Читать книгу ausgeSPACKT! - Thorsten Haker - Страница 14

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Kapitel 9

„Ja, ist schon witzig“, bestätigte ich ihm, „aber auf mich kannst du nicht zählen. Ich bin raus. Ich mach das nicht mehr. Von mir aus können die alle tun und sein, was und wie sie wollen. Ich kann die Welt nicht alleine verbessern, ich hab’s ja versucht, irgendwie. Und bevor du drauf kommst, nein, auch nicht zu zweit oder zu dritt.“

„Okay. Du musst wissen. Aber gibt es viele Spackos hier, musst du wissen, auch hier in Haus oder Gegend, alle bisschen plemplem. Könnten wir Briefkasten draußen an Tür festmachen. Nächsten Tag viele Briefe, viele Aufträge, bin ich sicher. Sind alle genervt.“

„Unsinn, mich kennt doch keiner hier. Weiß doch keiner, wie ich ticke, was ich bisher gemacht habe. Außer Paul natürlich. Und du offensichtlich ja auch. Oh, und Nakita scheinbar auch.“

Ergün blickte mich an, als hätte ich gerade einen Volltreffer gelandet, ohne es zu wissen. Womit er nicht ganz falsch lag.

„Möchtest du mir etwas sagen?“, fragte ich, nun doch misstrauisch.

„Ist Nakita kluges Mädchen, aber sie redet viel. Zu viel. Hat auch zu viel Zeit. Gerade sind Ferien, Mutter arbeitet, rennt sie durchs Haus, runter und rauf, von Tür zu Tür und redet. Verstehst du?“

Ich kapierte, drohte allerdings augenblicklich meinen Verstand zu verlieren. Was Ergün nur andeutete, bedeutete nichts anderes, als dass Nakita sicherlich jedem Bewohner, den sie in der Kürze der Zeit nach Bekanntwerden meines Einzugs hatte treffen können, ihre hanebüchenen Fantasien und ausgedachten Spinnereien zuteil gemacht hatte. So war es nur eine Frage der Zeit, bis man mir zunächst mit Argwohn, später dann mit faulen Tomaten und schließlich mit Handschellen begegnen würde.

„Ich bin erledigt“, klagte ich und Ergün parkte freundschaftlich seinen schweren Arm auf meiner hängenden Schulter.

„Machst du dir keine Gedanken. Ist nur kleines Kind, kann nichts ausrichten. Werde ich mit Nakita reden und ihr sagen, dass Herr Bertram ist guter Mann. Bisschen weich und ängstlich vielleicht, kennt sich aber ganz gut aus mit wildes Tier und kann keine Fliege was zuleide tun. Oder du hast wirklich Mann bestialisch massakriert, nur weil er Spacken ist? Ehrlich sein“, insistierte Ergün nun doch einigermaßen besorgt.

„S’witzich?“, versuchte ich mit hochgezogenen Augenbrauen herauszufinden.

Ergün griente.

„Nur Spaß. Weiß ich Bescheid. Sind jetzt Freunde, Ergün, der jetzt heißt Wildschwein, warum auch nicht, und Herr Bertram. Herzlich willkommen in Wohnung von Paul in gar nicht ehrenwertes Haus von Oppa Zoppa.“

Interessant. In der Türkei schloss man offenbar in kürzester Zeit an der eigenen Tür Freundschaften, nachdem man sich erst einmal vor Angst richtig in die Hose gemacht hatte.

„Oppa Zoppa?“, fragte ich irritiert nach.

„Ja. Alte Herr Zoppa, unsere Vermieter. Übler Typ. Oh. Habe ich gleich super Idee. Kannst du gleich viele Freunde, noch mehr Freunde, machen in diese Haus. Musst du nur Oppa Zoppa um die Ecke bringen. Einfach klingeln, wohnt genau über mir. Zeige ich. Hammer auf Kopf, vergraben. Kenne gute Stelle bei mir auf Schrottplatz. Legen wir Zoppa in alte Karre, VW oder so, und verbuddeln beides zusammen in Erde, kommt nie wieder dann. Vielleicht nur Zombie. Oder wenn zu brutal, zu viel blutig, erst mal nur leichten Schlag auf Kopf, Tüte von Aldi drüber mit Loch drin für Atmen, dann zu Schrottplatz fahren und legen wir ihn in Presse und machen Pastete aus Zoppa. Zoppastete sozusagen.“

Ergün sprach mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, dass ich schwer sagen konnte, ob er mich wieder mal auf den Arm nehmen wollte oder ob er es ernst meinte. Wir kannten uns noch nicht lange genug, als dass ich das mit Gewissheit hätte einschätzen können. Im Grunde kannte ich ihn gar nicht, dagegen schien er von mir bereits eine ganze Menge zu wissen.

