einen Hut kaufen könnte. Einen Hut. Tatsächlich. Einen Hut. Auf Mallorca. Sie wollte es einfach wissen und bekam allein für diese Frage siebzehn Likes. Das war durchschnittlicher Usus, wenn jemand irgendetwas fragte. Eine Antwort aber bekam sie nicht, auch das war nicht unüblich. Ein paar der fleißigsten Gemeindemitglieder gaben ihr alternativ Tipps, wo es die beste Paella gab, aber einen Hut, nein, da waren sie nicht sicher.

Nun, ich hatte auch keine Ahnung, ob und wo man auf Mallorca einen Hut kaufen könnte. Mir als Einzelnem fehlte hierfür womöglich einfach nur das obligatorische Schwarmwissen. Ob es Hüte gab, grübelte ich. Ja, sehr wahrscheinlich, und wo? Vermutlich an jeder zweiten Ecke. Auch ich likte Anitas Frage, obwohl meine Kopfhaut bereits empfindlich am Kribbeln war. Ein gutes und ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich gleich aus eben dieser Haut fahren könnte, wenn ich es nur zuließe. Ein schlechtes, weil ich genau das verhindern wollte. Likes waren gut, damit war man Teil einer kritiklosen Gemeinde. Ob Anita ihren Urlaub am Ende hutlos verbrachte, würde ich nicht erfahren. Wichtig war nur, dass mir meiner nicht vorschnell hochging. Wer likte, zeigte Zugehörigkeit, der konnte kein schlechter Mensch sein. Für heute nahm ich mir fest vor, kein schlechter Mensch zu sein.

Birgit Christensen wollte mal fragen, ob jemand wüsste, ob man Ensaimada (Hinweis: so’n alberner Pustekuchen, den die Mallorquiner an Touristen verkauften, vermutlich, weil sie ihn selbst fürchterlich fanden) auf dem Rückflug mit ins Handgepäck nehmen dürfte. Fünfundzwanzig Likes bestätigten Birgit, dass viele andere der online Anwesenden auch besoffen waren.

Chris Dohrmann ließ den Schwarm wissen, dass ihn diese Frage auch immer schon beschäftigte. Zwanzig Likes bestätigten, dass Chris und Birgit nicht alleine, sondern schon mal zu zweit waren. Ein Robert Ramm aus Hamburg, markantes Profil, sehr gut aussehend, kannte die Antwort. Zumindest irgendeine, er wollte damit aber nicht aus der Gruppe entfernt werden und schwieg. Noch. Robert Ramm war der Nickname, den ich mir selbst bei Facebook zugelegt hatte.

Sowohl Detlef Einfeld, als auch Estefania Freiwald, vor allem aber Francisco de Guadalupe Sanchez Jesus Bondad y Virgen de la Locura Increible forderten, dass man anstatt Ensaimada, was ihrer Meinung nach nur alberner Pustekuchen wäre, lieber einen kompletten Serrano-Schinken mit in die Kabine nehmen dürfte. Mittlerweile gäbe es keinerlei annehmbare Verpflegung mehr an Bord und man müsste zu einer sauberen Landung ja immer auch irgendwie Schwein haben. Sage und schreibe einunddreißig Likes gab es für diesen hanebüchenen Unsinn, eines davon von mir. Zwölf interessierte Mitfreuer beglückwünschten Francisco zu seinem wohlklingenden Namen. Einer fragte, welches denn sein Vorname wäre. Der ließ die Frage unbeantwortet, likte aber den Namens-Liker.

