Читать книгу ausgeSPACKT! - Thorsten Haker - Страница 8
ОглавлениеKapitel 3
Dinge und Verhaltensweisen, vor allem Menschen, so hinzunehmen, wie sie nun mal waren, fiel mir fortan nicht leicht. Darin lag wohl das Problem. Tatsächlich hatte ich es mir über die Jahre hinweg mit so ziemlich jedem verdorben, der sich nicht so verhielt, wie es in mein enges Raster passte. Mit nahezu jedem aus dem unmittelbaren Dunstkreis legte ich mich an, wenn er mir in einem reizbaren Moment in die Quere kam und wenn er sich in meinen Augen durch idiotisches Verhalten für eine artgerechte Bestrafung qualifiziert hatte.
Diese Leute gehörten entspackt, ihnen gehörte der Zahn gezogen. Die üble Wurzel gerupft, die Stirn gelüftet oder das Hirn gefaltet. Wer sich mir durch stumpfe Plattitüden und nervenzehrendes Getue in den Weg stellte, musste mit einer entsprechenden Reaktion rechnen. So einfach.
Wer wollte mir widersprechen, dass es nur richtig wäre, den uneinsichtigen Wiederholungstätern, die zum Beispiel zum Bleistift sagten, einen solchen unaufgefordert ins Auge zu rammen, bis er seine volle Wirkung darin entfaltete? Zwischen einem Idioten und einem Zyklopen lag ja oftmals nur eine dünne Bleistiftspitze.
Genauso diese stupiden Sack-Reis-in-China-Zitierer, die unverbesserlichen Glühstrumpf-Wünscher, sie starben einfach nicht aus. Die wenigsten wussten überhaupt, was ein solcher darstellte, wo so etwas eingesetzt wurde. Lange Zeit ging es mir ähnlich, dann informierte ich mich. Schließlich faszinierte mich der Gedanke, einen solchen Strumpf unter Strom zu setzen und ihn diesen schwach leuchtenden Funzeln über ihren möglichst schwitzenden Fuß zu stülpen. Kurzum: Es ging um jene Menschen, die sozial verträgliches Verhalten und Regeln, speziell die im Straßenverkehr, eher für Empfehlungen hielten, nicht aber auf sich selbst anwendbar. Das nur zum Bleistift. Der Hauptgrund für Stress lag ganz simpel zusammengefasst im täglichen Umgang mit Idioten.
Anfangs empfand ich noch Belustigung darin, die Betroffenen mit meinen limitierten Mitteln zu maßregeln. Später wurde ein Zwang daraus, eine Sucht, schließlich eine Art Wahn. Diese reizbaren Umstände nahmen mit der Zeit überhand. Wurde ich am Anfang noch belächelt und vereinzelt gefeiert, von denen, die bis dahin auf meiner Seite gestanden hatten, hatte über die Jahre ein schleichender Seitenwechsel stattgefunden. Ein Hergang, der mich zusehends isolierte. Offenbar hatte ich es irgendwann übertrieben. Man wurde meiner überdrüssig. Ein kriechender Prozess, den ich nicht bemerken wollte.
Kristina nahm meine kleinen Schurkereien, die in ihren Augen grenzwertigen, teils fiesen Sticheleien und Nadelspitzen zunächst erstaunlich gelassen hin. Zuerst waren diese tatsächlich noch subtil und unauffällig, später dann durchaus deutlicher und eindrucksvoller. Ich wuchs an meinen Aufgaben und war permanent auf der Suche nach weiteren und größeren Herausforderungen.
Zwar reagierte sie oft mit einem verständnislosen Kopfschütteln, aber sie ließ mich machen.