„Wieder s’witzich?“, vergewisserte ich mich sicherheitshalber.

„Nicht witzig, gar nicht witzig!“, antwortete Ergün zügig und ein wenig ungehalten. „Ist unangenehmer Mensch, der Zoppa. Der kann weg, braucht keiner mehr. Kriegt auch keiner mit, ist alleine. Keine Familie mehr, Mutter vor vielen Jahren gestorben. Hat ihr gehört, diese Haus. Seine Frau weggelaufen,“ sagt er. „Wir glauben, hat er sie irgendwo versteckt, vielleicht auch umgelegt. Vielleicht gammelt irgendwo, weiß man nicht. Wenn du hast erledigt kleinen Auftrag, zahlen wir Miete an Herr Bertram. Aber nur Hälfte, versteht sich, sind wir Freunde“, erklärte mir Ergün und legte mir erneut seine Pranke auf meine Schulter, die ein großes Bedürfnis nach schmerzlindernder Salbung ausstrahlte.

„Das ist doch ein Scherz jetzt und wieder kein wirklich guter. Das kannst du nicht ernst meinen? Komm, du willst mich schon wieder entspacken. Habe dir schon einmal gesagt, man kann keinen Entspacker, auch keinen ehemaligen, entspacken. Selbst wenn, dann übertreibt man das nicht so maßlos, dann dosiert man das besser, aber nicht alle paar Minuten „hahaha, habe ich dich gespackt, haha“. Und was du da jetzt erzählst, in aller Seelenruhe, meine Herren, da kriegt man es schon mit der Angst zu tun. Ich knabbere noch daran, dass ich in diesem Haus als Killer verschrien bin, aber ihr habt hier wohl alle einen an der Klatsche, wenn ich das so höre.“

„Ich nicht sage, habe ich dich gespackt, hahaha. Ist mein Ernst. Aber habe ich Frage an dich: Hast du meinen Umzugswagen gefragt und hast du ihn bekommen, ja oder nein? Ja, du hast. Und war der gut, der Wagen, Herr Bertram? Sagst du mir, ob Wagen war gut, hat alle deine Sachen hierhergebracht, alles heil?“

„Ja, der Wagen war gut, alles bestens“, kam ich Ergün wohlwollend, vor allem aber in aller Feigheit entgegen. Alleine, um die Situation zu entschärfen und ohne trotz der ausgesprochenen Unwahrheit rot zu werden. Die Tatsache, dass es zudem Paul war, der den Geisteskranken nach dem Wagen gefragt hatte, ließ ich sicherheitshalber unter den Tisch fallen.

„Nein, war Schrott“, erwiderte er. „Wagen war größter Schrott, den ich konnte finden auf Schnelle. Musste Kollege von anderen Schrottplatz fragen. Ob er hat richtig Scheißekarre für mich. Karre musste noch fahren können bisschen, habe ich gesagt, aber bricht gerne auseinander auf dem Weg von deine Haus bis hier zu Paul. Leider nicht geklappt. Wollte ich Herr Bertram da schon verspacken. Aber hast du Wagen genommen, alle Sachen hier. Stehst du in meiner Schuld und erstes Mal, wo ich dich frage, brauche ich deine Hilfe, jetzt, wo wir Freunde sind. Verstehe ich nicht. Bin ich Türke, kenne ich Respekt. Habe ich dich geküsst, hast du vergessen? Alles Frage von Ehre, verstehst du? Und jetzt du willst mir keinen kleinen Gefallen tun?“

Ein Irrenhaus musste ein Kaffeekränzchen sein im Vergleich zu dem, was sich in diesem Moment in meinem Kopf abspielte. Wo um Himmels willen war ich denn hier hineingeraten? Ein gut zwei Meter großer, barfüßiger Hüne mit Kringel-Schnauzer und dichtem Busch über seinen bedrohlich blickenden Augen stand mit verschränkten Armen auf einmal über mir, tippte sich unruhig auf seine Muskelberge und wartete. Offenbar erhoffte er sich von mir, dass ich dem Nachbarn und Vermieter, wohlgemerkt seinem Nachbarn und seinem Vermieter, kurzerhand den Schädel einschlug. Am besten jetzt und gleich und das nachdem ich mich kaum erholt hatte vom Schrecken, der mir wegen der Wildschweinsache noch in den Knochen steckte.

