Читать книгу ausgeSPACKT! - Thorsten Haker - Страница 6
ОглавлениеKapitel 1
„Nein!“
Ich kreischte vor blankem Entsetzen.
„Doch!“, erwiderte sie bockig.
„Nein!“
„Oh, doch, doch, doch!“
„Das kannst du doch nicht machen.“
Sie konnte es wirklich nicht machen. Dessen war ich mir sicher, aber ich kannte diesen entschlossenen Blick und er beunruhigte mich.
„Wieso sollte ich das nicht machen können? Siehst du doch. Es ist meine Wohnung, wie du weißt, und ich habe dich immer und immer wieder gewarnt. Lass es, sagte ich. Ich habe dich angefleht, endlich wieder normal zu werden. Das hat doch alles keinen Sinn. Nimm doch die Welt so, wie sie ist. Du kannst sie nicht verbessern, du kannst die Menschen nicht verändern. Du nicht. Vor allem du nicht.“
„Normal werden. Was soll das denn heißen, bitte? Das ist doch aber lächerlich jetzt, mal ehrlich.“
„Nein, du bist lächerlich. Du machst dich lächerlich und vor allem machst du uns lächerlich. Meine Entscheidung steht. Wenn es unerträglich wird, muss man manchmal eben unbequeme Wege gehen. So geht es jedenfalls nicht weiter. Ich kann und ich will das auch nicht mehr. Zum Monatsende bist du hier bitte raus. Ich kann dich im Moment nicht ertragen.“
„Aber das ist ja schon am Montag, genauer gesagt heute in einer Woche.“
„Na, immerhin dieser Teil deines Gehirns funktioniert noch. Herzlichen Glückwunsch, dann ist ja noch nicht alles verloren. Ja, ab Montag kannst du so vielen Leuten auf den Senkel gehen, sie verbessern, wie du möchtest. Du kannst sie nach Lust und Laune entspacken, wie du es nennst, wenn es dich nur glücklich macht. Was für ein Schwachsinn. Nur, ich werde dann nichts mehr damit zu tun haben. Ich bin dann raus!“
„Wie, du bist dann raus? Moment mal. Nur, dass ich das richtig verstehe“, versuche ich, die Situation scherzhaft zu entspannen und hakte grienend nach: „Ich denke, ich bin es, der hier ausziehen soll?“
„Bertram! Nicht lustig!“
An Grisus scharfem Ton und ihrer hochgezogenen Braue über dem linken Auge, in dem weder Glanz noch Freude zu sehen waren, konnte ich erkennen, dass ihr heute nicht der Sinn nach meinem eigenartigen, leicht krankhaften Sinn für Humor stand, wie sie es regelmäßig bezeichnete. Andere Frauen, aber nicht nur die, eher Menschen im Allgemeinen, fänden für diesen Humor sicherlich ähnlich diffamierende Bezeichnungen. Die meisten meiner Mitmenschen konnten sich eher weniger an meinen befreienden Aktionen, an meiner Gesinnung insgesamt, erfreuen. Nicht im Ansatz so sehr, wie sie mich selbst glücklich machten und innerlich befriedigten.
Was sollte denn falsch daran sein, Dummköpfen auf mehr oder weniger subtile Art aufzuzeigen, dass sie dumm waren? Wenn es doch so war. Warum fehlte ihr denn jegliches Verständnis, wenn ich Leuten, die mir tagtäglich auf die Nerven gingen, mit mindestens gleicher Wucht zumindest vorübergehend Schaden zufügen wollte? Wie du mir, so ich dir. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Einfach fair. Warum durften die mir auf der Nase rumtanzen, und wenn ich es dann war, der zum Tanz bat, ging das Gemecker los, dass ich ihnen allzu ungelenk über die Füße latschte.