Gertrud H. verkündete, dass sie plane, im nächsten Sommer zum ersten Mal nach Mallorca zu fliegen. Sie würde sich damit einen Traum erfüllen. Weil Malle sich so schön auf Halle reime. Sie fand das witzig. Meine zuckende Galle eher weniger. Aus Halle, da käme sie her. Halle, Westfalen. Nicht das andere, betonte sie und damit war sie noch lange nicht am Ende ihrer langweiligen Geschichte. Sie wäre zudem zweiundsechzig und sie freute sich. Bald würde sie dreiundsechzig, ergänzte sie in guter Hoffnung. Ihr Günther wäre auch gerne mitgekommen. Er sei aber vor sechs Wochen gestorben. Fast sieben. Zuviel Alkohol, erklärte sie. Jeden Abend dicht bis Oberlatte Unterkante. Das läge in der Familie, aber vonseiten ihres Ex-Mannes, wie sie ausdrücklich betonte. Ihr Günther hätte ja noch zu gerne einmal mit ihr Sangria aus Eimern getrunken. Ob in dieser Gruppe schon mal jemand auf Mallorca gewesen sei, fragte sie allen Ernstes. Ob jemand wüsste, wo es schön sei und wo das Wetter zu der Zeit am besten wäre. Das aber bitte zuverlässig und wann genau. Sage und schreibe vierundzwanzig traurige Emoticons standen fünfzehn Likes gegenüber. Die einen wegen des armen Günthers Ableben, die anderen eventuell, weil sie Günthers unerfüllte Vorliebe fürs Eimern gut verstehen konnten. Man empfahl der Witwe mehrheitlich den Ballermann. Weil da immer die Sonne schien, wusste ein Witzbold, der das Schinkenstraßen-Schild als Profilbild hinter einer zahnlosen Fratze führte, die wohl ihn zeigte. Je mehr man dort die Lampe an hatte, umso lichter würde der Tag, wusste Henning Irselberg darauf hin beizutragen. Der kam ebenfalls aus Halle, allerdings Sachsen, und wollte wissen, ob Gertrud ihn eventuell kannte. Mit seinem Geheimtipp, wie er es stolz nannte, und fünfundvierzig Likes brach Henning den Tagesrekord, davon einen Schleimigen von mir. Allerdings auch sieben furztrockene Wut-Smileys. Ich war entsetzt, was gab es nur für humorbefreite Stinkstiefel. Konsequent likte ich von nun an jeden Kommentar, der sich gegen diesen Henning richtete. Paradoxe Stinkstiefelehre.

Die arglose Gertrud leistete mit ihrer rührseligen Anfrage den meistdiskutierten Beitrag des Tages. Wer hatte das Mütterchen nur unbeaufsichtigt an die Tastatur gelassen? Uneinheitliche Meinungen herrschten fortan über die Frage, wo es denn am schönsten sei. Ein paar kühne Vorprescher versicherten eifrig, es sei hier, andere Verwegene dagegen schworen auf dort. Ganz andere wiederum wussten aus sicherer Quelle zu berichten, dass es dagegen an anderer Stelle schöner sei als woanders. Sie seien zwar noch nie da gewesen, hätten aber Fotos gesehen. Ich steuerte einen neutralen Kommentar bei, der mir passend erschien. Einen Beitrag, der mich im Spiel hielt, der mich nicht disqualifizierte, mich aber auch nicht parteiisch zu der einen oder anderen Gruppe Vollidioten gehören ließ. Salomonisch verkündete ich, dass die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte liege und erwartete Beifallsstürme aus der harmoniesüchtigen Gemeinde. Fünfzig Likes, bitte, dachte ich stolz, mindestens. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis mein Edelkommentar, der im Grunde genommen Potenzial zur globalen Völkerverständigung hatte, bei meinem Publikum angekommen war. Zögerlich erntete ich nahezu ausschließlich Wuties und ähnliche Missfallensäußerungen. Mangelnder Meerblick aus der Inselmitte heraus und damit folglich auch fehlender Weitblick meinerseits im Allgemeinen, war das meistgenannte Argument gegen meinen Ansatz. Wenn ich mit der Gruppe nicht klarkäme, sollte ich doch austreten oder weiterscrollen. Mit so einer gleichgültigen Haltung könne ich nämlich auch gleich zu Hause bleiben. Was so einer wie ich mit solch unreflektierten Aussagen hier bezwecken wolle, wurde ich gefragt. Was ich denn mit solch abstrusen Gedanken in dieser Gruppe zu suchen hätte, fragte einer und wurde dafür fünfzehnfach belohnt. Dass ich Psycho mit dusseligen Aussagen zur Inselmitte wohl unbewusst überhaupt gerne im Mittelpunkt stünde, was hier gar nicht gern gesehen wäre, wurde mir unterstellt und von sechsundzwanzig Mitfreuern unterstützt. Mein friedensstiftender Beitrag wurde mit lediglich einem einzigen Like belohnt. Dem von Gertrud. Ob sie das System hier verstanden hatte, wagte ich zu bezweifeln.

Für heute hatte ich wieder genug und tastete nach meinem Puls. Ich hasste Grisu für das Verbot, das sie mir erteilt hatte und das mich daran hinderte, hier angemessen einzugreifen.

ausgeSPACKT!

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