„Wenn es dich denn glücklich macht“, predigte sie halbherzig, doch schien sie wenig überzeugt. Sie ließ mich walten, solange sie selbst und unser direktes Umfeld von mir verschont blieben. Das konnte ich weitestgehend einhalten. Wie bei einem Junkie aber, der Gefallen an seiner Einstiegsdroge fand, dann aber nach höheren Dosen lechzte, so erging es mir. Jegliche anfänglich unterschwellige Art, es den Spacken unserer Zeit hinterrücks heimzuzahlen, wich zunehmend einer offenen Konfrontation. Wer gegen den Wind spuckte, brauchte sich nicht zu wundern, wenn er seinen Rotz mit voller Wucht zurückbekam. So definierte ich mich selbst als den wütenden Gegenwind einer vergifteten Gesellschaft. Über die Fehlbarkeiten anderer einfach hinweg zu sehen, gelang mir immer seltener.
Dann kam, was eines Tages kommen musste, der Anfang vom Ende. Gilbert Sanders großer Moment. Gilbert war mein Kollege in der Maschinenfabrik, in der ich damals beschäftigt war. In seiner Nebenrolle als unersättlicher Lieferant unfassbar dämlichen Verhaltens und ebensolcher Sprechweisen war er mein zuverlässiges Lieblingsopfer. Mit ihm hatte alles irgendwie angefangen. So war er es dann auch, dem ich meine spätere Arbeitslosigkeit zu verdanken hatte. Der Tag meiner fristlosen Kündigung war ziemlich exakt gleichzusetzen mit dem Zeitpunkt, als zu Hause die Sanduhr auf den Kopf gestellt wurde und das sanfte Rieseln des Sandes mein langsames Ende einläutete. Ticktack. Ticktack, du gehst uns langsam auf den Sack. Das schien sie vermitteln zu wollen. Es war die Zeit, als mir erstmals klar wurde, dass ich in meinem Weltverbesserungswahn offenbar mindestens einen Schritt zu weit gegangen sein könnte, weil ich dadurch unsere Existenzgrundlage in Gefahr gebracht hatte. Bremsen konnte ich es dennoch nicht.
Nach Grisus Entscheidung, mich aus ihrem Leben zu verbannen, vergingen ein paar unruhige Tage und ziemlich schlaflose Nächte, in denen ich intensiv nachdachte. Darüber, wie ich mein weiteres Leben gestalten wollte und mit wem. Ich hatte eine Woche, um mich wachzurütteln, und sie endete im vagen Glauben, dass ich es begriffen haben könnte. Spät, zu spät vielleicht, aber das galt es herauszufinden. Fakt war nun erst einmal, dass hier Endstation für mich war, dass ich etwas verändern musste, wenn ich eine Chance haben wollte, sie wieder zurückzugewinnen. Wenn ich weiterhin mehr als nur einen Freund im Leben zu den meinen zählen wollte. Den einzigen, Paul, der vermutlich auch einfach nur zu bequem war, mich ebenfalls abzuservieren. Zweifellos, ich hatte mich verrannt.
Grisu hatte ich nach unserem letzten Streit und ihrer unmissverständlichen Abfuhr nicht mehr gesehen. Sie wäre bis zu meinem Auszug bei einer Freundin untergekommen. So war es in ihrer knappen Nachricht zu lesen, die sie mir auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, als sie in meiner Abwesenheit die Wohnung betreten hatte, um die nötigsten Sachen herauszuholen. Kurz und knapp formuliert, keinerlei Emotionen, kein Zeichen des Bedauerns. Die Situation, so kitschig und klischeehaft wie tausendmal zuvor im Film gesehen, und auf einmal wurde sie zu meiner eigenen Realität.
Gilbert Sander. Wenn ich nur an ihn dachte, kribbelte es in meinen Fingern. Eigentlich hatte ich noch eine Rechnung mit ihm offen und sollte ich eines Tages wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen, dann träfe es ihn zu allererst, und das mit voller Kraft. Gilbert. Wie konnte man sein Kind Gilbert nennen? Oder Daniele. Oder Bertram, wie ich in Gedanken zu meiner eigenen Belustigung ergänzte.