„Das heißt, es hat sich jetzt ausgetanzt, oder wie?“
„Wenn du es so ausdrücken möchtest, ja. So kann man das sehen. Zumindest gebe ich dir ausreichend Zeit und Gelegenheit, mal in aller Ruhe darüber nachzudenken, was du den Menschen mit deinem blödsinnigen Gehabe antust. Und was du mir antust. Ja, auch und gerade mir, und dann …“
„Ach komm, Grisu. Dich habe ich nicht entspackt. Noch nie! Zumindest nicht in größerem Rahmen, das schwöre ich.“
„Grisu, Grisu, es hat sich längst ausgrisut. Mein Name ist Kristina. Das war er im Übrigen immer schon, falls du es vergessen hast. Und es wäre ja wohl auch noch schöner, wenn du das auch bei mir gemacht hättest. Du kannst doch nicht allen, die dir in irgendeiner Weise querkommen, deinen Stempel aufdrücken und sie bestrafen. Wofür? Weil sie anders sind? Ich sag’s dir: weil es dir und deinem Dickschädel nicht in den Kram passt, wie sie sich verhalten. Du kannst denen, so verschieden sie alle sind, nicht alles in barer Münze heimzahlen wollen, was sie dir in deiner krankhaften Wahrnehmung Fürchterliches angetan haben. Manchmal geht es dabei ja nicht einmal um dich, noch schlimmer. Du kannst einfach nicht …“
„Wieso denn nicht? Und ob ich das kann“, zischte ich sie lauter an, als ich es wollte, woraufhin sie kurz zusammenzuckte.
Und doch, sie konnte tatsächlich, weil es wirklich ihre viel zu kleine Wohnung war, in der wir von Anfang an lebten und aus der wir aus Bequemlichkeit niemals herausgekommen waren, auch, wenn wir uns immer wieder vorgenommen hatten, uns nach etwas Größerem und Komfortableren umzusehen. Das Platzproblem hatte sie nun auf ihre ganz eigene Art und Weise für sich gelöst.
Ich verstand einfach nicht, wie sie so verbohrt sein konnte. Wie konnte sie es wagen, meine Ideologie dermaßen in den Dreck zu ziehen?
„Natürlich kann ich das“, rebellierte ich, „und ich muss das einfach tun. Man darf solche … solche Kreaturen nicht wirken lassen, wie sie es wollen, man muss auch mal …“
„Ach, aber die müssen alle sein, wie du es willst, oder wie? Du bist doch nicht der liebe Gott. Bertram, ich sage dir ganz ehrlich, dass ich langsam ein wenig Angst vor dir habe. Vielleicht bin ich bisher auch nur deshalb von dir verschont geblieben, weitestgehend, weil ich stets unter höchster Vorsicht versucht habe, deinen irrwitzigen Vorstellungen an die Gesellschaft zu genügen. Und das nur, um bloß nicht in dein Raster zu fallen. Das ist sehr, sehr mühsam manchmal, das strengt an. Ich brauche das nicht. Ich möchte so sein können, wie ich bin. Mit all meinen Fehlern und Angewohnheiten, ohne Angst haben zu müssen, dass du dieser überdrüssig wirst und glaubst, mir zeigen zu müssen, wie ich zu ticken habe.“
„Unsinn. Dich doch nicht. Du bist doch echt okay.“
„Ernsthaft jetzt? Ich bin okay? Ich bin, warte, noch mal jetzt. Ich bin wirklich ‚okay‘, sagst du?“
Ihr irrer Blick sprach Bände. Zugegeben, ich hatte schon bessere Texte.
„Ja, absolut“, bestätigte ich dennoch gönnerisch. Einmal Gesagtes war hinterher schwer zu revidieren.
„Du bist seit Ewigkeiten mit mir zusammen und du findest mich ‚okay‘?“
„Total. Niemanden finde ich okayer als dich. Und du weißt, ich finde sehr viele Leute alles andere als okay. Die allermeisten finde ich richtig bescheuert, aber mal so richtig doof.“
Grisu bzw. Kristina, wenn sie es denn so lieber hatte, stemmte ihre Hände in die Hüfte und verdrehte die Augen. Wenn Wut sichtbar dampfen könnte und wenn sie ein Pferd wäre, hätte ich dunkle Schwaden durch ihre weiten Nüstern aufsteigen sehen können. Doch seit sie nach langen Jahren erst kürzlich mit dem Rauchen aufgehört hatte, war von der Bedeutung ihres Kosenamens lediglich das Fauchen geblieben. Den niedlichen, feuerspeienden Comic-Drachen, der mich damals neben einem klangverwandten Wortstamm zur Namensgebung inspiriert hatte, gab es nicht mehr. Sie war zu einem giftigen, nicht rauchenden und dauernölenden Kläffer mutiert, der immer mehr den Drang verspürte, sich in mich zu verbeißen.
