Читать книгу CLOWNFLEISCH - Tim Curran - Страница 25

Kapitel 21

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Grundgütiger, Sheriff Teague hat immer die beschissensten Jobs von allen, denkt Rip Frazer, als er durch den Blizzard fährt, um Gina Kellers Auto einzusammeln. Was für eine bescheuerte Nacht, um aus dem Bett geklingelt zu werden. Der Schnee besteht aus dicken Flocken, die vom Wind nur so gegen seinen Abschleppwagen geschleudert werden. Die Scheibenwischer laufen auf Hochtouren, können aber trotzdem nicht mithalten. Er lenkt den Wagen vorsichtig die Central Avenue hinunter und folgt ihr bis zur Ortsgrenze. Der Schneepflug ist erst vor fünf Minuten hier durchgekommen, doch die Straße ist schon wieder komplett weiß. Über diese Nacht würde man garantiert noch jahrelang sprechen, das war ihm vollkommen klar. Er ist grummelig und genervt. Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. Das wird eine anstrengende Nacht werden. Er hat bereits zwei Fahrzeuge umgesetzt und bis zum Morgen werden es garantiert noch fünf bis sechs mehr werden. In einer Nacht wie dieser drehen die Leute einfach komplett durch. Wegen irgendeinem Scheiß bringen sich dann ansonsten ganz normale Bürger in Lebensgefahr. Sie brauchen dann unbedingt Milch oder Eier, eine Packung Brot oder noch ein Bier. Irgendwas ist es immer.

Rip zuckt mit den Schultern. Ihm ist das egal. Schließlich verdient er sein Geld damit, dass dumme Autobesitzer Fehler machen. Dafür ist er da.

Trotzdem … was für eine Nacht!

Sein Dienstfahrzeug wird trotz des immensen Gewichts vom Wind kräftig durchgeschüttelt. Die Lichtkegel der Scheinwerfer sind mit Flocken gefüllt, die wie kleine Schneebälle aussehen, oder wie Hunderte fette Motten. Wenigstens ist sonst niemand auf der Straße unterwegs. Das ist eigentlich ganz praktisch, aber aus irgendeinem Grund beunruhigt es Rip heute, denn die Stadt wirkt richtig tot … wie ein Sarg mit einem weißen Deckel.

Der Wind erzeugt herumspringende Schatten und flackernde Formen. Immer wieder glaubt Rip da draußen jemanden zu sehen.

Du bist müde, das ist alles. Aber die Nacht ist noch lang.

Er weiß, dass Stürme den Augen lustige Streiche spielen können. Sie lassen einen Dinge sehen, die gar nicht da sind, oder Dinge, von denen man wünschte, dass sie da seien. So funktioniert die menschliche Fantasie nun eben. Das Gehirn sucht ständig nach Formen, die es erkennt, und wenn es keine findet, bildet es sich eben welche ein.

Rip macht das Radio an, es läuft gerade irgendeine Talkshow. Er hört aufmerksam zu, während der Abschleppwagen sich langsam, Meter für Meter vorankämpft. Sie reden über Geister – ausgerechnet! Ein Anrufer behauptet, er habe den Geist einer Frau in einem weißen Kleid am Straßenrand gesehen, mitten im Nirgendwo. Rip kann dem Ganzen nicht viel abgewinnen, vor allem nicht in so einer Nacht. Dann ruft der Nächste an. Er sagt, ein Geist in Gestalt einer Frau würde jeden Abend in sein Schlafzimmer kommen und sich auf seine Bettkante setzen. Aber ihm mache das nichts aus, weil er mittlerweile daran gewöhnt sei. Der Moderator findet das schwer zu glauben, und daraufhin streiten sie sich darüber, ob man vor Geistern Angst haben sollte oder nicht.

Rip kichert.

Na, das nenne ich doch mal Entertainment!

Der Empfang ist leider schlecht, weshalb die Stimmen immer wieder leiser und wieder lauter werden. Rip kommt am Whistle Stop vorbei. Da ist immer noch Licht zu sehen und ein paar Autos stehen davor. Selbst ein waschechter Blizzard hält die Leute offenbar nicht vom Saufen ab.

Habe ich das jetzt wirklich gesehen?

Er könnte schwören, dass da gerade jemand an der Ecke gestanden und ihm zugewunken hat, aber das ist doch irre. Vielleicht ist es ein Besoffener aus dem Whistle Stop. Er weigert sich, länger darüber nachzudenken, und will sich auch nicht damit auseinandersetzen, warum diese Person ausgesehen hat, als hätte sie ein riesiges, aufgeblähtes Kostüm an.

Fünf Minuten später kommt er immer noch etwas verunsichert an seinem Einsatzort an. Ein kleiner, silberner Toyota ist mit der Schnauze voran, im Schnee begraben. Das wird eine einfache Sache. Er schaltet den Warnblinker an und fährt rückwärts an das fremde Auto heran. Dann lässt er den Hebearm herunter und fährt die Greifer aus, die sich die Hinterräder packen.

Alles ganz locker.

