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Kapitel 12

Bis zum nächsten Edeka-Markt waren es aus meiner Erinnerung heraus lediglich ein paar Straßen und Pauls Vorräte an Lebensmitteln, im Speziellen derer trinkbarer Natur, waren sehr überschaubar. So entschied ich mich spontan für einen kleinen Einkauf. Sympathiepunkte sammeln, gepaart mit dem Drang zur Lebenserhaltung. Das hielt ich genau so lange für eine gute Idee, bis ich, perplex und mit einer Kiste Leergut in der Hand vor der Haustür stehend, realisierte, dass mein Auto nun erst einmal Grisus Auto war und mir zur Fortbewegung nur die eigenen Füße blieben. Über die Sache mit dem Auto würde allerdings noch zu reden sein. Der Vorteil, in einem lebhaften Stadtteil wie Eimsbüttel zu wohnen, lag immerhin darin, dass so ziemlich jedes alltägliche Ziel, das man ansteuern wollte, schnell erreicht war. Darüber hinaus erübrigte die Parkplatzsituation jeden weiteren Gedanken an ein Auto und so machte ich mich mit schleppendem Gang auf den Weg. Gänzlich fremd war mir diese Gegend nicht, allerdings hatte ich sie zuvor meist nur durchfahren und am Allerwenigsten hätte ich vermutet, dass sie in meinem Leben einmal mein Zuhause darstellen würde. Die Sonne brannte vom Nachmittagshimmel, über dreißig Grad sollten es heute wohl sein, und langsam füllten sich die Straßen vom ersten Schwung des Feierabendverkehrs. Die Außenplätze der Cafés waren gut gefüllt, wobei ich mich wieder einmal fragte, was für Menschen in dieser Vielzahl um diese Zeit schon die Möglichkeit hatten, angeregt miteinander plaudernd, entspannt Zeitung lesend oder kaffeeschlürfend die Gastronomie dieser Stadt zu fluten. Alle Altersklassen, Geschlechter und Nationalitäten und, dem äußeren Schein nach, auch alle Gehaltsklassen, zeigten sich, um bei diesem Wetter den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Ein wenig neidisch und gedankenverloren stolperte ich beinahe über die halb ausgestreckten Beine eines Penners, der sich mir auf einmal in den Weg legte. Vermutlich saß er aber bereits vorher dort, ohne bis dahin meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Phänomen, das diesem Mann nicht unbekannt sein dürfte. Leider konnte ich im Schwung meines unachtsamen Ganges nicht verhindern, dass ich versehentlich den vor ihm stehenden Münzbecher umstieß und die Münzen sich über den Bürgersteig verteilten. Reflexartig und mehrfach um Entschuldigung bittend begann ich sofort, die Münzen einzusammeln. Mehrheitlich waren es Zehner oder Zwanziger, vereinzelt fast wertlose 1-Cent-Münzen und sogar ein einzelner Knopf. Was für abscheuliche Menschen gab es bloß? Aber auch ein Fünfeuroschein landete wieder in seinem Becher und sofort drängte sich mir der Verdacht auf, dass dieser Schein nichts weiter als dem Schein diente, möglichen Spendern die Großzügigkeit vorheriger Wohltäter anzudeuten. Seht her, ihr Passanten, die ihr zwar ein gutes Herz predigt und ein latent schlechtes Gewissen haben mögt, aber meist sind eure Taschen zugenäht. Seht, welche Zuwendung mir just durch einen wahrhaft guten Menschen zuteilwurde, gerade eine Minute zuvor. So in etwa. Ich stellte den Becher wieder zurück an seinen Platz, entschuldigte mich nochmals für den kleinen Unfall, wünschte freundlich einen guten Tag und wandte mich zum zügigen Weitergehen ab.

„Nichts für ungut, der Herr“, rief er mir hinterher, „mit den paar Kröten werde ich einen richtig tollen Tag haben. Vielen Dank. Vielleicht feiere ich eine mächtig große Party, bist eingeladen, weil du so großzügig was in meinen Becher getan hast. Danke auch dafür. Vergelt’s Gott“, verabschiedete er sich spöttisch von mir.

Ich stoppte meinen Gang und setzte ein paar Schritte zurück.

„Na ja, ein paar Euro sind da aber schon zusammengekommen. Für eine Party wird’s wohl nicht reichen, aber für ’ne warme Mahlzeit allemal, oder nicht?“, wusste ich klugzuscheißen.