„Okay“, sagte ich, alleine um Zeit zu gewinnen.

„Okay, du machst?“, fragte Ergün und sein finsterer Blick verkehrte sich in Erstaunen.

„Okay, ich gebe zu, die Sache mit dem Möbelwagen, wenn man ihn denn so nennen kann, die fand ich ganz schön witzig. Jetzt, wo ich weiß, dass das nur ein Scherz sein sollte“, log ich mich aus der Affäre, „wenn allerdings meinem Sessel etwas passiert wäre auf dem Transport in der alten Kiste, ganz ehrlich …“

„Ja, wäre dann was passiert?“

„Nun“, sammelte ich auf die Schnelle meinen Restverstand ein, „dann wäre der Sessel vermutlich kaputt. Wäre aber nicht so schlimm. So sehr hänge ich an dem Möbel nicht, den hat meine Frau ausgesucht, scheußliches Teil im Grunde. Also der Sessel jetzt.“

„Lügst du, gehört dir, der Sessel. Liebst du Sessel. Nakita hat mir erzählt.“

Danke, Paul. Warum in aller Welt verwunderte mich diese Information an dieser Stelle überhaupt nicht mehr? Nachdem meine Verteidigung nun am Bröckeln war, musste ich wohl den Weg in die Offensive antreten,

„Auf jeden Fall vielen Dank, dass du Paul und mir den Wagen geliehen hast und es tut mir sehr leid, dass er den Transport überstanden hat. Ach, Quatsch. Was rede ich denn? Nein, natürlich tut es mir nicht leid. Und, nein, wenn ich überlege, so witzig finde ich das alles nicht. Nicht das mit dem Umzugswagen, da hätte ja auch wirklich etwas passieren können. Nicht deine billige Polizei-Nummer eben, die auch nicht. Das mit deinem Nachnamen, das tut mir wirklich leid, das war keine Absicht, das ist mir einfach rausgerutscht. Und wenn wir wirklich Freunde wären, nein, wir kennen uns doch kaum, wir sind keine Freunde. Du bedrohst mich hier in einer Tour, mit deinem bösen Blick, dein Schnauzbart sieht aus wie ein Säbel, du baust dich vor mir auf wie eine Wand, schiebst mich vor dir her, weil du es kannst, und versuchst mich durch deine gewaltige Größe einzuschüchtern. Dann willst du offenbar wirklich, dass ich den Opa da oben umniete und das alles warum genau? Das habe ich nicht verstanden. Ich kenne den Mann gar nicht, der hat mir nichts getan. Ich stehe auch für nichts in deiner Schuld. Die Schrottmühle hat Paul bei dir bestellt, und dafür soll ich, nein … ich bringe gar keine Leute um. Verdammt noch mal, wie kommt ihr denn bloß auf diesen Schwachsinn? Nur weil ich in meinem Leben dem einen oder anderen nervigen Honk mal aufgezeigt habe, wie blöd er ist, mehr aber auch nicht. Noch nie habe ich jemandem körperlichen Schaden zugefügt und ich habe auch nicht vor, das zu ändern, weil …“

„Herr Bertram …“

„Nein, ich mache das nicht! Ein für alle Mal. Und nun kannst du mich hochnehmen und aus dem Fenster schmeißen. Oder aber, du arbeitest ja gerne mit Hammer auf den Kopf, von mir aus auch das. Du kannst mich auch hin schubsen und barfuß Fußball mit mir spielen. Paul hat vielleicht noch ein paar ausgelatschte Treter im Schrank …“

„Herr Bertram. Mag ich dich, hab ich schon gesagt. Möchte ich wirklich gerne dein Freund sein, vielleicht irgendwann“, sagte Ergün und ich sah ihm an, wie ernst er diese Worte tatsächlich meinte. Das wiederum machte mich sprachlos.