Er hebt den Toyota in die Höhe und zieht ihn dann aus der Schneedüne, aber erst mal nur ein paar Meter, damit er überprüfen kann, ob auch alles richtig festsitzt. Er setzt sich eine Mütze auf und wirft sich seinen Mantel über, dann steigt er aus. Sofort peitscht der Wind auf ihn ein. Es ist eine regelrechte Tsunamiwelle aus Schneeflocken, die ihn beinahe umbläst. Er dreht dem Wind den Rücken zu und harrt aus, bis die Böe vorbei ist. Was für eine irrsinnige Nacht. Er trägt einen beheizten Arbeitsoverall, doch trotzdem spürt er die eisige Kälte am ganzen Körper.

Als er sich hinkniet und mit der Taschenlampe die Tragekonstruktion ableuchtet, stellt er fest, dass alles in Ordnung ist.

Super. Dann mal nichts wie weg hier.

Der Wind trifft ihn jetzt wieder mit voller Wucht und Schnee bedeckt sein Gesicht. Grundgütiger, er schafft es kaum, wieder aufzustehen. Mit viel Mühe gelangt er zurück zur Fahrertür, wo er kurz stehenbleibt. Da ist doch ein Geräusch … da ist er sich ganz sicher … etwas, das nicht hier hingehört. Es erinnert ihn aus irgendeinem unnatürlichen Grund an Silvester. Jedenfalls ist das die Assoziation, die er als Erstes hat.

Das ergibt aber überhaupt keinen Sinn. Oder vielleicht doch? Einen Moment lang steht er einfach nur regungslos in dem tobenden Orkan und lauscht.

Da ist es wieder! Das Jaulen des Windes überdeckt es zwar immer wieder, doch sobald er es hört, lässt es ihn in einer Form erschaudern, die selbst die Eiseskälte nicht hinbekommt.

Es ist eine Art Rassel, die vor sich hin klappert. Dann weiß er plötzlich, an was es ihn erinnert. Es ist zwar vollkommen unmöglich, aber es ist einer von diesen Krachmachern, die man an Silvester benutzt. Diese Dinger, die man in die Hand nimmt und dann wild herumwirbeln lässt, damit sie vor sich hin knattern.

Aber was macht so ein Ding hier mitten in diesem Sturm?

Das ist doch irre … komplett durchgeknallt. Wer würde denn hier in diesem gottverdammten Blizzard versuchen, eine Party zu veranstalten?

Rip kann in dem Schneetreiben und der Dunkelheit zwar nicht viel erkennen, doch dieses Rasseln kommt immer näher. Er leuchtet mit seiner Lampe in die jeweilige Richtung, kann aber nichts sehen außer tanzenden Schatten.

»Ist da irgendjemand?«, ruft er nervös.

Doch die einzige Antwort, die er bekommt, ist dieses klappernde Geräusch. Jetzt reicht's ihm. Irgendjemand will ihn hier offenbar verarschen. Obwohl ein Teil von ihm nichts lieber tun möchte, als diese Person ausfindig zu machen und ihr gehörig die Meinung zu geigen, beschließt er, dass er besser abhauen sollte.

Doch dann hört er plötzlich noch ein anderes Geräusch.

Kein Klappern, sondern ein dumpfes Schlagen. Bumm-bumm-bumm. Es kommt aus dem Auto. Es ist unmöglich, dass es irgendwo anders herkommt. Jetzt hat Rip richtig Angst. Ihm läuft ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter und er weiß nicht mal genau, wieso. Da ist das Schlaggeräusch wieder, nur ist es dieses Mal lauter und klingt irgendwie nachdrücklicher.

Steig in den Wagen, du Idiot, sagt er sich. Nichts wie weg hier!

Aber was, wenn noch jemand in dem Auto ist? Wenn jemand seine Hilfe braucht?

Das ist absolut lächerlich. Wenn jemand da drin wäre, hätte der Sheriff das doch schon bemerkt. Rip geht langsam rückwärts zu seinem Abschleppwagen. Doch dann erklingt das Geräusch wieder, dieses Bumm-bumm-bumm. Also läuft er langsam zu dem Toyota, der dick mit Schnee überzogen ist. Er ist sich jetzt sicher, dass jemand unter dieser weißen Decke von innen gegen die Fahrerscheibe schlägt – jemand, der da drin gefangen ist.

Er nähert sich dem Wagen vorsichtig.

Falls wirklich jemand da drin ist, will er eigentlich gar nicht wissen, wer. Rip ist ein großer Kerl, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat. Er hat eigentlich vor nichts Angst. Aber jetzt, genau in diesem Moment, zieht sich alles in ihm zusammen und er fühlt sich wieder wie ein kleiner Junge, der nachts gruselige Geräusche hört. Am liebsten würde er wegrennen, weil er insgeheim befürchtet, dass er etwas in diesem Auto finden könnte, das ihn den Verstand kosten wird.

Doch trotz allem steht er jetzt vor der Fahrertür und streckt die Hand aus, um den Schnee von der Scheibe zu wischen. Sein Körper scheint das irgendwie aus eigenem Antrieb zu machen, ohne sein willentliches Zutun.

Da ist definitiv jemand in dem Auto.

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