„Ach, da haben wir aber mal ein besonderes Exemplar eines Sprücheklopfers. Na, da freut sich der alte Horst aber. Das hat er nämlich gerne. Pass auf, nur weil du meine Moneten eingesammelt hast, bist du noch lange nicht mein Finanzminister, verstehst du? Die ganzen kleinen Piepen kannste ja in Summe vergessen. Und der Schein ist Schein, verstehst du? Nee, verstehst du sicherlich nicht und nun ab.“

Wusste ich es doch. Aber seine Offenheit imponierte mir. Ich stellte die Leergut-Kiste zwischen meinen Beinen auf dem Boden ab und zückte mein Portemonnaie. Zwei Euro hielt ich für angemessen und rechnete in Gedanken hoch. Wenn jeder Zehnte, der hier vorbeilief, im Schnitt einen Euro fünfzig, so meine Grobkalkulation, in seinen Becher schmiss, dann …

„Die Rechnung geht nicht auf. Kannst du vergessen. Was glaubst du, wie lange ich hier hocken muss, bis hier was Zählbares bei rumkommt? Ahnst du nicht. Sind alle blind, so wie du. Ich bin unsichtbar. Nur, dass du noch blinder bist als die anderen Blinden und meinen Haushaltsplan einfach mal original über den Bürgersteig verteilt hast. Das hat bisher auch noch keiner geschafft. Gratuliere übrigens.“

Erstaunt darüber, wie dieser Mann es schaffte, meine Gedanken zu erraten, kramte ich eine weitere Zwei-Euro-Münze aus meinem Portemonnaie und warf beide in seinen Becher.

„Danke dir. Mal ’ne ganz andere Frage, wenn’s erlaubt ist: Was ist mit der Kiste?“, fragte er und zeigte auf mein Leergut.

„Die hier? Ist leer“, antwortete ich ihm arglos.

„Ist nicht wahr? Ist leer. Na, guck mal einer an. Die Kiste ist leer. Als hätte ich nicht nur keine Piepen, sondern auch keine Augen im Kopp. Na klar ist die Kiste leer. Das sehe ich auch. Hast du irgendwelche Pläne mit der Kiste, wenn ich mal neugierig sein darf?“

„Die wollte ich bei Edeka abgeben, gleich da vorne“, und zeigte ihm die Richtung an und hätte mich für meine Antwort selbst ohrfeigen können, weil ich die Absicht meines überraschend hellwachen Gegenübers nicht sofort erfasste.

„Ich hab eine bessere Idee. Du vergisst, dass da eine leere Kiste zwischen deinen Beinen steht, machst mal kurz das O-Bein und dann gehst du schön zu deinem Edeka, kaufst ganz viel lecker Mampfi und Saufi und der alte Horst freut sich wie Bolle, denn der steht total auf leere Kisten. Leergut find’ ich nämlich voll gut, wenn du verstehst.“

„Ja, so könnte man das machen“, erwiderte ich grinsend.

„Ich könnte ganz zufällig hier jetzt über diese Kiste steigen und weitergehen. Die hat mich eh schon die ganze Zeit behindert, und dann würden Sie mir diese Last abnehmen, und schon wäre dieses leidige Thema erledigt. Was für ein Albtraum, wenn ich diese leere Kiste die letzten zweihundert Meter noch durch die Gegend tragen müsste.“

„Mein Reden, mein Reden“, meinte der Mann und hob anerkennend seinen Daumen.

„Und das würden Sie ganz umsonst machen?“

„Selbstredend. Service wird in meinem kleinen Einzelhandel ganz groß geschrieben“, versicherte der Mann, der nach eigenen Angaben der alte Horst zu sein schien, aber um Längen jünger aussah, als man sich einen alten Horst vorstellte. Überhaupt sah er nicht wie der typische, womöglich obdachlose Penner aus, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bettelnd seine Tage über die Zeit rettete. Nicht wie einer, der von dem wenigen lebte, das eine egoistische Gesellschaft bereit war, ihm zum Leben zu lassen, anstatt ihn sterben zu lassen. Ich wunderte mich über sein gepflegtes Äußeres, insbesondere das lückenlose Gebiss, zumindest soweit ich es erahnen konnte, den gepflegten Dreitagebart und insgesamt über eine Ansprache, die eine gewisse Bildung als Hintergrund vermuten ließ. Was mochte wohl in seinem bisherigen Leben schiefgelaufen sein. Kurz überlegte ich, ihn zu befragen und ließ es dann doch sein. Die Situation, je länger ich hier stehenblieb, ebenso die unbarmherzige Hitze, schien mich zunehmend zu überfordern.

„Okay. Dann würde ich sagen, dann haben wir einen Deal. Ich lasse die leere Kiste hier stehen und Sie lassen die dann später verschwinden, richtig?“

„Ist richtig. Fidibus, Verschwindibus. Ist quasi schon so gut wie entsorgt, ökologisch unbedenklich, das versteht sich von selbst. Die Firma dankt dem edlen Spender und beehren Sie mich doch alsbald mal wieder, hier in meinen Geschäftsräumen.“

So als wollte er die Welt umarmen, beschrieb er mit ausgebreiteten Armen weitläufig seinen imaginären Wirkungskreis.

„Und einen schönen Tag auch noch.“

Ein Lächeln spielte auf meinem Gesicht, als ich wortlos die Hand zum Gruß hob und meinen Weg schlendernd fortsetzte.