Sie wartete ab, ob ich noch etwas zu sagen hätte, doch ich schwieg. Was wollte sie denn jetzt noch von mir hören? Ich war vor den Kopf gestoßen und wütend. Tief durchatmend und resignierend wiederholte sie in leisem Ton den Wochentag, an dem sich unsere Wege trennen sollten.
„Montag. Ich meine es ernst.“
Dann verließ sie die Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.
Natürlich hätte ich ihr sagen können, dass sie mir alles bedeutete, wenn nicht mehr. Aus tiefstem Herzen. Weil es so war, weil es immer so sein würde. Natürlich wusste ich, dass es dieses Bekenntnis oder ein ähnliches gewesen wäre, welches mein lapidares „okay“ zumindest rhetorisch hätte aufwerten können, das mir irgendwie falsch rausgerutscht war. Nur war ich der Überzeugung, dass ein Zeitpunkt nicht hätte falscher sein können als gerade eben. Das Urteil über mich war bereits gefällt. Ich kannte meine Frau gut genug, um zu wissen, dass ein jämmerlicher Rettungsversuch ihre Entscheidung nicht grundlegend verändert hätte. Offenbar hatte ich den Bogen überspannt, ihr Verständnis überreizt. Hier ging es jetzt für mich erst einmal darum, meine Würde zu behalten. Dass ich eine solche überhaupt besaß, hätte Kristina sicherlich in Abrede gestellt. In ihren Augen war ich ein unzumutbares Scheusal und die wirklich blöde Sache von letzter Woche war dann wohl der eine Tropfen zu viel im Fass. Die Möglichkeit, dass dieser ekelhafte Typ aus der Nachbarschaft sich gleich bei der Hausverwaltung beschweren würde, diese dann bei Kristina, hatte ich unterschätzt. Zu dumm aber auch, dass man mich beobachtet hatte, wie ich eine Ladung Bauschaum in Nachbars Briefkasten versprüht hatte. In meinen Augen eine angemessene Reaktion für sein flegelhaftes und rücksichtloses Falschparken vorm Haus.
Das letzte bisschen Verständnis, das man für eine von der Kette gelassene Bestie wie mich aufzubringen bereit war, war dann wohl jetzt aufgebraucht. Game over. Bertram Geuse, das unberechenbare Monster. Wer Gefallen daran fand, bitte. Hier konnte es in auswegloser Situation nur noch darum gehen, den letzten Hauch von Ehre zu verteidigen und nicht als Jammerlappen dazustehen. Immerhin stand ich mit allem, was mich ausmachte, hinter jeder meiner Aktionen. Keine Reue, ich war mit mir selbst im Reinen. An diesem Punkt fühlte ich mich unfähig, einzuschätzen, ob ich in der Lage sein würde, ihr zu Liebe meine Gesinnung einzudämmen oder sogar komplett abzulegen. Darum ließ ich es geschehen. Gefährliches Glatteis.
Wirklich überraschend kam Kristinas Entscheidung tatsächlich nicht. Unsere Streitereien diesbezüglich hatten sich zuletzt gehäuft, davor konnten wir beide die Augen nicht verschließen. Schon seit geraumer Zeit ahnte ich, dass mein Zug in Kürze abgefahren sein könnte, wenn ich nicht in meinem Ansinnen nachließe. Ein Zug ins Nirgendwo. Ihm hechelnd, schwitzend, mit heraushängender Zunge hinterherlaufen zu wollen, wohlwissend, dass ich jämmerlich zusammenbräche, nein, die erniedrigende Schmach wollte ich mir ersparen. So gab ich auf, als ich den Kampf für mich als verloren betrachtet hatte. Jetzt brauchte ich Zeit und womöglich einen langen Atem. Eine vorübergehende räumliche Trennung, und lediglich von einer solchen ging ich einfach mal aus, würde uns beiden sicherlich guttun.