„Ist Zoppa ein Arschloch. Aber auch Arschloch hat Recht auf Arschlochsein. Muss man akzeptieren. Nicht einfach manchmal, aber muss man. Wollte ich nur wissen, ob stimmt, was Nakita hat erzählt, was bist du für Mensch. Wollte ich wissen, wie reagierst du. Verstehst du, Nakita ist kleines Mädchen, ist sie auch meine Freundin. Werde ich sie immer beschützen und nun kommt bei Paul ein Herr Bertram, den keiner kennt, aber man hat gehört so Sachen.“

Herrje, wie oft hatte ich das jetzt schon gehört. So Sachen. Offenbar musste ich vorrangig an meiner Außendarstellung arbeiten, an meiner Lebenseinstellung sowieso, vielleicht musste ich ein ganz neuer Mensch werden, um geballte Missverständnisse dieser Art künftig zu vermeiden. Ich spürte, wie sich mein vor Minuten in maximale Höhe katapultierter Puls langsam wieder in Bodennähe einpendelte und realisierte, dass der Albtraum hier nun seinem Ende entgegengehen würde. Fast war ich gerührt darüber, was hier für eine häusliche Fürsorge gelebt wurde, nimmt man einmal den üblen Vermieter aus. Dass ich von nun an jedes Wort, jede Handlung mehrfach überdenken sollte, stand eindeutig fest. So klar, wie die Tatsache, dass ich Pauls Loyalität mir gegenüber, seine Verschwiegenheit und seine Wahrnehmung im Allgemeinen dringend auf den Prüfstand stellen sollte.

Ergün trat langsam den Rückzug an, schlich wie geprügelt zur Tür, was eigentlich meine Gangart hätte sein sollen, wenn man sich die Entwicklung unseres Gesprächs in Erinnerung rief. Mit der Türklinke in der Hand sagte Ergün: „Nichts ist für ungut, bitte nicht böse. Gehe ich jetzt lieber wieder nach Hause. Wohne ich genau gegenüber. Wenn du Probleme hast, klingelst du einfach oder haust gegen Tür, wie Polizei, haha, und dann helfe ich meinen neuen Freund, Herr Bertram. Ehrensache.“

„Alles klar. War ein, na ja, zumindest irgendwie interessanter Vormittag bisher. Ich glaube nicht, dass ich den so schnell vergessen werde. Bitte nicht missverstehen, aber ich glaube, ich werde mich erst einmal nicht aus der Wohnung trauen. In den, sagen wir, nächsten dreißig Jahren.“

„Musst du mit Paul mal reden, ich denke, vielleicht hat er falsch erzählt vieles.“

„Das kannst du mir glauben, das werde ich tun.“

„Werde ich auch Nakita erzählen, dass sie keine Angst haben muss vor netten, freundlichen Beiwohner von Paul, der mutig ist wie osmanischer Krieger und gewagt hat, Ergün Wildschwein zu sagen“, versprach er grinsend.

„Okay, Ergün, es war trotz allem eine gewisse Freude, vor allem aber eine Ehre, dich kennengelernt zu haben. Ich denke, man wird sich noch mal über den Weg laufen. Läufst du eigentlich den ganzen Tag über barfuß?“, wollte ich noch wissen, als wir uns längst die Hand zum Abschied schüttelten, von weiteren Küssereien nahm er Gott sei Dank Abstand.

„Nein, nicht ganzen Tag. Ganzes Jahr, bis fällt Schnee, dann nicht mehr. Dann ich nehme Flopflips.“

„Verstehe“, sagte ich fröhlich, obwohl ich es nicht verstand. Verrückter Vogel.

Als Ergün an seiner Tür stand und den Schlüssel in seine Tür steckte, rief ich ihm noch hinterher: „Hey, Ergün. Eins noch, wenn deine Nahrungsvorräte mal erschöpft sein sollten, also wenn keine Schnecken, keine knackigen Knollen oder nichts mehr von den leckeren Mäusen und auch keine nahrhaften Kaninchen mehr in deinem Bau zu finden sind, dann tu mir einen Gefallen und klingele bitte woanders.“

Ruckartig schmiss ich die Wohnungstür ins Schloss. In langersehnter Sicherheit hörte ich von innen das mir wohlbekannte Gelächter, das vom Erdgeschoß bis ins Penthouse hallte. Mit einem amüsierten Blick durch den Spion vernahm ich, dass auch Ergün nun hinter seiner Tür verschwunden war. Trotzdem hörte ich ihn dort fortwährend vor sich hin lachen. Erleichtert darüber, dass er meinen kleinen Spaß als solchen verstanden hatte, schmiss ich mich grinsend in meinen Sessel, legte die Beine auf den Tisch und war fix und fertig. Ergün mochte also den Herrn Bertram. Herr Bertram selbst konnte sich eigenartigerweise selbst auch nicht komplett dagegen verwehren, diese Sympathie auf eine gewisse Art zu erwidern.

ausgeSPACKT!

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