Weder wusste ich, ob Paul in der Küche zu irgendetwas zu gebrauchen war, was nicht in Verbindung mit Sitzen und Biertrinken zu bringen war, noch, was er überhaupt gerne aß. Darum entschied ich mich für frisches Brot, Aufschnitt, allerlei Fertiggerichte, Kartoffelchips, Salzgebäck und weiteren klischeehaften WG-Quatsch. Gerade so viel, wie in eine zum Bersten gefüllten Einkaufstasche passen würde. Um meinen Einkauf und mich auf dem Rückweg einigermaßen in der Waage halten zu können, wäre die Tasche am Ende idealerweise gleich schwer wie die Bierkiste, denn derentwegen war ich eigentlich hier. Ich schob alles auf das Kassenlaufband und wusste direkt beim Bezahlen, dass meine Kalkulation nicht aufgegangen war, statt ihrer nur meine Befürchtung. Rechtsseitig hing ich deutlich durch, dort, wo ich die Kiste unter vier Fingern eingehakt in der Schwebe hielt. So könnte das ein mühsamer Gang nach Hause werden. Verdammt, wieso ließ ich mich willenlos aus meiner Wohnung abschieben, die auch meine Wohnung war, ohne dabei die Autonutzung zu thematisieren, sie zu meinen Gunsten zu regeln? Wer flog, der musste doch mindestens fahren dürfen. So sah das nämlich mal aus. Mindestens in meiner eigenen Einschätzung dieser misslichen Lage. Dass sich diese nicht unbedingt mit der von Grisu deckte, lag auf der Hand, bzw. in meiner Hand und die fing langsam an, an ihren tragenden Gliedern zu schmerzen, je länger ich schwerbepackt durchs Viertel lief. Nur noch wenige Meter entfernten mich von Horsts Arbeitsplatz und auch er sah mich bereits kommen. Die leere Kiste von vorhin war dagegen nicht mehr zu sehen. Der ließ scheinbar nichts lange anbrennen.

„Ist das nicht ganz schön anstrengend, so bepackt, bei der Hitze?“, fragte Horst belustigt und drückte seine Zigarette an der Hauswand aus, an der er lehnte. Dann richtete er sich auf. Er war größer, als ich vermutete.

„Geht so“, log ich und setzte die Kiste ab.

„Was ist damit, kann ich die haben?“, fragte Horst mit Blick auf mein Gepäck und schien seine Frage absolut ernst zu meinen. Glaubte er allen Ernstes, dass es mein vorrangiges Ziel war, Bierkisten jeglicher Füllung bei ihm abzugeben?

„Eher nicht, zumindest nicht jetzt. Vielleicht übermorgen. Nein, wahrscheinlich eher morgen“, erwiderte ich und malte mir mit meinen Einkäufen einen sehr feuchtbunten Abend aus.

„Na gut. Fragen kostet ja nix. Kann ich dir dann zumindest helfen, dass du nicht mehr ganz so schwer tragen musst?“

„Wie, Sie wollen mir die Tasche nach Hause tragen, oder die Kiste?“

„Nein. Nicht ganz so. Eigentlich ganz und gar nicht, ich bin ja hier nicht die Wohlfahrt. Vielmehr dachte ich daran, dass sich drei, vier Flaschen, wenn du die aus Versehen, sagen wir mal hierlässt, dass die sich sicherlich positiv auf das Gewicht und deine körperliche Schieflage auswirken würden.“

Dass er dabei recht eindeutig auf die Rundungen unter meinem T-Shirt schielte, sagte mir ein weiteres Mal, dass ich es hier mit einem Menschen zu tun hatte, der es verstand, sich auszudrücken und das sogar bewusst zweideutig. Irgendwie beeindruckte mich dieser Kerl. Ich zog sechs Flaschen Bier aus der Kiste und stellte sie neben ihm ab. Wer es schaffte, mich in einer Welt, die zunehmend von Vollidioten dominiert wurde, zu beeindrucken, hatte es nicht verdient, zu dursten. Auch wenn nach Abzug dieser sechs Flaschen die Farben meines bunten Abends etwas zu verblassen schienen.

„Konopka, Horst“, stellte sich Horst mir vor und reichte mir überraschend die Hand. Selbst die Fingernägel waren akkurat geschnitten und die Handflächen für einen Mann der Straße auffallend sauber. Meine restlichen Vorurteile lösten sich in nichts auf und so schlug ich bedenkenlos ein.

„Äh. Angenehm. Geuse. Bertram Geuse.“

„Na, damit haben wir dann ja wohl beide einen Griff ins Klo getan. Horst-Bertram“, meinte er lachend und ruckartig zog ich die Hand weg, bis ich realisierte, was er tatsächlich meinte. Zu spät. Horst lachte schallend über mein Missverständnis. Mir war es peinlich. Ich war einfach gegen jegliche Art von Fäkalwitzen allergisch. Meine Herren, dieser Horst war mir nicht recht geheuer.

„Trinkst du eins mit?“, fragte er und noch bevor ich bejahte, hatte er die erste Flasche mithilfe seines Feuerzeugs auch schon geöffnet, anschließend die andere. Der Feierabendverkehr war nun im vollen Gange und ich stand schwitzend in der Hitze der Stadt mit einem Bettler mitten auf einem Gehweg des belebten Stadtteils und trank warmes Bier. Das hätte mir gestern einer erzählen sollen.

ausgeSPACKT!

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