Schließlich hatte er sie folgerichtig damals von mir bekommen, seine Quittung. Für so viele nervige Dinge, die er getan hatte, für die dummen Worte, die er tagein, tagaus gesprochen hatte. Er hatte seine Quittung sogar satt und reichlich bekommen. Womöglich zu sehr, denn was er zu allem Überfluss darüber hinaus bekommen hatte, das war am Ende mein Job. Nicht mehr tragbar durch mein asoziales Verhalten. So der Tenor meiner Kündigung. Gilbert war es somit, der mir als Erster in den Sinn kam, als mir erschreckend klar wurde, dass es vorbei war, dass ich so nicht weitermachen konnte. Die Schuld bei anderen zu suchen, so sagte man mir nach, war ebenso eine meine Königsdisziplinen.
Ihn würde ich verschonen müssen, nachdem feststand, dass ich aufhören müsste. Aufhören, Leute zu bestrafen, ihnen nachzustellen, sie zu beleidigen. Aufhören, Dinge mit ihnen anzustellen, damit es mir besser erging. Es war der schmerzhafte Tag 1 meines auferlegten Zwangsentzugs. Es hatte keinen Sinn. Bertram Geuse allein gegen den Rest der bekloppten Welt. Die Rechnung konnte nicht aufgehen. Einer allein gegen alle. Ein Moment der Freude für mich, mal kürzer, mal länger anhaltend, aber insgesamt ohne jeglichen Anspruch auf Nachhaltigkeit und Wirkung.
„Paul, hörst du?“, wiederholte ich die Ansprache an meinen Kumpel, der bewegungslos und stumm in eine Zeitschrift vertieft in seinem Sessel ruhte. Das konnte er wie kein Zweiter.
„Ja?“
„Ob das wirklich in Ordnung ist für dich? Ich meine, es ist ja nur für kurz. Mittelfristig bin ich ja wieder hier raus. Vielleicht maximal mittellangfristig, wenn du verstehst?“
„Nein.“
„Wie nein? Ich denke, das ist okay für dich?“
„Ist es auch.“
„Wieso sagst du dann Nein?“
„Ich verstehe es nicht. Dich nicht.“
„Na ja, ich weiß eben noch nicht, wie lange sie braucht, bis sie sich wieder beruhigt hat. Daher eben. Frauen. Kennst du doch.“
„Nein, eher weniger. Ich meine dich.“
„Wäre es möglich, dass du dein halbherziges Schweigegelübde für einen Moment unterbrichst und mir, ganz vielleicht, erklärst, was genau du jetzt nicht verstehst?“
„Dich!“
„Okay. Das hatten wir bereits.“
„Berti, ich verstehe dich nicht“, begann Paul und legte seine Zeitung endlich beiseite. Es hatte den Anschein, als würde er nun einer Eloquenz verfallen wollen, die man so nicht von ihm kannte und er erklärte seufzend: „Ich begreife nicht, wie du es soweit hast kommen lassen. Du hast mit Grisu das große Los gezogen, den Hauptgewinn. Ihr habt ein tolles Leben. Ihr seid gesund, habt alles, was man sich wünschen kann, und jetzt stehst du hier. Von heute auf morgen, in meiner 2,5-Zimmer-Wohnung und du bittest mich um Asyl. Mich, der dein Leben gerne hätte. Sagen wir so, dein Leben, bis du angefangen hast, durchzudrehen. Versteh mich nicht miss, du kannst dich hier gerne niederlassen. Das eine Zimmer steht eh überwiegend leer, Gäste bleiben selten über Nacht. Eigentlich nie, wenn ich recht überlege. Da kannst du dir deine Matratze reinlegen, von mir aus auch ein ganzes Bett. Fühl dich wie zu Hause. Ich freue mich über Gesellschaft. Das sage ich jetzt! Vielleicht kommst du mir ja auch noch komisch“, schloss Paul schelmisch grinsend und erhob demonstrativ seinen Finger, „aber verstehen kann ich nicht, wie du das hinbekommen hast. Das sage ich dir als dein Freund ganz ehrlich.“
„Paul, sie hat mich rausgeschmissen. Sie mich, verstehst du?“
„Ja“, seufzte er erneut und verfiel resignierend zurück in seine übliche Wortarmut. Das mit der Kommunikation könnte auf Dauer problematisch werden.